Dear Agony

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Sanft öffnete ich die Augen. Es dauerte eine Weil, bis ich mich an eine Helligkeit gewöhnt hatte. Ein weiterer Wimpernschlag, ein weiterer Herzschlag. Waren wir wirklich hier? Ich bin noch nie so weit von Zuhause weggewesen. Doch war zu aufregend, als dass ich Heimweh bekommen könnte. Dieses Land hatte so viel zu bieten, so viel zu entdecken.

Meine Hand suchte die angenehme Kälte von meinem Verlobten. Doch blieb dies nur ein Versuch. Carlisle war fort. Das Bett neben mir war leer. Erschrocken über die Tatsache, dass ich alleine im Bett war, fuhr ich hoch und schlug die Decke aus Seide und Damast beiseite. Eilig setzte ich mich auf. Meine Füße berührten den kalten Marmorboden. Diese Kälte war nicht so angenehm, denn sie war nicht seine.

„Carlisle?" Fragte ich in die Stille des Flures hinein. Doch erhielt ich keine Antwort. Auch hier war ich allein. Komisch, wo würde er nur sein? Mein Herzschlag wurde schneller. Sonst gab er mir doch sofort eine Antwort. Er hätte nie das Hotel verlassen, ohne mir Bescheid zu geben. Wo war er dann? Schnell sah ich in allen Zimmern der Suite nach, ehe ich erneut im Flur stand und nachdachte.

Erst jetzt fiel mir die einsame Tür neben dem Weg ins Badezimmer auf. Bizarr hob sich die dunklere Holztür von der hellen Wand ab. Auch passte diese massive Machart hier nicht so ganz hinein. Sie war zu derbe für das sonst so filigran gearbeitete Interieur. Zwar gab es hier eine dunkle Holzvertäfelung, doch war die Marmorierung des Holzes und dessen Farbe anders. Es war nicht das gleiche. Komisch, achteten die Macher des Hotels sonst so penibel darauf, dass alles zu 110% übereinstimmte.

Vorsichtig legte ich meine Hand auf den goldenen Türknauf. Auch dieser war eher grob und klobig, als die anderen fein gearbeiteten Türknaufe, die sonst hier in der Suite waren. Irgendetwas war hier falsch und zwar gewaltig. Wo war Carlisle? Was würde es noch in dieser Suite geben? Ein versteckter Pool hinter dem Fernseher?

Geschweige denn hinter dieser Tür...

Ich öffnete die Tür und schritt in den sich mir erschließenden Raum. Stark hob er sich von der Hotelsuite ab. Der Boden war nicht aus prunkvollem Marmor, sondern aus rauem, altem Sandstein. Auch die Wände waren aus ihm gefertigt worden, sodass der Gang in dem ich nun wandelte eher aussah, als würde er zu einem alten Schloss oder einer Burg gehören. Hier war es so viel kälter, als in der Suite. Eher als wäre Winter. Auch hatte er keine Fenster, sodass der Raum stockfinster war.

„Carlisle?" Fragte ich nun erneut. Ich hielt ein und horchte. Selbst mein Herz schien mit dem Schlagen auf eine Antwort zu warten. „Carlisle? Carlisle, wo bist du?" Meine Stimme rutschte in ihrer Panik höher, als ich es von ihr gewohnt war.

Erst gab mir die Dunkelheit keine Antwort. Wo war er nur? Hatte er doch Angst bekommen? Hat er mich alleine gelassen? Nein, nein so etwas würde er nicht tun. Er würde mich nicht alleine lassen. Genauso wenig, wie ich ihn alleine lassen würde. Dafür liebten wir einander zu sehr.

Doch dann, ich hatte mich bereits wieder umgedreht und wollte den Raum wieder verlassen. Da hörte ich ihn in einiger Entfernung zu mir. Es war kaum mehr als ein Flüstern, doch erkannte ich seine Stimme, die mit jemanden sprach. Es war eindeutig die Stimme von Carlisle gewesen. Er war hier und nicht fort gegangen. Doch warum sollte er durch einen Gang in dunklen Schlot verschwinden? Dieser Gang schien einer Bestie und dessen Maul zu gleichen, dunkel und erdrücken. Warum sollte er das tun?

Nun packte mich die blanke Angst.

Wohl eher Qual.

Abermals lief ich los, doch dieses Mal rannte ich angetrieben von der Furcht. Wie lang konnte ein Gang nur sein? Wann würde er endlich enden? Wann würde mich diese Bestie endlich zu dem Mond meines Lebens bringen?

Wann?!

Als wäre ich auf einem Laufband gefangen, nur schwer kam ich meinem Ziel näher. Ich konnte ja noch nicht einmal mein Ziel ausmachen. Wo dieser Gang enden würde, war mir genauso wenig bewusst. Es wäre nicht sichtbar für mich, selbst wenn ich es gewollt hätte. Das einzige, was ich empfand, war die Kälte. Wurde es hier wirklich kälter oder ist das meine Angst, die mit meinem Verstand spielt und mich verrückt werden ließ?

The Colors of the WaterfallWo Geschichten leben. Entdecke jetzt