16 | Wozu Neid führt.

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GÖNÜL

– 02:44 –

Nach furchtbarem und unerholsamen Schlaf erwachte ich in der späten Nacht. Meine Haut war schweißgebadet und ich befand mich allein in meinem dunklen Zimmer, das nur vom Licht des Vollmondes und einiger Straßenlaternen erhellt wurde. Aufgeweckt hatte mich ein Auto, das den Kies in unserer Einfahrt zum Knirschen brachte und die Straßeneingänge mit aggressiven Motorengeräuschen füllte. Recht ungewöhnlich, dass nachts jemand vorbeikam und sich mit dem Auto auf unser Grundstück stellte. Es wäre sehr ungewöhnlich; zumindest, wenn ich nicht davon gewusst hätte.

Genug geschlafen, genug nachgedacht. Ich wand mich mit Schwung aus dem Bett heraus und kleidete meinen Körper mit einem schwarzen Kapuzenpullover, der weit über meinen Schritt reichte. Das Haar flocht ich zu einem stattlichen Zopf zusammen und erfrischte mein Gesicht mit Wasser, ehe ich das Zimmer verließ, um vor die Tür zu gehen. Da einige Treppenstufen bei der kleinsten Last anfingen zu knarzen, stieg ich sie langsam auf den Zehenspitzen hinab, gab mir Mühe, nicht allzu viel Lärm zu verursachen. Im Eingangsbereich angelangt, betätigte ich einen Schalter, der die Umgebung vor und hinter der Haustür in gedimmtes, warmes Licht hüllte.

Der Wind peitschte gegen die glatte Haut meiner Beine, als ich den Schüssel in der Tür zweimal drehte und sie leise öffnete. Vielleicht hätte ich mir doch wenigstens eine Jogginghose anziehen sollen, oder so. Aber da ich nun hier unten war, war ich entschlossen, mich dem zu stellen, was sich draußen befand, auch wenn der Wind beißend war. Es vergingen einige Sekunden und die Tür des Autos klickte auf. Die Scheinwerfer auf der weitläufigen Motorhaube hüllten mich in weißes Licht und warfen ausgeprägte Silhouetten gegen die Hauswand. Als das Licht verblasste, standen wir uns inmitten der trüben Dunkelheit gegenüber und wussten nicht so recht, wo wir anfangen sollten.

»Dass du noch wach bist«, flüsterte er. »Warum rufst du mich an? Was willst du noch von mir?«
»Ich bin aufgewühlt, Adnan. Ich weiß nicht, was ich machen soll.« Mit diesem Satz ließ ich mich auf einer Sitzbank nieder, welche sich abseits der Haustür befand. »Lange halte ich das nicht mehr aus. Ich brauche dich und habe dich nie vergessen, mein Adnan
Adnan, der selbst in der späten Nacht noch in Hemd und schicker Jeans gekleidet war, setzte sich auf den Sitzplatz neben mir und begutachtete mich im Mondschein. Er blieb ganz ruhig und nickte, ehe er den Blick von meinem Gesicht abwandte und einen Winkel auf der gegenüberliegenden Straßenseite fixierte.

Dann seufzte er. »Ich will nur Nisan. Sie braucht mich jetzt ganz dringend und das weiß ich. Was zwischen uns beiden mal war, darf Nisan niemals erfahren. Niemals.«
»Ich habe nie verstanden, warum du dich in Nisan verliebt hast«, sprach ich ins Leere; in die Richtung, die Adnan mit seinem Blick anvisierte. Meine Stimme krächzte und war brüchig, meine Worte hinterlistig und nicht solche, die man aus dem Mund einer besten Freundin hören sollte. Ich fuhr fort: »Ihr wärt nie glücklich geworden, dafür wart ihr zu verschieden. Warum hast du dich nicht für mich entschieden?«

»Weil ich Nisan geliebt habe«, meinte er, zückte eine Zigarette und steckte sie in den äußersten Winkel seines Mundes. Die blaurote Flamme, die sein silbernes Zippo erzeugte, wärmte auch mich für kurze Zeit, ehe der Deckel zustieß. »Ich habe sie wirklich über alles geliebt...«
Genug. »Nein. Du hast mich geliebt. Das hast du mir in jener Nacht gesagt... Du wolltest doch nur mich, das weiß ich doch ganz genau...«

»Ich brauchte was zum Ficken, Gönül«, lautete die traurige Wahrheit, die er gemeinsam mit dichtem Zigarettenqualm ausstieß. Die Tatsache kam einer steinharten Backpfeife gleich. Ich spürte, wie meine Augen zu brennen begannen und die Tränen drohten, meine Wangen hinab zu kullern. »Von Nisan wollte ich die Liebe. Nur die Liebe. Wir hätten geheiratet, ein kleines Haus gebaut und Kinder gekriegt. Nisan war bereit für mich und ich hab's vergeigt. Nicht mehr, nicht weniger. Fakt ist: Nach Nisan wurde ich nicht glücklicher. Jede andere Frau ist Gift für mich.«

HABAYTIKWo Geschichten leben. Entdecke jetzt