Es vergehen Stunden. Stunden, in denen wir nicht reden, uns nur anschweigen. Ich würde sowieso keine Worte finden, um Chiara zu trösten oder irgendwie den Schmerz zu nehmen. Valentina und Agus' Schwester sind noch nicht wieder hier gewesen. Ich hoffe dem Baby gehts gut. Ich kann mir vorstellen, wie leer Chia sich gerade fühlen muss.
Sie weint nicht. Zieht kein trauriges Gesicht. Ein wenig Angst macht sie mir ja schon damit. Ich fühle mich unsicher, weiß nicht wirklich was ich machen soll. Ich will keinen Fehler machen, nicht das Chiara sauer wird oder sich vor mir verschließt.
Ich glaube sie ist mit der Gesamtsituation überfordert oder realisiert es einfach noch nicht. Beides wäre absolut verständlich.
"Soll ich mal nach deinem Baby schauen?", frage ich irgendwann, löse mich von der Blondine. Sie bekommt nichts weiter, außer ein Nicken zustande.
"Ich bin gleich wieder da", drücke ich ihr einen Kuss auf die Stirn und verlasse das Zimmer. Ich muss nur ein paar Meter laufen und schon entdecke ich meine Freundin.
"Und? Wo ist er?"
"Auf der Säuglingsstation, er ist schwach, aber es geht ihm gut. Willst du ihn mal sehen?"
Ich nicke und schweigend führt sie mich durchs Krankenhaus. Vor dem Fenster steht Agus' Schwester, betrachtet ihren Neffen.
"Welcher ist er?"
Valentina zeigt auf das Baby, welches ganz vorn ist. Zu dritt schauen wir durch die Glasscheibe.
"Wusstet ihr, dass es ihm so schlecht ging?", will Carolina wissen und sucht den Blickkontakt. Agus hat sie uns zur Hochzeit vorgestellt und sie war wie wir eine der Eingeweihten, was seinen Tumor betrifft.
"Er hatte immer mal gute und schlechte Tage."
"Habt ihr die letzten Tage mit ihm gesprochen?", hakt sie weiter nach. Wir schütteln unsere Köpfe. Ich habe immer nur kurz mit Chiara geschrieben, wollte wissen, ob das Baby schon unterwegs ist.
"Wir müssen es Chiara erzählen", überrascht Valentina mich mit ihren Worten, "Ich kann ihr das nicht länger verschweigen, sie muss es erfahren."
"In ihrem aktuellen Zustand wäre das absolut verrückt. Wir können ihr das nicht sagen, nicht jetzt. Sie hat gerade ihren Mann verloren, ihren Sohn darf sie nicht bei sich haben..ihre ganze Welt zerbricht gerade", versuche ich meine Freundin vom Gegenteil zu überzeugen.
Valu wollte ihr es schon öfters erzählen, ich konnte sie immer gerade so davon abhalten. Insgeheim weiß ich aber, das Vale nie was sagen würde.
"Umso länger wir warten, desto schlimmer wird es."
"Was soll ich denn sagen? Hey Chia, ich weiß, es ist gerade ungünstig, aber wir wussten von Agus' Tumor, sorry das wir nichts gesagt haben?"
"Etwas feinfühliger", verdreht Vale ihre Augen und ich lege seufzend den Kopf in den Nacken. Ich verstehe was sie meint, aber das geht nicht. Nicht jetzt.
"Es wäre unklug ihr jetzt davon zu erzählen", stellt sich Carolina auf meine Seite und dankbar nicke ich ihr zu. Dafür das ihr Bruder tot ist, wirkt sie sehr gefasst, aber sie wusste ja auch wie wir, das es irgendwann passiert.
"Ich befürworte das immernoch nicht", brummt meine Freundin, scheint sich aber damit abzufinden, als sie wieder zu Chiaras Baby schaut. Der Kleine ist ebenso der Leidtragende.
Als eine Krankenschwester vorbeiläuft, halte ich sie auf und frage, wann Chiara endlich ihren Sohn sehen kann. Er wird gleich nochmal untersucht und wenn alles gut ist, dann wird er zu ihr gebracht.
Die Untersuchung zieht sich wie ein Kaugummi, aber letztlich bringt eine Krankenschwester das Baby zu Chiara. Ihr Blick ist leer, als sie ihn auf den Arm nimmt. Wir drei stehen wie fehl am Platz im Zimmer herum, doch Chia wirkt noch mehr wie ein Fremdkörper. Das ist nicht meine beste Freundin, so wie ich sie kenne.
Ich bewege mich als erstes von der Stelle, setze mich zu Chiara und ihrem Sohn ans Bett.
"Hat er schon einen Namen?", versuche ich ein Gespräch aufzubauen und die Blondine nickt, wirkt jedoch abwesend.
"Wie heißt er?", will ich wissen und blicke dem kleinen Mann ins Gesicht. Er ist zuckersüß. Winzig, aber trotzdem schon so voller Leben.
"Agustín", antwortet sie und mein Blick gleitet vom Baby zu ihr.
Ich muss mir ein paar Worte verkneifen, damit ich nicht noch etwas unbedachtes äußere. Chiara würde es vermutlich nicht mal mitbekommen, aber besser ist, wenn ich erstmal schweige.
Chiara hat ein Problem und es wird eine Weile dauern, bis wir dieses lösen. Jedoch werde ich voll und ganz hinter ihr stehen und für sie da sein.
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Fertig fürs Bett, geselle ich mich zu Valentina ins Schlafzimmer. Sie sitzt auf ihrer Bettseite, ein Buch über postpartale Depression vor der Nase.
Wir können noch nicht davon ausgehen, das Chiara diese Depressionen bekommt, aber so wie sie heute auf ihr Kind regiert hat, kann es darauf hinauslaufen.
Es ist gut, wenn wir uns damit auseinandersetzen, damit wir Chiara helfen können.
"Soll ich das Licht ausmachen, willst du schlafen?", fragt Valu, legt ihr Buch zur Seite.
"Nein, ich kann sowieso noch nicht schlafen", erwidere ich und blicke an die Decke. Der Tag ist viel zu aufregend gewesen, negativ gesehen.
Eigentlich wollte ich nicht nach Hause, aber Chiara hat sowieso nicht viel mit mir gesprochen und eine wirkliche Unterstützung wäre ich im Krankenhaus auch nicht.
"Komm her", klopft Valentina auf ihren Schoß und ich lege meinen Kopf darauf ab.
"Mach dir keine Vorwürfe, für das, was passiert ist", fängt sie an durch meine Haare zu streichen und ich schließe meine Augen.
"Das sagt sich so leicht. Ich würde ihr so gern helfen, aber ich weiß einfach nicht wie."
"Du kannst ihr gerade nicht helfen", murmelt Valu und drückt mir einen Kuss auf die Stirn, "Du kannst für sie da sein, eine weitere Option gibt es nicht."
"Für sie da sein? Das soll alles sein? Ich muss aktiv werden, ich kann doch nicht einfach nur zuschauen."
"Shhh, beruhige dich", küsst Valentina erneut meine Stirn und streicht durch meine Haare.
"Ihre Eltern sind informiert, sie werden sich um Chiara kümmern."
"Ich will mich kümmern. Sie ist meine Familie, die einzige, die ich habe."
Ihre Eltern verstehen sie doch sowieso nicht. Schön und gut, sie kamen zur Hochzeit und haben sich entschuldigt, aber ihr Verhalten ist nicht wiedergutzumachen. Nie im Leben würde ich mein Kind auch nur eine Sekunde im Stich lassen und das haben beide getan, nachdem sie von ihrer Schwangerschaft erfahren haben.
"Du hast mich, ich bin auch deine Familie."
Ich sehe Valentinas fragenden Blick, weswegen ich meine Hände an ihre Wangen lege und sie für einen Kuss zu mir herunterziehe.
"Natürlich bist du meine Familie, ich liebe dich über alles, das steht außer Frage."
"Ich bin immer auf deiner Seite, Liebling, es kommen auch wieder gute Zeiten."
Aktuell habe ich das Gefühl, es gibt nur noch schlechte Zeiten. Ich sehe kein Licht am Ende des Tunnels, kein Bergauf...nichts. Wenn ich schon so fühle, wie fühlt sich dann bloß Chiara?
Ja, wie fühlt sich wohl Chiara? :(
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What About Us?
FanfictionChiara führt ein sorgenfreies Leben in Argentinien, bis sie schwanger wird. Der Vater des Ungeborenen macht sich aus dem Staub und auch ihre Eltern stehen der Schwangerschaft kritisch gegenüber. Nur ihr bester Freund Jorge steht voll und ganz hinter...