25 | Zuflucht.

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ADNAN

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22:00

»Glücklicherweise muss die Wunde nicht genäht werden«, murmelte Merwan, als er die Wunde auf Nisans Schläfe mit Desinfektionsspray reinigte und währenddessen immer wieder etwas Medizinisches, Unverständliches fachsimpelte. »Das heilt in den nächsten Tagen von alleine. Gute Besserung.«

Nachdem Merwan die Wunde mit einem dicken Pflaster versehen hatte, packte er all den Kram, den er in seinem Verbandskasten mitgeschleppt hatte, zusammen und steuerte auf die Tür zu. Dann drehte er sich noch einmal in unsere Richtung um.

»Nisan, richtig?«, fragte er und stellte den Verbandskasten kurz auf dem Boden ab. »Ich weiß ja ungefähr, was los ist. Du solltest zum Arzt fahren, um deine Verletzungen dokumentieren zu lassen. Das sind Beweise, die dir weiterhelfen können. Mach was draus.«

Merwan verließ das Zimmer; Nisan hingegen sah mich unbeholfen an, als wüsste sie nicht, was sie auf seinen Vorschlag antworten sollte. »Er hat recht, wir müssen was tun«, meinte ich. »Aber das kann noch bis morgen warten. Das Wichtigste ist, dass du nun in Sicherheit bist.«

»Heute Morgen hätte ich gelacht, wenn man mir erzählt hätte, dass ich zu dir komme. Ich will dir ja keine Umstände bereiten ... aber alles ging so schnell. Ich erfuhr von Gönül und dir, wollte sie zur Rede stellen und auf einmal stand Salman im Flur ... ich wusste am Ende nicht, wo ich hin soll.«

»Hab kein schlechtes Gewissen.« Ich versuchte, Nisan mit einem warmen Lächeln zu beruhigen. »Du bleibst so lange hier, wie du willst. Ich sollte zwar meiner Mutter Bescheid sagen, dass unser Haushalt wächst, aber das hat bis morgen Zeit.«

Wir saßen beieinander, ohne unser Gespräch fortzuführen. Die Distanz zwischen uns war erdrückend, für Nisan jedoch ein wichtiger Schutzmechanismus. Nach allem, was passiert war, konnte ich es ihr nicht einmal verübeln. Nachdem das Gespräch vorüber war, wanderte sie zum Spiegel und betrachtete ihr Gesicht. Als sie bemerkte, dass ein weitläufiger Bereich um ihr linkes Auge herum mit dunklen Blessuren und Blutergüssen eingedeckt war, senkte sie betroffen den Kopf.

Obwohl ich mich zunächst zierte, mich zu äußern, rutschten mir die Gedanken einfach so heraus: »Du bist so schön, das kann noch nicht mal ein blaues Auge ändern. Und um deinen starken Willen kann ich dich nur beneiden.«

Sie schaute verlegen zu mir, lächelte und wandte sich vom Spiegel ab. »Ich bin nicht stark, es ist nur ...« Nisan haderte kurz mit den Worten, fuhr mit den Händen nervös durch das braune Haar und sprach: »In gefährlichen Situationen sind wir dazu fähig, Unmögliches zu tun. Ich hatte nur Glück, das ist alles.«

Zum Abschluss gähnte sie, was für mich das Zeichen war, ihr Ruhe zu gewähren und mich selbst langsam bettfertig zu machen.

Ohne ihr zu antworten, begab ich mich zum Schrank, um Bettdecke und Kissen zu suchen. Obwohl mein Gesprächsbedarf noch lange nicht gedeckt war, musste ich mir eingestehen, dass Nisan Ruhe brauchte, um sich zu sammeln.

»Dann hoffentlich gute Nacht«, sprach ich.
»Soll ich nicht lieber auf dem Sofa schlafen?«, erkundigte sie sich schüchtern. »Sonst fühle ich mich schlecht. Ich will mich bei euch nicht zu breit machen.«

»Auf keinen Fall«, entgegnete ich. »Was wäre ich für ein Gastgeber, wenn ich dich auf dem Sofa schlafen lasse? Im Wohnzimmer ist es morgens zu laut. Außerdem kann dir ruhiger Schlaf ganz guttun. Falls du duschen oder auf Toilette musst, ist das Badezimmer direkt gegenüber. Also gute Nacht.«

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