NISAN
Es war ziemlich kalt. Ich kuschelte mich feste in die schwarz gehaltene Jacke und beobachtete, wie der Atem in Gestalt kleiner, halbtransparenter Wolken in die Atmosphäre emporstieg. Ich hustete, zitterte ein bisschen vor mich hin. An die kalte Jahreszeit hatte ich mich noch nicht gewöhnt, die letzte Zeit generell drin verbracht.
Als ich genug von den umliegenden Neubauten und dem glitzernden Tau auf der Wiese hatte, trat ich einen Schritt zurück. Ich beschloss, wieder rein zu gehen und mir einen Tee, irgendwas Warmes zu gönnen. Den Blick richtete ich stets auf den Fußboden, trippelte auf bloßen Zehnspitzen über die Türschwelle... und stieß gegen einem starren Oberkörper, der mich wie eine Wand abprallen ließ. »Was zum...?!«, fluchte ich, verstummte allerdings.
Als ich aufschaute, blickte ich in müde, braune Augen. Die Tür fiel ins Schloss. Ich versuchte, ihm keine Beachtung zu schenken, allerdings schlich sich gleich darauf ein breites Grinsen über seine Lippen, was bedeutete, dass er mich in ein Gespräch einbinden würde. »Ich dachte, wir hätten hier einen Einbrecher«, flüsterte Onur. Meine Augenbrauen verzogen sich gleich darauf. »Einbrecher... um acht Uhr, wenn es gerade hell wird?«
»Sag niemals nie«, stammelte Onur.
»Sage ich doch gar nicht«, meinte ich. Wir verfielen in stilles Gelächter.
Ich striff die Jacke vom Körper und hing sie in eine kleine Garderobe zu den restlichen Mänteln. Die Jacke war für Männer zugeschnitten und mir somit drei oder vier Nummern zu groß. Onur sah mich mit tiefer Verwunderung an, richtete seinen Blick kurz darauf auf die Uhr an seinem Arm. »Ich will Brötchen holen und ein paar Dinge einkaufen. Hast du Lust, mitzukommen?«
»Würde ich ja, aber Gönül...«, erklärte ich. »Sie sieht uns nicht gern miteinander. Du baggerst ihre Freundinnen an.« Onur lachte, tat aber keine besondere Mühe damit, den Vorwurf abzuweisen. »Nisan, du bist Familie. Wenn ich Interesse an dir hätte, würde ich es dir sagen. Wir holen nur Essen, mehr nicht. Bist du dabei?«Reflexartig musterte ich die Umgebung, fixierte die Treppe und einzelnen Raumeingänge, nur um festzustellen, dass uns zweien niemand zuhörte. Als ich mir ganz sicher war, gab ich mich seinem Angebot schließlich doch geschlagen. Ich hoffte, dass ich nicht allzu verkrampft und unsicher wirkte. »Okay, sie schläft bestimmt noch. Darf ich mir deine Jacke nochmal ausleihen?«
Onur begegnete meiner Aussage mit einem bereitschaftlichen Nicken. Er half mir sogar in die Jacke, als ich mich ganz merkwürdig in den Ärmeln verfing. Mit gemischten Gefühlen hinsichtlich Gönül, folgte ich Onur bis zu seinem Auto, einem silbernen Opel Corsa, in welchem ich mich behutsam auf den Beifahrersitz sinken ließ. Die Autotür schmiss ich jedoch lauter als geplant zu.
Onur hob die linke Augenbraue an und kicherte. »Dafür, dass Gönül uns nicht sehen soll, bist du viel zu laut.« Ich schnallte mich an und schaute zunächst griesgrämig drein. Allerdings lockerte sich meine Miene, als Onur mir einen seichten Anschubser gab, bevor er den Wagen startete. »Welche Musik hörst du, Nisan?«
»Hast du was von Beyoncé, oder so?«
»Beyoncé?«, erkundigte er sich gespannt. »Nö, so was höre ich nicht. Aber wir können was von Müslüm Gürses hören!« Ich zögerte kurz; Onurs Zeigefinger stoppte vor dem Display. »Nein«, funkte ich dazwischen. »Den mag ich gar nicht so. Rihanna vielleicht?«, hakte ich nach. Kopfschütteln. »Oh, oder dieses eine Lied von Ed Sheeran....« Onur schritt mir ins Wort. »Was willst du mit dem westlichen Kram? Das ist billig produzierte Musik, Nisan. Wir hören gute, türkische Musik.«
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HABAYTIK
Romance• حَبَّيْتك • arabisch für „Ich habe dich geliebt" Hin und hergerissen zwischen Tradition und Moderne, irrt die junge Deutschtürkin Nisan durchs Leben, bevor ihre Familie beschließt, sie an einen fremden Mann zu verheiraten. Nisan läuft davon und m...