15 | Das Wiedersehen. (2/2)

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NISAN

Manchmal führt uns das Schicksal ausgerechnet mit den Menschen zusammen, von denen wir nicht erwartet hätten, sie unter normalen Umständen noch einmal wiederzusehen.

Menschen, die sich vor langer Zeit aus unserem Leben verabschiedet haben. Menschen, die an Bedeutung verloren haben, und trotzdem nichts Besseres zu tun wissen, als irgendwann in unser Leben zurückzukehren und eine dicke, klaffende Wunde aufzureißen. Letztendlich bleibt uns nur die Frage, ob Gott all das für uns vorsieht, oder uns das Schicksal einen ganz merkwürdigen und geschmacklosen Streich spielt.

Bei dir war es so, Adnan. Ich fühlte mich unwohl, als wir uns im Wald begegneten. Wenn du keinen Sport machen würdest und jederzeit bereit dazu wärst, mich einzuholen, wäre ich einfach vor dir weggerannt. Wie du mich ansahst, wie du mich ansprachst und so tatest, als sei alles normal und das Aufeinandertreffen zwischen uns ganz normal. Als seien wir einfach nur zwei Fremde, die sich im Wald begegneten und einen Smalltalk hielten. Aber zumindest für den Moment sah es so aus, als sei ich dir schutzlos ausgeliefert und würde nicht nicht an dir vorbei kommen. Du hattest ja immerhin nicht vor, mich wortlos davonkommen zu lassen.

• • •

»Na, sieh mal einer an«, rief er. »Dass ich gerade dich hier treffe, hätte ich nicht mal im tollsten Traum erwartet.« Es gelang mir nicht, auch nur ein einziges Wort zu sagen. Ich starrte Adnan nur an. »Krasser Zufall, dass wir uns treffen«, raunte Adnans Stimme, bevor er seinen Blick in den Himmel hob. »Wenn ich jetzt eine Million Euro haben könnte, wäre das auch super!«

Es war das erste Mal, dass wir uns wiedersahen, seit ich Huzurs Klinik verlassen hatte. Adnan war Tag für Tag bei mir gewesen, um nach dem Rechten zu sehen. Egal ob abends oder tagsüber, Adnan war da gewesen. Ehrlich gestanden hatte ich gehofft, dass ich ihm fürs Erste nicht wieder begegnen würde. Doch nun traf ich Adnan aus heiterem Himmel wieder, und es fühlte sich alles andere als toll an; seine Präsenz war mir eher unangenehm.

»Ich wollte gerade gehen«, sprach ich. »Eigentlich wollte ich zurück sein, bevor Gönül wach ist.« Doch meine Finger lagen noch immer auf den beiden Buchstaben auf, die Adnan damals in die Bank geritzt hatte. Konnte er nicht einfach abhauen und mich hier alleine lassen?

Er nickte. »Das trifft sich gut. Ich habe mein Auto unten auf dem Parkplatz geparkt, bis dahin können wir ja etwas quatschen.«

Ich begutachtete Adnan einen Moment lang. Schon damals war er regelmäßig joggen und ins Fitnessstudio gegangen, was ganz im Gegensatz zu seinem Zigarettenkonsum stand. Als stellten seine Zigaretten ein existenzielles Gut dar, trug er die XXL-Packung Marlboro immerzu in seiner Hand mit sich herum, tat so, als existierten keine Taschen, in denen er sie verstauen konnte. Wie man mit derart Ungesundem prahlen konnte, war mir damals wie heute schleierhaft. Ebenso fragte ich mich, wie es Adnan gelang, niemals nach Zigarettenqualm zu stinken. Er war mir ein Rätsel.

»Kommst du?«, fragte Adnan und fischte mich aus den Gedanken, in denen ich mich verloren hatte. Ich erhob mich aus der Sitzhaltung und gab mich ihm, wenn auch widerwillig, hin. »Du ziehst das Joggen also konsequent durch?«, gab ich mehr spöttisch als interessiert von mir. »Immer, wenn ich Sport treiben wollte, habe ich es höchstens zum nächsten McDonalds geschafft.«
Adnan lachte, strich sich sorgfältig eine Strähne aus dem Gesicht. »Mittlerweile ziehe ich das Joggen knallhart durch, ja. Ich habe ja kaum Freunde, aber dafür Beruf und Sport.«

Sefa war der einzige von Adnans Freunden, den ich kennengelernt hatte. Ein tollpatschiger und bescheidener, aber dafür liebenswerter Mann, der den Menschen in seinem Umfeld grundsätzlich mehr gab, als er ihnen nahm. Das war wohl der Grund, weswegen Adnan mir nur Sefa vorgestellt hatte. Ich mochte ihn, aber als Adnan gegangen war, war auch Sefa aus meinem Leben gewichen.

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