18 | Die vermisste Ehefrau.

1.7K 112 62
                                    

ADNAN

Im Halbschlaf kauerte ich auf dem Schreibtisch, der aus massivem Eichenholz bestand und schon länger Zeit nicht aufgeräumt worden war. Es war elf Uhr und ich war todmüde. Überall lagen Bällchen aus Notizzetteln herum. Ebenso verstreut waren ein Dutzend Textmarker und Kugelschreiber, die eigentlich in eine dafür vorgesehene Dose gehörten.

Das war mein Arbeitsplatz: Erfüllte seinen Zweck, auch wenn mir die chronischer Unordnung ständig Stress mit dem Chef einbrachte. Ich arbeitete bei der Polizei, da müsste ich Rücksicht darauf nehmen, dass ich Tag ein, Tag aus mit Menschen zu tun hatte. Aber bisher war mir das scheiß egal gewesen. Ich war kein Polizist, sondern einfach nur ein Verwaltungsangestellter, der seine Arbeit sonst gut in den Griff bekam. War doch alles gut?

Mein Blick ging dauernd auf die Uhr. Es gab nicht viel zu tun, in zehn Minuten stand die Mittagspause an. Ich sah mich im McDonald's stehen, wie ich irgendein ungesundes Menü verdrückte.

Ich setzte mich aufrecht hin, als meine Kollegin Sandra aus dem benachbarten Büro im Eingang stand. Das weißblonde Haar fiel in Strähnen über ihre zierlichen Schultern. Ihr Kleid, ein grauer Einteiler, saß hauteng an ihren breit gewordenen Hüften. Sie hatte ein wenig zugenommen, sodass ich mir ab und zu die Frage stellte, ob sie spontan schwanger geworden war. Da ich freundlich sein wollte, sprach ich meine Vermutung allerdings nicht laut aus.

»Du, Adnan?«, rief sie in hoher Lautstärke.
»Wir sind alleine. Ich höre dich«, meinte ich.
Sie nickte anerkennend und nahm auf dem Stuhl vor mir Platz und spielte mit einem roten Fineliner herum. »Machst du Pause? Ich muss zum Arzt und hab noch zwei Leute draußen sitzen.«
Ich seufzte, sah auf die Uhr. Genau jetzt begann meine eigentliche Mittagspause. »Hat denn von den Polizisten keiner Zeit? Meine Pause brauche ich echt, sonst bin ich echt schlecht gelaunt.«

In die zartroten Wangen zwangen sich tiefe Grübchen, die von tiefer Konsequenz begleitet wurden. »Wovon brauchst du denn Pause? Du hast fast geschlafen, als ich reingekommen bin. Außerdem sortierst du den lieben langen Tag nur Akten und schreibst Mails.«
»Hat denn von den Polizisten keiner Zeit?«, beharrte ich stur auf meiner Frage. Ich begann damit, die ganze Unordnung auf meinem Schreibtisch zu entsorgen.

Groteskes Kopfschütteln ihrerseits. »Nein«, meinte sie. »Es gab Unruhen bei einer Demo, da ist direkt der ganze Trupp los. Denkst du, ich würde damit sonst zu dir kommen? Erweise dich mal als engagiert und du kannst die Höhle hier irgendwann gegen ein schönes, helles Büro eintauschen. Ist ja echt die reinste Tristesse bei dir.«

»Wie du willst«, meinte ich und erhob mich aus dem Schreibtischstuhl. Einverstanden nickte ich ihr zu und warf einen Haufen Notizzettel, den ich zu einem Ball geformt hatte, in den Abfall. Auf ihren dankenden Blick hin konnte ich nicht anders. Ich betrachtete ihre Hüften und das kleine Bäuchlein, bis sich unsere Blicke wieder trafen. »Sag mal ... ich möchte nicht unhöflich klingen, aber erwartest du Nachwuchs, oder so?«

Sandra lachte verlegen, ihr Gesicht färbte sich herzhaft rot. Entweder war ihr die Zunahme an Gewicht also unangenehm, oder sie fühlte sich von mir ertappt. »Erwischt. Ich bin im vierten Monat schwanger und habe gleich einen Ultraschalltermin.«

Wurde ja auch mal Zeit, dass Sandra schwanger wurde. Keine Frage, sie sah gut aus und war eine nette Kollegin, doch sie war auch schon mindestens 30 und kinderlos. Bereits einmal unglücklich verheiratet gewesen und nun ... schwanger. Ich freute mich für sie, auch wenn ich das nicht mit vollster Euphorie zur Geltung brachte.

HABAYTIKWo Geschichten leben. Entdecke jetzt