43. Giving a sign

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Agustín habe ich bei seinen Großeltern abgeliefert, da der wöchentliche Tag bei Oma und Opa ansteht. Mindestens einmal in der Woche habe sie den Kleinen für einen ganzen Tag. Ich glaube er hilft ihnen über den Verlust ihres Sohnes hinweg. Mit einer weißen Rose in der Hand bin ich gerade auf dem Weg zu Agus' Grab. Einmal in der Woche lege ich eine Rose hin.

Ich biege gerade um die Ecke, wo sich Agus' Grab befindet, als ich Jorge von der anderen Seite aus sehe. Er stoppt an Agus Grab, stellt ein Grablicht ab und kniet dann nieder. Ich rücke ein Stück näher ran, damit ich ihn höre kann, falls er was sagt. 

Es dauert ein paar Sekunden, aber dann beginnt Jorge zu reden.

"Hey Kumpel, na wie gehts? Die zwei Wochen sind schon wieder wie im Fluge vergangen und natürlich habe ich wieder die Ergebnisse für dich. Die Bears haben gewonnen, gestern und auch letzte Woche, wir sind also auf Playoffs- Kurs."

Jetzt weiß ich schon mal wer immer wieder ein neues Grablicht dort hinstellt. Ich habe immer gedacht es wäre jemand aus Agus Familie, aber es ist Jorge und das bringt mich jetzt schon zum heulen. 

"Wenn es soweit ist setze ich mich mit einem Camping- Stuhl hierher und wir schauen gemeinsam per Livestream die Spiele. So gut, wie sie aktuell drauf sind, ist weitaus mehr drin, als nur die Playoffs."

Jorge nimmt das Grablicht, zündet es an und stellt es wieder an den vorherigen Platz ab. 

"Aber genug davon, wir haben was zu besprechen", wird er sichtlich nervös. Ich kenne Jorges Körpersprache und ich weiß, dass er gerade schrecklich aufgeregt ist. 

"Ich liebe deine Frau. Gott, das klingt noch seltsamer, als in meinem Kopf", fasst der Lockenkopf sich an die Stirn, hält kurz inne. 

"Ich wollte das nicht Agus, das schwöre ich. Wärst du jetzt noch am Leben, dann wäre es vermutlich niemals dazu gekommen, oder du hättest mir gerade in diesem Moment die Nase gebrochen...obwohl, dafür bist du viel zu erwachsen und reif. Du hättest mir sachlich erklärt, dass das passieren kann, aber du ihr Mann im Leben bist und das hätte ich akzeptiert. Allerdings bist du nicht mehr hier und das macht die Sache etwas einfacher, denn entweder liebt sie mich auch und wir werden es irgendwann versuchen oder ich habe meine beste Freundin verloren."

Ich bin überwältigt von seinen Worten. 

"Ich will nur vorher alles mit dir abklären, dass du mir sozusagen deinen Segen gibst, das wäre cool....oh mann, es ist absolut lächerlich, oder?", schüttelt der Chilene seinen Kopf, als plötzlich ein paar Tropfen vom Himmel fallen. 

"Wow, das ging ja doch schnell mit dem Zeichen geben. Allerdings ist Regen ja nicht unbedingt positiv. Willst du mir sagen, ich soll es lassen und einfach aus ihrem Leben verschwinden? Wäre toll, wenn du mir noch ein Zeichen geben könntest", schaut er nach oben in den Himmel, wartet auf ein weiteres Zeichen durch die Natur.

"Verschwinde niemals aus meinem Leben", gebe ich mich erkenntlich und mit großen Augen blickt Jorge zu mir rüber. 

"Zeichen geben kannst du wirklich gut, Kumpel", murmelt Jorge, steht dann auf, um mich in Empfang zu nehmen.

"Hey", flüstert Jorge, umarmt mich kurz. 

"Wie ich sehe, hattet ihr beiden gerade ein Männergespräch", grinse ich, lege dann die weiße Rose auf Agus' Grab. 

"Ja, Football ist unser Lebenselixier", schaut Jorge zum Grabstein, "Ich werde jetzt gehen, du willst sicherlich deine Ruhe haben."

"Könntest du auf mich warten? Irgendwo in der Nähe?"

Wir müssen dann noch reden, es kann so nicht weitergehen. Nachdem er vor ein paar Tagen dann relativ schnell gegangen ist, haben wir nur noch ein paar Nachrichten miteinander geschrieben, mehr auch nicht. Er fehlt mir und der Gedanke, dass er mit Valentina zusammen ist bringt mich um. Mehr als ich mir bisher eingestehen wollte. 

"Ich stehe mit dem Auto vor dem Blumenladen um die Ecke. Ich warte dort, okay?"

Ich nicke und Jorge klopft auf Agus Grabstein mit den Worten "Wir sehen uns Kumpel, ich werde mit zwei Siegen für die Bears wieder da sein."

Der Regen wird immer stärker, trotzdem stehe ich erstmal nur wortlos vor dem Grab meines Mannes. Jedes mal fühlt es sich so unwirklich an. Er ist weg. Er kommt nicht mehr zurück. 

"Du hast ihn gehört. Er liebt mich. Und ich?...keine Ahnung, aber wir haben uns geküsst und es war schön. Ich hab Schmetterlinge im Bauch und gleichzeitig so ein schlechtes Gewissen, weil du doch mein Mann bist, der Vater meines Kindes. Ich drehe durch Agustín, ich weiß nicht mehr wo hinten und vorne ist..."

Meine Tränen vermischen sich mit dem Regen, ich bekomme gar kein richtiges Wort mehr raus. Ich weiß eh nicht, was ich sagen soll. 

Es dauert, bis ich mich wieder halbwegs beruhigt und fokussiert habe.

"Es fühlt sich an als würde ich dich betrügen, aber...aber so kann es doch nicht ewig weitergehen, oder? Du willst doch das ich glücklich werde. Vielleicht kann Jorge mich ja glücklich machen, wer weiß das schon? Ich hoffe du verstehst, dass ich dich niemals ersetzen möchte, aber das ich auch nicht für immer allein sein möchte. Ich brauche eine Schulter zum anlehnen, besonders wenn ich wieder an dich denke und einfach nur zusammensacke."

Ich zucke zusammen, als es anfängt zu Gewittern. 

"Ich würde gern noch ewig hier stehen und mit dir reden, aber ich werde mir dann vermutlich eine fette Erkältung einfangen, meine Sachen sind triefend nass und das kann ich unserem kleinen Jungen nicht antun. Ich liebe dich und nächste Woche bin ich wieder hier, zur gleichen Uhrzeit. Vielleicht schaffe ich es auch, noch eher herzukommen...ich liebe und vermisse dich", gebe ich einen Handkuss Richtung Grab, laufe dann mit schnellen Schritten los, bis ich den Parkplatz beim Blumenladen erreiche. 

"Warum stehst du hier im Regen und setzt dich nicht rein?", rufe ich meinem besten Freund schon von weitem zu, der nur mit den Schultern zuckt. 

"Setz dich rein", ordne ich an, komme ein paar Sekunden am Auto an und steige ebenfalls ein. 

"Bist du doof oder willst du krank werden oder was war deine Mission?"

"Keine Ahnung, ich war doch sowieso schon nass. Soll ich dich nach Hause fahren?"

"Das wäre nett. Du kommst also öfters an sein Grab?", frage ich das Offensichtliche, als er den Motor startet, ich mich noch anschnalle.

"Ja, ich halte ihn beim Football auf dem Laufenden, das war immer unser Hauptthema."

"Heute war ich es wohl eher."

"Hast du alles gehört?"

"Ja, ich habe alles gehört", bin ich ehrlich. Warum sollte ich auch lügen?

"Wollen wir darüber reden?"

"Nicht hier im Auto. Lass uns bei mir reden."

Ich muss noch ein bisschen meine Gedanken sammeln und ich brauche dringend trockene Kleidung. 

"Tut mir übrigens Leid, dass ich dein Auto jetzt so nass mache."

Jorge wirft schmunzelnd einen Blick zu mir und ich verdrehe meine Augen. 

"Du weißt genau wie ich das meine", rechtfertige ich mich, aber Jorges Schmunzeln wird zu einem Lachen.

"Idiot", schlage ich ihm kichernd gegen die Schulter, ehe Schweigen herrscht. Allerdings dauert die Fahrt auch nicht lange und so sind wir innerhalb weniger Minuten bei mir Zuhause.  

"Ich gehe mich schnell umziehen, ich finde sicherlich auch ein paar Sachen für dich. Warte einfach hier, damit du nicht auch die komplette Wohnung nass machst", ziehe ich meine Schuhe aus, schaue dabei zu Jorge. Dieser nickt und dann flitze ich auch schon ins Schlafzimmer. 

Ich habe nur noch Unterwäsche an, als ich durch den Wandspiegel Jorge sehe, wie er im Türrahmen steht.

"Jorge, ich hab doch gesagt, du sollst im Flur warten, damit du nicht alles nass machst", jammere ich, drehe mich um. 

Mein bester Freund antwortet jedoch nicht, läuft zielstrebig ein paar Schritte auf mich zu, legt seine Hände dann an meine Wangen und küsst mich. 

Ja guuuuuuut, mal sehen ob Jorge nicht einen Schlag für seine Aktion kassiert. :D

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