ADNAN
Ich kickte lustlos eine der Getränkedosen weg, welche verwahrlost am Straßenrand lagen und nur darauf warteten, vom seichten Märzwind mitgetragen zu werden. Bevor ich zum letzten Sprint ansetzte, überkam mich ein seltsamer Schauer. Es fühlte sich an, als lähmte mich etwas; als wolle mein Körper mich auffordern, das Workout zu beenden und nach Hause zu gehen. Aber ich wollte nicht. Ich brauchte Luft. Luft, Freiheit – ein wenig Freiheit von allem. Aber vor allem von ihr. Nisan wollte mir nicht aus dem Kopf gehen. Sie wollte nicht verschwinden. In gewisser Weise sorgte ich mich um sie, auch wenn ich ganz genau wusste, dass sie mich am liebsten in der Luft zerreißen würde. Das Gefühl, das sie mit mir verband, war der blanke Hass. Wenn sie überhaupt noch in der Lage war, mit für mich das Gefühl des Hasses zu empfinden.
Wenigstens hatte Nisan die Anweisung Huzurs angenommen, erst einmal in seiner Klinik zu verweilen, solange sie verletzt war und wir noch keine dauerhafte Bleibe für sie gefunden hatten. Und während Nisan erst einmal versorgt war, hatte ich genug Zeit gehabt, mich um alles zu kümmern und auf Spurensuche in ihren Kreisen zu gehen. Die erste Gelegenheit hierzu sollte sich noch am selben Nachmittag ergeben.
Was Nisan nicht wusste, war, dass ich eine ihrer besten Freundinnen kontaktiert hatte, um mit ihr die Lage besprechen zu können. Die erste Person aus Nisans Umfeld stellte Gönül dar. Gönül Karayiğit, 22 Jahre alt, Kunststudentin. Und Nisans beste Freundin von damals bis heute; keine Unbekannte für mich.
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Im Trainingsanzug hatte ich mich zurück ins Viertel geschleppt und dazu eine bescheidene Dönerbude als Treffpunkt auserkoren. Hier und da fand sich die ein oder andere Person, welche mich begrüßte. Man sah mich nicht mehr allzu oft in der Stadt. Und obwohl sich einige meiner alten Freunde ganz temporär zu mir gesellten, war ich nur auf das Treffen mit Gönül aus. Um Klarheit zu schaffen. Klarheit, die mein Wissen weitergeben sollte. Das Wissen darüber, an welchem Ort Nisan war, was ihr zugestoßen war und wie es ihr momentan ging.
»Du hast dich nicht verändert, Adnan«, schreckte mich eine verurteilende, weibliche Stimme auf. Ihr kritischer Blick, mit welchem sie mich esoterisch musterte, haftete noch eine Weile an mir. Dann nahm die ruhige Blondine vor mir Platz und wartete auf meine Worte. Ich erwiderte: »Es sind auch nur vier Jahre vergangen. Wie sollte ich mich verändern?« Gönül lachte beschämt. »Du weißt, was ich meine. Dein Blick auf den Arsch der Kellnerin. Bist du immer noch so verzweifelt wie damals, als du Nisan mit einer Nutte betrogen hast?«
Ich spielte nervös mit meinem Cola-Glas herum. Die Stimnung war alles andere als locker. Gönül würde under Treffen nutzen, um den Stachel ihrer Vorwürfe immer und immer wieder in meinen Rücken zu rammen. Obwohl es mir eiskalt den Rücken herunter lief, wich mein Körper entschlossen zurück. Ich räusperte mich und schüttelte gewissenhaft den Kopf. »Nein, keineswegs. Darum geht es aber auch nicht. Ich fand Nisan schwer verletzt und habe sie ins Krankenhaus gebracht.«
»Ich glaube dir kein Wort«, protestierte Gönül inzwischen. »Was versuchst du, Adnan? War dir Nisans gebrochenes Herz nicht genug? Musst du das Glück ihrer Ehe nun zerstören, weil du gemerkt hast, dass du sie nicht mehr kriegen kannst?«
Gönül hielt sich hartnäckig. Obwohl mir neu war, dass Nisan verheiratet war, wusste ich, dass es schwer werden würde, ihrer Freundin das Gesagte passend rüberzubringen. Aber wie sollte Gönül sich über Nisans Glück sicher sein, wenn Nisan die letzten Tage beinahe durchgehend geschlafen hatte und nicht dazu fähig war, zu ihrer besten Freundin Kontakt aufzunehmen?
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HABAYTIK
Romance• حَبَّيْتك • arabisch für „Ich habe dich geliebt" Hin und hergerissen zwischen Tradition und Moderne, irrt die junge Deutschtürkin Nisan durchs Leben, bevor ihre Familie beschließt, sie an einen fremden Mann zu verheiraten. Nisan läuft davon und m...