HILAL
Die Wohnungstür fiel mit Schwung und voller Lautstärke in ihr Schloss, sodass ich aus meinem Halbschlaf erwachte und mein Puls im Hauch einer Millisekunde in die Höhe schnellte. Es war draußen schon recht dunkel geworden, sodass ich erst auf die Taschenlampe meines Handys zurückgreifen musste, um mich in meinem kleinen Zimmer orientieren zu können.
Dennoch bemühte ich mich nicht mehr, den Lichtschalter ausfindig zu machen und öffnete die Zimmertür, woraufhin ich in einen zunächst grellen, aber warmweißen Film aus Licht gehüllt wurde. Weiter entfernt vernahm ich allmählich abflauende Schritte, welche darauf hindeuteten, dass einer meiner beiden Brüder heimgekommen sein musste. Klick. Das charakteristische Zischen eines Gasfeuerzeuges ließ mich sofort erkennen, dass Adnan die Person war. Er war der einzige von uns, der regelmäßig zu Zigaretten griff.
Leise schritt ich voran und tastete mich mit den Zehenspitzen die drei Stufen herauf, die den Flur und die Garderobe von unserem Wohnbereich trennten. Ich lehnte mich an den Türbogen an und musterte meinen Bruder vorsichtig. Adnan wirkte düster, begrüßte mich gar nicht. Für einen Moment ging ich sogar davon aus, dass er meine Anwesenheit nicht bemerkt hatte, denn die Augen hielt er die ganze Zeit geschlossen. Er fuhr ab und an mit der freien Hand durch die leicht genässten Wellen und führte die dünne Zigarette von seinem Mund ab, um dicken Zigarettenqualm auszustoßen.
»Shu majnune*«, flüsterte ich in seine Richtung und ließ ein tiefes Grinsen folgen. Adnan legte die Kippe in der Einbuchtung seines Aschenbechers ab und musterte mich. »Warum bin ich verrückt*, hm?«, fragte er. »Ist das die Art und Weise, wie man seinen großen Bruder begrüßt?«
Ich nickte. »Mama sagt, du sollst nicht immer in der Wohnung rauchen. Da erwartest du wirklich eine anständige Begrüßung von mir?«
Obwohl sich in seinem Gesicht über Sekunden nichts tat, begann Adnan wenig später, breit zu grinsen. Wir lachten kurz miteinander, ehe er seine halb abgeglommene Zigarette nahm, sich aus dem Sessel erhob und auf die Balkontür deutete.Es war frisch draußen und ich hasste das Gefühl von Kälte wirklich wie die Pest, doch für wenige Minuten würde es schon okay gehen. Gedanklich war ich immer noch beim Thema Rauchen in der Wohnung. »Im Ernst, wenn sie riecht, dass du im Wohnzimmer geraucht hast, rastet sie bestimmt aus«, mutmaßte ich. »Und dann bin ich diejenige, die mit Hausarbeiten abgestraft wird. Ganz toll, ja.«
»Habibi«, flüsterte Adnan, ehe er den letzten Zug von der Zigarette nahm. »Ich kann nicht mehr. Sie will mich einfach nicht zurück haben.« Betroffen schnipste Adnan die Zigarette auf die Straßenseite gegenüber und stützte sich dann am Geländer ab. Er blickte in die Ferne und betrachtete auf der Straße vor dem Haus die Autos, die hin und her fuhren. Bevor ich fragen konnte, wen er meinte, fuhr er fort. »Bevor ich dir erzähle, was los ist, muss ich ehrlich mit dir sein: Ich war ein sehr untreuer Mensch und habe die Frau verletzt, dessen große Liebe ich war.«
Ich trat ebenfalls ans Geländer heran und tat es ihm nach. Begutachtete die Autos, die sich fein säuberlich vor der Ampel am Knotenpunkt einer Straßenkreuzung sammelten. »Na ja, mit Mädchen hattest du schon früher viel zu tun«, stimmte ich zu. »Aber untreu? Das ist mir neu.«
Und damit log ich noch nicht mal.
Adnan und untreu? Dass Adnan ein Fremdgänger war, wäre eine Sache gewesen, die ich ohne Gnade zurückgewiesen hätte, wenn man mich danach gefragt hätte. Da Adnan sich vor der eigenen Familie gut benahm, konnte ich mir überhaupt nicht vorstellen, dass er der Typ war, der Frauen die Herzen brach. Anscheinend hatte ich mich in meinem Bruder getäuscht.»Das ist nun vier Jahre her«, erklärte er. »Nisan wäre bei mir geblieben, sie ist immerhin ein sehr loyaler Mensch. Ich hingegen habe unsere Beziehung nicht ernst genommen, uns beide mit Füßen getreten. Na ja, und jetzt ...«, er stoppte.
»Du leidest unter dem Verlust, hm?« Meine Hand wanderte auf seine Schulter. Ich hatte gespürt, wie seine Stimme zitterte, als er den Namen Nisan nannte. Mir brach es das Herz, Adnan so niedergeschlagen zu sehen.
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HABAYTIK
Romance• حَبَّيْتك • arabisch für „Ich habe dich geliebt" Hin und hergerissen zwischen Tradition und Moderne, irrt die junge Deutschtürkin Nisan durchs Leben, bevor ihre Familie beschließt, sie an einen fremden Mann zu verheiraten. Nisan läuft davon und m...