Es war, als würde ich durch die Dunkelheit fallen. Wie Alice, die in das Kaninchenloch fiel. Hart am ich auf dem Boden auf, als mein Sturz sein jähes Ende fand. Als ich meine Augen öffnete stand ich abermals in Mitten des Waldes, den ich schon so oft in meinen Träumen besucht hatte. Der mir so bekannte Bachlauf erfüllte die Luft mit seinem stetigen Plätschern. Diese Melodie des Waldes, sie war mittlerweile so bekannt wie mein eigener Herzschlag geworden. In der Ferne konnte man das Rufen eines Adlers hören.
Ich hob meinen Blick an und auf der anderen Seite des Flusses stand erneut der weiße Wolf, der mich so oft genau hier alleine ließ... Alleine mit den vielen Fragen, die ich mir selbst nicht erklären konnte. Seinen Kopf hatte er gesenkt, doch blickte er mich noch immer durchdringend an. Seine stechenden weißen Augen hatten die gleichen Farben wie der Schnee, der wieder zu fallen begann.
„Und wieder stehen wir hier." Sprach ich zu ihm. Langsam richtete er sich auf. „Und wieder wirst du mir nicht die Antworten sagen, die ich hören will, oder?" Seine Ohren zuckten für einen Moment in die Richtung des Unbekannten. Noch nie hatte ich es über diesen Fluss geschafft, noch nie hatte ich ihn dazu bekommen, dass er bei mir blieb. „Dieser Weg ist noch immer sehr gefährlich, Kaya. Sehr sogar." Der mächtige Kiefer schloss den Schlund des Tieres vor mir.
„Ich weiß, du sagst es immer wieder, dass dieser Weg gefährlich ist! Du sagst immer nur, dass du mich beschützen wirst. Aber wer bist du? Und wovor willst du mich beschützen? Erkläre es mir, ich muss es einfach wissen. " Ein weiteres Mal öffnete sich der massige Kiefer. „Du bist in Gefahr." Diese Worte regten mich auf. Meine Hände fuhren mir durch meine Haare. Ich war mir durchaus den Umständen meines Lebens bewusst. Hatte ich sie doch selbst gewählt. "Warnst du mich vor den Volturi?! Werden sie kommen?" Der Wolf schwieg. „ich weiß es doch! Schließlich habe ich die Briefe gelesen! Sie gesehen! Oder ist da noch mehr, was ich wisse sollte?"
„Kaya, den Weg den du als deinen auserkoren hast, er ist gefährlich. Du bist etwas Besonderes. Etwas, dass es so noch nicht gab." Wiederholte er sich. Diese Worte. Ich hätte sie schon jedes Mal mitsprechen können. Langsam reichte es mir endgültig. Zu oft hatte ich diesen Moment wieder und wieder erlebt. Wieder und wieder hatten mich diese Worte enttäuscht und in diesem Schneesturm zurück gelassen. „Ich weiß!" Schrie ich ihm fast entgegen. „Doch, noch immer hast du mir nicht gesagt, was ich wissen muss!" Er sah in mich hinein, als könnte er meine Seele sehen. Einen Moment verharrte er so. „Wenn du mich beschützen willst..." Fehlte ich nun. „Sag mir doch einfach, was ich wissen muss."
Langsam drehte er sich um und begann zu gehen. „Heute. Heute läufst du mir nicht davon!" Rief ich. Doch der Bach schien auf einmal Kilometer weit zu sein. „JETZT WARTE DOCH!" Flehte ich den Wolf ein weiteres Mal an. Erneut sah ich zu dem Bach, dann zu dem Wolf. Ohne zu überlegen setzte ich zu dem Sprung an.
Schwingen spannten sich. Sie würden mich tragen, wohin ich wollte. Dieser Fluss würde mich nicht ein weiteres Mal in seinen kalten Fluten davon spülen. Ich würde kämpfen und fliegen. Ich werde nicht leiden, gebrochen sein, müde oder vergeudet. Mich niemals unterwerfen, oder aufgeben, was ich angefangen habe. Das hieß auch, dass mich dieser Wolf hier nicht zurücklassen würde. Und so erhob ich mich in die eisige Luft. Wellen zeigten sich auf der Oberfläche des Wassers. Sie spiegelten das Ebenbild eines erhabenen Adlers. Heute würde es sich ändern, heute würde ich nicht verzweifelt wach werden, weil ich ein weiteres Mal es nicht geschafft hatte.
Abermals verwandelte ich zurück. Doch, obwohl ich die schonungslos kalte Luft auf meiner entblößten Haut spüren konnte, war mir fiebrig warm. „Ich denke, du schuldest mir Antworten. Viel zu lange warte ich auf sie." Wütend verschränkte ich meine Arme vor meiner Brust. Der große Wolf richtete seinen Kopf ein Stück höher. Er blickte in den grauen Himmel. Für einen kurzen Moment zuckten seine Ohren zurück.
„Fangen wir mit etwas einfachem an. Wer bist du?" „Ich hatte schon viele Namen. Varg, Aonaran, Fenris, Rau, Wakan, waren nur einige. Jeder Ort, wo deine Mutter mit mir zusammen hinkam, hatte einen eigenen für sie und mich." „Also warst du schon immer... ein Teil von ihr? Und wie soll ich dich nennen?" Der massige Kopf des Wolf blickte nun wieder zu mir. „Varg war einer meiner ersten Namen, so nannte mich deine Mutter immer. Und ja, von ihrem Anfang, bis zu ihrem Ende. Genauso, wie ich bis zu deinem Ende ein Teil von dir sein werde. Egal, wie kurz oder lang er sein wird." Der kalte Wind legte sich auf meine Haut. Eine Gänsehaut breitete sich auf ihr aus. „So, wie du dich anhörst, gehst du nicht davon aus, dass es ein langer sein wird." Der Wolf schwieg, nochmal blickte er in den Himmel. „Liegt es an den Volturi?" Fragte ich mit Nachdruck.
„Kaya. Sieh dich um und sag mir bitte, was genau du siehst." Wie er es mir sagte, tat ich es.
Der Wald, der so oft in meinem Traum erschienen war, er sah verdorrt und trocken aus. Schnee bedeckte die knochigen Bäume, doch konnte diese Decke nicht verdecken, dass meine Umgebung nicht gesund aussah. Graue, verbrannte Blätter fielen gemeinsam mit den Schneeflocken herab. Ich hielt meine Hand auf. Als eins der Blätter herab fiel wurde mir bewusst, dass es sich nicht um Laub handelte. Es war Asche. Ganz so, als wäre ein Vulkan ausgebrochen. Diese graue Flocke zerfiel in meiner Hand, als sich Schnee auf sie setzte. Zusammen verbanden sie sich zu einer grauen Pampe. Der Verfall hatte mich überrascht und dass er sich langsam von Baum zu Baum weiter zog, schockierte mich noch mehr. Ich hatte ihn nicht bemerkt, weil ich nur sehen wollte, was wichtig war. Nur wurde mir nun gezeigt, dass jedes Detail wichtig war, denn sie ergaben das Gesamtbild.
„Dieser Zerfall, es ist sein Gift in deinem Körper. Es bringt dich um, Stück für Stück. Das du es überhaupt so weit geschafft hast..." Er blickte nach vorne. „Folge mir."
Langsam und gar lautlos setzte sich dieser Wolf, an meiner Seite, erneut in Bewegung. Seine Tatzen hinterließen tiefe Spuren in diesem Schnee, der nun mehr grau als weiß zu sein schien. „Deine Mutter hatte ich ihrer Zeit auch an diesen Weg geführt." „Wie lange warst du mit ihr zusammen?" Die Ohren des Wolfes zuckten in meine Richtung. „Zu lange, als dass ich es noch wirklich wissen könnte. Früher gab es nicht die Möglichkeiten Zeiten festzuhalten. Ich erinnere mich an Kriege, die Länder zerrüttet haben. Nicht nur dieses, nein viele mehr. Einen Löwen, der aus dem hohen Norden kam und über die das alte Europa herrschte."
Für mich war es schwer, bei den schnellen Schritten mitzuhalten. „Ich... ich habe gehört, dass in Rumänien eine Wolf lebte." „Lupul Rău." Sprach er. „Ja, auch das war einer der Namen, die man uns gab. Deine Mutter hat eine Zeit lang bei den Volturi gelebt. Bis ihr die Regeln und Lebensweisheiten nicht mehr das gaben, was sie wollte." Für einen Moment blieb ich stehen. „Wie lange war das denn? Und was wollte sie denn?" Für mich war meine Mutter nur eine Erinnerung, wie an ein Sommer, der lange vergangen war. Mir vorzustellen, dass sie mit diesen Persönlichkeiten zusammengelebt hatte, passte irgendwie nicht in dieses Bild, was ich so lange von ihr gehegt hatte. Doch da der Wolf nicht aufhörte zu laufen, begann ich zu rennen.
„Zwei Jahrhunderte... Vielleicht drei. Wie gesagt zu der Zeit war es nicht üblich, so etwas wie ein Datum zu nutzen. Allerdings waren die Volturi nicht gerade erfreut darüber, als sich deine Mutter entschlossen hatte, von ihnen zu gehen. Sie ging nach Schottland, zur Isle of Skye. Damals war es noch ein sehr wildes, ungezähmtes Land. Aro suchte sie auf der Insel. Er begann im Süden Englands und traf dort auf zwei Kinder, die du auch getroffen hast." „Jane und Alec..." Flüsterte ich. Er nickte. „Es gab deiner Mutter viele Dekaden Zeit, die er abgelenkt war. Doch dann kam er wieder. Dabei wurde ein Gefecht entfacht, der dieses Land lange Zeit nicht los lassen würde, diese Schlacht von Bannockburn bekannt wurde. Es sehr interessant, wie sehr doch diese Vampire die Geschichte beeinflussten, nur um etwas zu bekommen, was sie wirklich wollen." „Aber sie bekamen sie nicht." Aus den Winkel seiner Augen sah er zu mir herüber. „Nein. Es sollte noch lange dauern, bis sie sie endgültig hatten.
Sie floh aus Schottland. Doch jedes Land im Abendland schien ihr nicht sicher genug. Irgendwann wurde die neue Welt entdeckt und deine Mutter und ich sahen dort die Chance vor den Fängen der kalten Wesen in Sicherheit zu sein. Mit den ersten Siedlern setzte sie über, wenn gleich sie nicht bei ihn blieb. Die Siedler hatten ihre alten Denkweisen aus der ‚Alten Welt' mit sich gebracht und hielten sie für eine Hexe. Sie suchte die Nähe der Ureinwohner, da diese deine Mutter mehr verstanden.
Die Hopi hatten einen kleinen, friedliebenden Stamm. Deine Mutter fand dort ein Leben, wie es gehofft hatte, in der alten Welt zu finden. Und die Ureinwohner fanden in deiner Mutter jemanden, der sich für sie einsetzte, sie beschützte über Jahre, Jahrzehnte... Deine Mutter bekam dort ihren Namen, den sie bis zu ihrem Tod trug, Catori. Das bedeutet so etwas wie Geist.
Dann wurde sie wieder von der Vergangenheit eingeholt." „Aro." Die Ohren des Wolfes zuckten zu mir. „Wir kamen wieder. Deine Mutter war gegangen, um für die Freiheit der Menschen hier zu kämpfen." „Meinst du den Unabhängigkeitskrieg?" Langsam nickte er. „Die Sonne brannte auf meinem Haupt, als ich den beschwerlichen Weg zurück zu meiner Heimat beendet hatte. Das Tal lag in ruhigen Stille. Doch wusste ich bereits, als ich es in der Ferne sah, dass etwas nicht stimmte. Es lag in der Luft. Wenn Menschen sterben gibt diesen süßen Geruch, der sich deine Nase schleicht und dich nie wieder loslassen wird.
Deine Mutter hat es geahnt. Wir beeilten uns, ganz gleich das wir schon so weit gerannt waren. Wir sahen ihn dort stehen. Auf seinem Gesicht war ein Ausdruck voller Wut, was nur von dem Verhalten von Catori übertroffen wurde.
‚Du hast mich sehr enttäuscht, Artemis. Ich habe lange gebraucht, dich hier zu finden. In eine neue Welt musste ich sogar reisen. Viele Menschen sind deinetwegen gestorben, obwohl du sie nur beschützen wolltest. Komm wieder zurück, Artemis. Ich bitte dich und wir beide wissen, wie selten ich das mache.' Hat er gesagt.
Jedes Leben in dem Dorf war vergangen. Deine Mutter lehnte natürlich ab. Aro sagte ihr dann, dass er sie dieses Mal gehen lassen würde, der guten alten Zeiten wegen, doch wenn er sie das nächste Mal finden würde, das sie dann sterben wird.
Catori zog weiter. Sie wollte sich nicht festsetzen. Nicht mehr sollten Menschen wegen ihr verletzt werden. Schließlich wusste sie, was es bedeuten würde, wenn sie erneut eine Heimat finden würde. Ein weiteres Mal war sie alleine, ein weiteres Mal eine sehr lange Zeit.
Du musst wissen, dass sie nicht bleiben wollte, als sie das erste Mal auf dem Gebiet der Quileute, wandelte. Sie wollte nicht, doch dann fand sie das, was sie all die Jahrhunderte gesucht hatte. Dein Vater war gerade einmal siebzehn. Aber sie blieb. Weil sie wusste, dass es das wert war." Ich schlang meine Arme um meinen Körper. „Den Rest, der Geschichte, kennst du auch mittlerweile zur Gänze."
Ich hatte nicht darauf geachtet, welchen Weg wir gingen, doch hatten wir scheinbar den Verfall hinter uns gelassen. Um mich herum war er fast vollkommen vergessen. Varg hatte mich sicher über diesen Pfad zu einer Flussgabelung geführt. Er setzte sich hin und blickte in beide Richtungen. Der linke Arm schien ein sanfter Bachlauf zu sein, der auf eine große Ebene zu führte. Sie war sicher voller Gras, wenn es Sommer wäre. Ich konnte mich schon dort rennen sehen. Der rechte Arm führte tiefer in den Wald. Hinter einer Biegung verschwand er vollkommen, sodass ich ihm nicht mehr mit meinem Blick folgen konnte. „Damals habe ich Catori auf den gleichen Weg geführt. Das hier kann deine Zukunft sein. Jeder der beiden Wege. Doch diese zwei verheißen kein langes Leben. Entweder, du gehst nach rechts oder links. Sie unterscheiden sich nur in der Intensität des Schmerzes... Aber das Ende ist von diesem Punkt unvermeidlich."
Meine Hand legte sich auf meinen Bauch. „Ich werde nicht zulassen, dass ich hier und heute sterbe. Carlisle braucht mich. Wenn ich weg bin, wer wird dann da sein, um die Schatten auf seinem Gesicht zu erhellen? Und unsere Kinder brauchen doch auch eine Mutter." Der Wolf schwieg. In mir verbreitete dieses Schweigen Unbehagen. Mein Magen drehte sich. „Du sagst mir all das, all diese Dinge, die ich so lange wissen wollte. Und jetzt? Jetzt soll es das schon gewesen sein? Jetzt sag doch etwas!" Die Unterlippe von mir begann zu beben. „Schließlich hatte ich mir dieses Leben auch nie so vorgestellt! Niemand will doch freiwillig so früh sterben. Nicht jetzt, wo ich ihn gefunden habe. Ich liebe ihn, so sehr wie die Sonne vom Mond verehrt wird. Mehr, als es Worte oder Taten je ausdrücken könnten! Wie soll ich dann jetzt sterben? Wie...? Sag es mir."
„Du warst schon einmal bereit zu gehen." Geschockt blickte ich den Wolf an. „Das etwas anderes gewesen. Jetzt gerade sagst du mir, dass ich wegen ihm sterben werde... Wegen dem was er ist, meinst du nicht, dass es ihn zerstören würde?" „Es ist nicht das Gleiche, wie damals?" Langsam riss der Wolf seinen Blick von der Gabelung weg und blickte mir in meine Augen. Dass er nur so etwas sagen konnte. „Nein, es war nicht das Gleiche! Da... da war es der Krebs." Er senkte seinen Kopf. „Kaya, du weißt, dass du mich nicht belügen kannst." Langsam schüttelte ich meinen Kopf. „Ich werde nicht heute sterben. Ich werde einen anderen Weg finden. Ich muss einfach."
Mit diesen Worten drehte ich mich um. Schnell wollte ich zurück zum Anfang rennen. Aber dieser Traum hatte etwas anderes für mich vorgesehen. Vor meinen Füßen fand ich einen Abgrund vor, der definitiv vorher nicht hier gewesen war. Ich stockte. Der Waldweg, den wir genommen hatten, war verbrannt als wäre ein Feuer hier am wüten gewesen. Überall war der Verfall so grausam in Vordergrund.
„Es gibt kein Zurück mehr, Kaya. Das solltest du begreifen." Mir blieb die Luft weg. „Langsam aber sicher wird es dich zerstören." Ich sah über meine Schulter zurück. „Nein. Nein, das wird es nicht." Mit einem Mal brach der Boden unter meinen Füßen weg.
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The Colors of the Waterfall
FanfictionUnser Glaube sagt uns, dass diese Welt mit mehr als nur mit Menschen, die Dinge empfinden können, gefüllt ist. Viel mehr hat jedes Lebewesen, egal ob Tier oder Pflanzen einen eigenen Geist. Der Gefühle und Schmerz empfinden kann. Diese Geister nenn...