34. Best friends

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Chiara

Vier Wochen. Solange ist die Auseinandersetzung mit Jorge her. Seitdem habe ich auf keine seiner Nachrichten oder Anrufe reagiert. Ich habe keine Ahnung, wie ich ihm jemals wieder vertrauen sollte. Warum muss alles in meinem Leben schief laufen? 

Der einzige Lichtblick ist mein Baby. Jetzt, wo ich auf mich alleine gestellt bin und nach zahlreichen Heulattacken, synchron mit dem Kleinen natürlich, haben wir uns ganz gut eingespielt. Ich muss zwar noch so viel lernen, aber ich fühle mich nicht mehr so aufgeschmissen wie vorher.

Allerdings ist das Leben in dieser Wohnung die Hölle. Ich sehe überall Agus vor mir. Es treibt mich in den Wahnsinn. Es hat Tage gedauert, bis ich mich überhaupt in die anderen Zimmer, als das Wohnzimmer und das Kinderzimmer getraut habe. Heute habe ich mir vorgenommen in sein Arbeitszimmer zu gehen. Ich muss mich meiner Angst und der Zukunft stellen. 

Agustín kommt nicht mehr zurück. Nie wieder. 

Ich habe es gerade geschafft den Kleinen zum Schlafen zu bringen, da schleiche ich mich auch schon aus dem Zimmer und gehe geradewegs ins Arbeitszimmer. Das Babyfon stelle ich auf dem Bücherregal, direkt neben der Tür ab und dann versuche ich Ordnung zu schaffen. Agus' Eltern und seine Schwester waren schon hier, haben für die Firma ein paar Sachen mitgenommen, die wichtig sind. Desweiteren haben sie ein Testament gefunden, was mich ebenfalls betrifft. 

Ich erbe so gut wie alles. Geld, Firmenanteile, die Wohnung. Nur bringt mir das Agus nicht zurück und das ist das einzige was ich brauch und will. Seine Liebe. Seine Stimme hören. In seine Augen sehen. Mit ihm über den größten Schwachsinn lachen. 

Schnell blinzle ich die Tränen weg. Ich darf nicht wieder weinen. Das hätte Agus auch nicht gewollt. Er wollte das ich glücklich bin und mein Leben lebe. 

Ich versuche ein wenig Ordnung in das Chaos zu schaffen und entdecke dabei unter einem riesigen Haufen von Papier ein kleines Büchlein. Ich ziehe den Stuhl zu mir heran, setze mich hin und blättere durch. Eigentlich erwarte ich ein kleines Haushaltsbuch oder so, aber stattdessen handelt es sich um eine Art Tagebuch. 

Die erste Seite beginnt mit dem Datum, an dem wir uns kennengelernt haben. Ich sollte das nicht lesen, aber ich bin zu neugierig, ich kann nicht anders. 

Kaum zu glauben 'Tagebuch', aber ich bin euphorisch hier reinzuschreiben. Vor ein paar Stunden wollte ich mich noch umbringen, denn meine Diagnose ist der sichere Tod, also warum diesen noch hinauszögern? Tja und kaum bin ich eine Stunde unterwegs treffe ich SIE. Chiara. Ihren Namen nur zu schreiben bringt mich zum lächeln. Der Abend war perfekt. Mehr als das, ich hätte sie am liebsten einfach nur geküsst und dann mit zu mir genommen, weil sie scheinbar das ist, was mir gefehlt hat. Aber ich wollte nichts überstürzen und jetzt habe ich einen Grund um zu kämpfen. Ich werde diesem Tumor den Kampf ansagen und gewinnen.

Kraftlos klappe ich das Buch zu und beginne hemmungslos zu weinen. Es ist ein halber Zusammenbruch. Ich wusste nicht, das ich sein Leben vorläufig gerettet hatte. Ich wusste nicht, das es derart schlimm um ihn stand. Deswegen war er manchmal so lang hier drin, obwohl er gar nicht so viel zutun hatte nach eigener Aussage. Ich kann nicht weiterlesen. Dann würden nur Tränen aufs Papier kommen und die Tinte würde verschmieren. Ich muss erstmal wieder runterkommen und mich halbwegs beruhigen. Vielleicht jeden Tag ein Eintrag. Oder jede Woche? Jeder Monat wäre vermutlich am besten für mich. 

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Agustín liegt in der Kutsche und zusammen spazieren wir durch den Park. Frische Luft hat schon immer etwas geholfen und dem Kleinen scheint es draußen auch zu gefallen. Ich achte gar nicht wirklich auf meine Umgebung, habe eigentlich nur Augen für mein Baby. Ich liebe ihn. Es hat gedauert und vermutlich sollte ich ihn mehr lieben, als ich das gerade tue, aber ich werde ihn nicht weggeben. Niemals.

Ich mache an einer Bank Rast, trinke einen Schluck. Es ist zu kalt um sich hinzusetzen, aber ein paar Sekunde stehen bleiben ist okay. Ich lasse meinen Blick über den Park schweifen. Es ist wunderschön hier, ich wünschte Agus könnte es sehen. 

"Hey", spricht mich jemand von der Seite an. Sofort weiß ich das es Jorge ist. Er trägt kurze Sportsachen, sieht ziemlich fertig aus. Keine Ahnung, wie ich ihn begrüßen soll, also lächel ich nur gezwungen und schaue sofort wieder weg.

"Gehst du mir jetzt für immer aus dem Weg? Willst du mich nie wieder sehen?"

Er klingt verletzt. Traurig und auch sauer. 

"Ich dachte immer wir können uns alles sagen", murmle ich, schaue bei Agus nach dem Rechten. Er döst schon wieder friedlich vor sich hin. 

"Ich wollte. Wirklich. Ich musste mich anstrengen, das ich dir nichts verrate. Ich hatte es ihm versprochen und ich wollte ihn auch nicht verpfeifen. Du solltest glücklich sein, die Monate mit ihm genießen, ohne im Hinterkopf zu haben, das er irgendwann stirbt."

"Da lieber soll es mich einfach so aus dem Nichts treffen, das von einem auf den anderen Tag meine Welt zusammenbricht, das ist ja so viel besser", blaffe ich ihn an, obwohl er grundsätzlich nicht daran Schuld ist.

"Agus hat mich angefleht, es dir nicht zu sagen. Vielleicht war meine Entscheidung falsch, aber ich bereue es nicht. Du warst überglücklich und hattest die schönste Zeit in deinem Leben."

"Und jetzt ist er weg, ich konnte mich ja nichtmal verabschieden. Ich hatte keine Chance."

"Und das tut mir leid, Chiara, ich schwöre es. Aber bitte schließ mich nicht aus. Ich habe niemanden außer dich, das weißt du. Beleidige mich, schlag mich, mach was du willst, aber lass mich wieder in dein Leben. Ich schaffe das nicht ohne dich", bettelt Jorge mich regelrecht an und das bricht mir das Herz. 

Jorge hatte es nie leicht und er war immer für mich da. Ich kann ihn nicht alleine lassen, das bringe ich nicht übers Herz. 

"Ich hab dich vermisst", flüstere ich und sichtlich erleichtert zieht er mich in seine Arme.

"Du stinkst."

"Na und, leb damit. Ich werde dich noch ein paar Minuten umarmen, bis ich mich endlich besser fühle" erwidert er und ich kichere, erwidere die Umarmung.

"Dankeschön", löst er sich dann von mir, schenkt mir ein herzliches Lächeln. 

"Jetzt geh nach Hause und dusch dich, es ist kalt und du wirst krank", sage ich mit tadelnder Stimme und er zuckt mit den Schultern.

"Auf dem Campus gibt es aktuell sowieso kein warmes Wasser, da ist das eh egal."

"Auf dem Campus? Hab ich was verpasst?", hebe ich verwirrt eine Augenbraue.

"Valentina und ich haben uns getrennt. Ich wohne wieder in meinem kleinen Zimmer auf dem Campus."

"Was? Seit wann?", werden meine Augen groß.

"Seitdem du ausgezogen bist. Du warst keine drei Sekunden aus der Tür raus."

"Aber ihr habt nicht wegen mir Schluss gemacht, oder?"

Ich will nicht daran Schuld sein. Ich weiß, wie es sich anfühlt die große Liebe zu verlieren.

"Wir haben Schluss gemacht, weil wir nicht zusammenpassen, das haben wir erkannt."

"Oh."

Mehr bekomme ich nicht raus.

"Aber halb so wild, ich komme zurecht. Und wie ich sehe, habt ihr euch auch gut eingespielt."

Jorge wirft einen Blick in die Kutsche, beginnt zu grinsen und schaut dann wieder zu mir.

"Ja, die coolste WG der Welt haben wir. Wir lachen zusammen, wir weinen zusammen, wir regen uns zusammen auf."

"Es freut mich, das es dir besser geht...naja, ich muss jetzt auch los, ich würde mich freuen, wenn du dich vielleicht mal wieder meldest."

"Komm heute Abend zum Essen, wenn du willst."

"Willst du denn, oder machst du das jetzt aus Mitleid?"

"Ich will das, weil du mein bester Freund bist, meine Familie."

Er strahlt übers ganze Gesicht nach meinen Worten und zieht mich dann wieder in seine Arme. 

Wir bekommen das hin. Alles. Irgendwie. 

Gute Freunde kann einfach niemand trennen, auch wenn noch so vieles besprochen werden muss. :D

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