Das Lied von Feuer und Eis

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Als ich mich umgedreht hatte, standen alle auch schon draußen. Ich hatte mir zwar gedacht, dass sie alle kommen würden, doch brachte ihr Anblick mir abermals Tränen in die Augen.
Vielleicht, weil man normalerweise mit einer anderen Reaktion rechnen würde. Schließlich war weder ihm noch mir ein ähnlicher Fall bekannt, wenn man einmal das Alter komplett außen vor ließ.
Ich hätte es auch verstanden, wenn sie Angst vor dieser Situation gehabt hätten... Das sie es mir gar ausreden wollen würden, denn man könnte ja nicht vorher sehen, wie es noch Enden könnte.
Das sie dennoch alle hier standen und keiner abgeneigt zu sein schien, machte mich sehr glücklich.

Alice tänzelte auf mich zu und nahm mich als erste in den Arm. Ihre Kälte kühlte meine vor Anspannung gerötet Haut. „Ich habe etwas gesehen." Sagte Sie freudig. Mich überraschte es, ebenso wie ihre Reaktionen, dass sie etwas gesehen hatte. „Ich werde Patentante." Meine Arme schlossen sich um den erstarrten, kleinen Körper. So wie sie sich für mich freute, freuten sich die Jungs für Carlisle. Es war seltsam das etwas, was man noch nicht wirklich begreifen konnte, so etwas auslösen konnte. Dieses Kind, es würde unser eigenes kleines Wunder sein.
Kaum hatte mich Alice aus der Umgebung freigegeben, kam Rosalie auf mich zu. Vielleicht hatte sie es versucht zu verstecken, doch ihr Blick schien verletzt zu sein. Mir war es durchaus bewusst, dass dies ein Geschenk sein musste. Wahrhaftig bekamen weder Alice, noch Rosalie die Chance auf genau dieses Glück, welches ich hatte...
Es war immer Rosalies ganzes Bestreben gewesen, eine eigene Familie zu bekommen... Kinder zu haben. Doch wurde ihr diese Möglichkeit mit ihrer Verwandlung genommen.
Ich wusste, dass ich glücklich sein sollte... Aber es stimmt mich ein wenig traurig zusehen, wie mir so etwas geschenkt wurde und ihr verwehrt blieb.

Langsam drehte ich mich um, blickte ich in die Augen meines Mannes und fragte mich, ob ich wirklich glücklich war. Natürlich, rief eine Stimme in mir. Sie rief unglaublich laut. Doch... gewiss gab es noch diese leise andere... Vielleicht wurde sie von der lauten übertönt, doch war die leise Stimme bei weitem klarer. Mein Verstand fragte sich immer wieder: Wie lange nur?
Es musste einfach ein Fehler gewesen sein. Diese Nachricht gestern. Der Radiologe musste einen Fehler gemacht haben, oder der Doktor. Irgendeiner. Es muss einfach so sein. Das wäre doch auch nicht schlimm, schließlich sind Fehler ja menschlich. Ich war achtzehn und schwanger. Da konnte ich doch nicht auch schwerkrank sein. So etwas durfte in meiner Welt nicht existieren. So etwas durfte in keiner Welt existieren.
Für immer.
Ich hatte es ihm versprochen.
Aber wie könnte dieses für immer nur für einen Moment dauern?

Ein Lächeln legte sich auf mein Gesicht, als ich meine Hand an sein Kinn hob. Sanft nahm er meine Hand in die seine und küsste meine Finger sanft.

Es war ein seltsames Gefühl vor dem Spiegel in unserem Schlafzimmer zu stehen und mich in jenem zu betrachten, obwohl Carlisle auch hier war. Vielleicht, von den Tagen des Lügens war es zur Normalität geworden, dass ich alleine dabei war. Meine Hand strich vorsichtig über die klitzekleine Wölbung meines Körpers. Eigentlich war sie kaum vorhanden, doch konnte ich sie sehen.
„Wie lange weist du es schon?" Kam es von ihm, als er seine kühle Hand auf meine entblößte Haut legte. Ein Lächeln zuckte über mein Gesicht, als sich eine Gänsehaut ausbildete. „Genau? Am Freitag habe ich den Test gemacht. Aber geahnt habe ich es schon länger. Dieses Ziehen... es war sehr eindeutig. Ich wusste nur nicht, wie ich es dir am besten sagen soll."
Nochmals zupfte das kleine Wesen in mir.
Seine Lippen legten sich auf meine Haut. Für einen Moment schloss ich die Augen und stellte mir ein Leben vor, wie es sein könnte, wenn da nicht diese leise Stimme in meinem Kopf wäre...
Wie lange wirst du noch glücklich sein?

Biologie.
Die erste Klausur stand an. Ich saß wie immer auf meinem Platz neben Edward. Er hatte die ganze Zeit noch nicht wieder mit mir gesprochen. Wahrscheinlich brütete er über etwas. Unser Lehrer kam in die Klasse rein. Still wurden die Blätter rumgereicht, ehe die Stifte ihre Arbeit aufnahmen und über die Papiere flogen.
Schnell begann ich das gelernte auf mein Papier nieder zu schreiben. Nach einiger Zeit wurde diese Stille unterbrochen. „Du solltest es ihm sagen." Flüsterte Edward, so leise, dass nur ich es verstehen konnte. Stumm blickte ich weiter auf mein Blattpapier. Was wollte ich eigentlich schreiben? Mitten im Buchstaben M hatte ich angehalten. „Du hast es gesehen. Ich kann es ihm nicht sagen." Gab ich ihm zurück. „Denkst du, dass es ihm dann einfacher fällt? Wenn er irgendwann feststellen muss, dass du tot bist?" Diese Worte, sie lösten in meinem Kopf einen Druck aus, den ich die ganze Zeit verdrängt hatte. Als wäre ein Ballon geplatzt.
Ich blickte zu dem Vampir, der an meiner Seite saß. „Ich werde gleich zu dem Arzt gehen, damit er mir sagt, dass es nicht so schlimm ist. Vielleicht ist es ja wirklich nur eine Verwechslung. Und selbst wenn... Dann werde ich, sobald ich es kann, mich operieren lassen." Edward verdrehte genervt seine Augen. In mir brach eine Wut aus, die ich lange nicht mehr verspürt hatte. Der Kugelschreiber in meiner Hand zitterte, ehe er knackend zerbrach.
„Ich kann ihm das nicht antun. Wie oft soll die ch es noch sagen? Es geht nicht! Ich kann es einfach nicht." Sprach ich, als ich auf die Bruchstücke des Kugelschreibers blickte. Wütend stierte ich rüber. „Du weißt, wie er ist. Er würde daran zu Grunde gehen." „Er würde alles versuchen, um dein Leben zu retten." Entgegnete er mir.
Das kleine Wesen in mir ließ meinen Bauch zusammen zucken. Ruhig legte sich meine Hand auf den Bauch. Ein wenig beruhigte mich das, doch würde er es nicht dabei belassen. „Den anderen wird es auch bald auffallen. Oder denkst du, dass du blind durch die Gegend laufen kann und es keinem auffällt?" Mir schnürte sich die Kehle zu, so wütend war ich. Die Maserung des Tisches hatte mich in ihren Bann gezogen. Meine Hände begannen zu zittern und ich bekam eine Schnappatmung.
„Es. Hat. Noch. Zeit." Beendete ich die Unterhaltung. Der Druck in meinem Kopf wurde stärker. Ich war aufgestanden und hatte meine Zettel in der Hand. Mein Blick war noch immer auf der Maserung des Tisches gefangen. „Wir wollen beide das gleiche..." Kam es von ihm schlichtend. „Ach ja? Wollen wir das?" Fragte ich ihn, mit meinem genervten Blick, ehe ich meine Jacke packte, nachvorne zum Lehrerpult ging und den Zettel abgab. Schnell verließ ich den Raum. Meine Füße trugen mich durch den Gang in die Richtung der Kantine.

The Colors of the WaterfallWo Geschichten leben. Entdecke jetzt