Anthem of the Angels

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Die Operation hatte fast 11 Stunden gedauert. Weitere werden aber noch folgen müssen. Wahrscheinlich so um die 4 Stück. Ich hatte ein Bild von ihrem Knochen gesehen. Das Ganze glich mehr einem 5000 Teile Puzzle als einem menschlichen Knochen. Das Stück, welches herausschaute war nur die Spitze des Eisbergs gewesen.

Jetzt, wo meiner neue Schicht begonnen hatte, führte mich mein erster Gang auf die Intensivstation und blickte in das Zimmer in dem Kaya lag. Ihre Augen waren immer noch geschlossen. Schläuche und Kabel hingen an ihrem Körper. Die Maschinen summten und surrten, ohne sich anmerken zulassen, wie schlimm die Situation wirklich war.

Ich bin zwar zuhause gewesen, doch hatte ich in der Nacht keine Ruhe gefunden. Nicht einmal gedöst hatte ich. Ständig in Sorge um dieses Arme Wesen, welches mir so viel bedeutete. In meinen Gedanken war ich immer und immer wieder bei ihr gewesen. Unfälle passierten. Und ja als Krankenschwester musste man über so etwas stehen, doch hatte ich noch nie einen Patienten, der mir so viel bedeutete.

Nachdem Catori bei dem schrecklichen Brand ums Leben kam, konnte ich jahrelang Billy und ihr nicht unters Gesicht treten. Der Schmerz, den ihr Fehlen, mir schenkte war unerträglich. Ich hatte Schuldgefühle, auch wenn ich eigentlich nicht für den Brand verantwortlich war. Es war dennoch, dieses Gefühl, dass man hätte helfen müssen. Dass man hätte da sein müssen. Als sie starb war ich gerade mit meiner Familie in meiner Heimat Pisa...

Doch seit dem Kaya hier mit ihrem ersten Praktikum angefangen hatte, schienen wir irgendwie noch mehr verbunden zu sein. Als wäre die Zeit der Trauer vergangen, obwohl sie ihr so ähnlich sah. Nicht auf die Art und Weise, wie man sich sonst mit einem Praktikanten verbunden fühlen würde.

Als wäre ich ihre Ersatzmutter.

Hatte Kaya ein Problem, bei dem sie nicht mit Billy oder Paul sprechen wollte, kam sie immer direkt zu mir und fragte mich nach einem Rat. Egal, für wie kindisch sie auch die Frage hielt, sie kam immer zu mir. Mich freute es so gebraucht von jemanden zu werden, jetzt wo meine Kinder bereits auf den Unis komplett im Land verstreut waren. Und mit ihrem Vater konnte ich jetzt auch wieder sprechen.

Billy und Jake waren gestern Abend noch nach Hause gefahren, da Jake gleich zur Schule musste. Jacob hätte noch nicht einmal fahren dürfen. Er war noch viel zu jung... Billy wollte noch einige Dinge für seine Tochter packen, ehe er wieder zurückkommen würde. Eigentlich hatte er nicht gehen wollen, doch brauchte ihn sein jüngster Sohn.

Und so stand ich hier und blickte auf ihren Körper. Die dicken Drähte, die ihre Knochen zusammenhalten sollten waren in einem Gestell zusammen gebunden. Es sollte Monate dauern, bis dieser Körper wieder gesund war, wenn er es überhaupt bis dahin schaffte. Die Maschinen, an denen sie hing, piepsten bedächtig.

Es war fünf Uhr morgens. Niemand war außer den Schwestern, die Nachtdienst hatten, wach. Eigentlich hätte Doktor Cullen bereits seit ein paar Stunden Feierabend gehabt. Und doch konnte er sich nicht von hier losreißen. Er wollte einfach nicht gehen und so blieb er, fast so als wäre sie eine seiner eigenen Töchter.

Es grenzte an ein Wunder, dass Kaya noch hier war. Ihr Herz hatte während der OP mehrmals das Schlagen aufgehört. Doch Doktor Cullen hatte nicht aufgegeben. Er hatte sie nicht aufgegeben. Selbst, als die anderen schon aufhören wollten. Als würde sein eigenes Leben daran hängen.

Und auch jetzt, wo er mit geschlossenen Augen auf dem Stuhl neben ihr saß, schien es mir nur zu sein, weil er wirklich sichergehen wollte, dass es ihr gut ging. Billy hatte sich vielleicht in ihm getäuscht. Doktor Cullen war ein guter Mensch und ein noch besserer Arzt. Cullen hatte wie ein Löwe um das Leben dieses Menschen, der mir so viel bedeutete, gekämpft.

The Colors of the WaterfallWo Geschichten leben. Entdecke jetzt