All I need

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Ich versuchte verzweifelt meine Atmung unter Kontrolle zu bekommen. Noch immer ging er viel zu schnell. Schnell wischte ich mir mit meiner Hand über mein Gesicht. Wahrscheinlich verschmierte ich damit so nur noch mehr das Blut, welches mein Gesicht bedeckte. Doch irgendwie schien es die finsteren Gedanken ebenso wegzuwischen.
„Scheiße." Fluchte ich. Schnell zog ich das alte Gewehr aus dem kniehohen Schnee, betätige den Repertierhebel, sodass eine leere Hülse irgendwo in den Schnee flog, ehe ich das Gewehr schulterte. Noch immer schwirrten meine Gedanken dort irgendwo mit dem Echo des Schusses weit weg, zwischen den Baumwipfeln. „Scheiße, Verdammt." Fluchte ich erneut. „Ich hab Hunger..."
Aber das war nicht der erste Gedanke, der mir durch meinen Kopf ging. Da war ich schon wieder mit meinen Gedanken fort gewesen, irgendwo... wo mich selbst mein Bewusstsein nicht fand. Es machte mir eine unsägliche Angst, dass ich einfach... dass mein Kopf einfach ausbrach... Wie konnte ich nur so abweisend und kalt werden? Ich war doch kein Soldat, der unter PTBS litt und immer wieder in seinen Gedanken zurück geworfen wurde.
Ich versuchte mich selbst zu beruhigen, allerdings fiel mir dies immer schwieriger, denn meine Gedanken steigerten sich immer mehr rein. Es war wie mich selbst zu belügen, wenn ich die Lügen nicht glaubte. Der entsetzte Blick auf Carlisles Gesicht und das nervöse Tapsen von Paul machte es nicht besser. Hatten sie etwa Angst vor mir?
Nein.
Ich bin hier wieder am Abhang. Es stimmte in der Tat etwas nicht mit mir. Das machte ihnen Angst, nicht ich. Doch herauszufinden, was mit mir nicht stimmte, würde vermutlich etwas sein, was ich lieber nicht täte. Dennoch wäre jetzt eigentlich der Moment indem es galt, das alles zu erfassen und zu verstehen. Und es schien, als könnte ich nur noch zurück zu den Anfängen, als all das noch vor mir lag. Doch stattdessen plagte mich jetzt eine verblasste Illusion.
Mir waren das zu viele Unbekannte in einer Formel, dessen Berechnung ich mir nicht sicher war. Diese Gleichung... würde sie überhaupt mit meinem Ergebnis aufgehen? Oder wäre es eine Einsicht... eine Erkenntnis, die wirklich beängstigend für mich wäre? Ich wünschte, ich könnte diese Gedanken gehen lassen. Denn ich weiß, dass ich nur einen Schritt davon entfernt bin zu fallen...
In einer halben Drehung packte ich die Schaufel des Elches und begann ihn ein Stück über den Schnee näher zu mir zuziehen. Aber kaum war ich zwei Meter mit dem erstarrten Koloss gekommen, hielt ich erneut ein, fragte ich gegen den Boden.
„Wollt ihr jetzt die ganze Zeit hier stehen und mich anstarren?" Fragte ich die beiden. Mein Blick ging auf zehn Uhr. Irgendwo dort, hinter den Zweigen einer alten Tanne, hielten sich Sam und Jared auf. Ich konnte Jareds leises Winseln hören. Auch er hatte Angst, nicht so sehr um mich, eher um den Wolf in meiner Nähe. Ich schüttelte meinen Kopf und verdrängte den letzten Impuls erneut los zu knurren und packte nun mit der zweiten Hand an das Geweih des Elchbullen.
„Wir sollten darüber sprechen." Kam es von Carlisle, als ich begann den Elch hinter mir herzuziehen. „Jetzt." Hätte ich mich verwandelt und den Elch als Wolf gezogen, wäre es vermutlich leichter gewesen. Meine Hände waren zu klein, als dass ich richtig das Geweih packen könnte. Mit meinem Maul wäre es leicht, ich könnte ihn ohne mich wirklich anstrengen zu müssen, einfach den Berg herunter ziehen. Wahrscheinlich würden dort schon Harry und Charlie auf mich warten.
Die anderen beiden Wölfe hatten sich nun auch endschieden und sich uns gezeigt. Auch, wenn sie noch immer in einem gewissen Abstand zu uns langsam her liefen. Erneut begann ich mit einem Ruck das tote Tier hinter mir her zu ziehen. Hinter dem Elch hatte sich eine rote Spur des Tierblutes gebildet. Sie zeigte den Weg an, den ich gelaufen war. Nicht gerade imposant, vielleicht vier Meter. „Worüber? Das ich Hunger habe?" Noch immer schaffte ich es nicht meinem Mann in die Augen zu sehen. Nervös trabte der Wolf neben mir her, ehe er sich vor mich hinlegte und mir so den Weg abschnitt. Meine Augen gingen zu dem Fell, das mit Schneeflocken überzogen war. Ein weiterer Ruck und der Elch landete auf dem Rücken des Wolfs. Dort hinterließ er Blut, das noch immer aus der Wunde hervor quoll. „Kaya, dein Verhalten macht mir Angst." Zerschnitten Carlisles Worte die kalte Luft.
Für einen Moment erstarrte ich, als wäre nun auch ich zu Eis erstarrt.
Dass Fell des Elches war nun an seinem Hals und Gesicht blutrot. Erstaunlich, dass noch immer etwas aus dem Leichnam des Tieres an die Oberfläche quoll. Noch immer rasselte mein Atem, die kalte Luft schnitt mir in meine Lungen.
Die Augen des Wolfes sahen zu mir rauf. „Mir geht es g-" „Kaya." Die Stimme meines Mannes wurde das erste Mal mir gegen über lauter, seitdem ich ihn kannte. Es war ein Ton, der keine Widerworte zuließ. „Sag mir nicht, dass es dir gut geht. Denn offensichtlich ist dem nicht so. Oder soll ich erst wieder nach London fliegen und dich halbtot in einem Krankenhausbett auflesen?! Oder findest du nicht, dass wir über diesen Zeitpunkt der Lügen weit hinaus sind?" Etwas Rotes tropfte von meinem Gesicht in den Schnee. Vermutlich hatte sich meine Träne mit dem Blut vermischt. „Ich. Ich sag das doch nur... weil... weil es wahr sein muss."
Der Wolf erhob sich aus dem Schnee und drehte sich zu mir.
„Denn wenn ich mir eingestehe, dass ... dass..." Ich biss mir auf die Lippe. Konnte ich wirklich diese Worte in ihre Freiheit entlassen? „Das was?" Fragte er mit Nachdruck. „Wenn etwas nicht mit mir stimmt... Es kann doch nicht sein." Meine Gedanken rasten in meinem Kopf. Das klare Bild, welches sie mir zeigen, wollte und konnte ich nicht akzeptieren. Seine Hand drehte meine Schulter zu sich, doch noch immer blickte ich auf den Boden. „Er sagte, dass er mich beschützen würde." Ein weiteres Mal wischte ich mir eine Träne von meinem Gesicht. Ein weiteres Mal tropfte dieses Gemisch aus Salzwasser und Blut auf den Boden. „Der Wolf will mich beschützen."
Die Hand sank von meiner Schulter.
Ich hätte schwören können, dass ich etwas in dem Augenblick brechen gehört habe. Etwas fiel klar und deutlich klirrend zu Bruch. Doch dieses Mal kam es nicht von mir. „Aber es gibt nichts, wovor man mich beschützen muss." Meine Hand streckte sich nach seiner. Der Schnee wäre vermutlich nicht wärmer gewesen, als diese kalte Hand, die von meiner warmen umschlossen wurde. Die drei Wölfe rotteten sich zusammen, ehe sie gemeinsam gingen. Wahrscheinlich konnten sie sich das hier auch nicht mit anhören. Möglicherweise... kannten auch sie bereits die Antwort. Erneut fiel eine Träne. Wie wir so schnell zu diesem Moment gekommen waren, konnte ich mir nicht anders erklären, als mit dem Versuch ihn vor einem noch größeren Schaden zu bewahren.
„Doch..." Seine Stimme war gebrochen. „Vor mir..."
Im Bruchteil einer Sekunde hatte meine Hand die seine losgelassen und fand ihren Weg an seine Wange. Das Klatschen hallte, wie eine leisere Version des Schusses, erneut zu mir zurück. Mit roten Augen sah ich in sein Gesicht, den Zeigefinger hoch erhoben. „Ich sagte doch, du sollst so etwas nicht sagen. Du bist kein Untier, vor dem ich beschützt werden muss. Merk dir das doch endlich. Es. Sind. Nur. Die. Hormone. Meine Instinkte drehen nur ein bisschen durch, das ist alles."
Ich fühlte mich, wie ein Haushund, der etwas falsch gemacht hatte, wobei ich eigentlich nichts bewusst falsch gemacht hatte. Doch dieser Schlag in das Gesicht meines Mannes... dieser Schlag, er hätte auch so gut mich treffen können. Erneut sah ich wieder auf den Boden. Mittlerweile war nicht nur die Situation mehr als unangenehm. Abermals biss ich mir auf meine Lippe. „Es tut mir leid." Wisperte ich so leise, sodass vermutlich der Fall der Schneeflocken meine Worte überdecken konnte.
Ein Knurren ertönte, aber dieses Mal stammte es von meinem Bauch. Meine Hand legte sich auf ihn. „Ich habe wirklich Hunger."
Keinen Moment später ging ich einen Schritt vor und umarmte meinen Mann. „Heirate mich bitte noch einmal an unserem Hochzeitstag." Flüsterte ich. Erst jetzt wurden seine Arme zu neuem Leben erweckt und umschlossen meine Taille. Sein Kopf ruhte schwer auf meiner Schulter. „Natürlich... Ich werde zu Hause auf dich warten. Beeilst du dich nach dem Essen mit dem Nachhause kommen?" Jetzt strömten die Tränen erst recht über mein besudeltes Gesicht. Mit zusammen gepressten Lippen und einer Kehle, die zugeschnürter nicht sein könnte, nickte ich. „Wir beeilen uns."
Ein letzter Kuss und dann war er auch schon verschwunden.
Ich wischte mir die Tränen im Laufen aus meinem Gesicht. In der Tat waren meine Hormone nicht wirklich zuverlässig in der letzten Zeit gewesen. Jetzt gerade genauso. Erst war mir zum Heulen zu Mute, weil ich nicht weiter wusste und nun weinte ich, weil ich diesen Mann einfach nur so sehr liebte. Vielleicht gab es da auch keinen Unterschied, doch musste ich mir darüber jetzt nicht auch noch den Kopf zerbrechen.
Auf meinem Weg den Berg hinab folgte ich den Spuren der Wölfe, die mit ihren großen Pranken den Schnee gezeichnet hatten. Doch auch halfen die Blutspuren sehr dabei. Das Laufen war befreiter, ich fühlte in mir nicht diesen Drang ein Tier zu erlegen, was ohne hin keine Chance gegen mich gehabt hätte.
Nun, wo ich die Rufe von Harry und Charlie immer lauter hören konnte, wurde mir bewusst, wie sehr sie sich eigentlich Sorgen um mich machen mussten. Der letzte Wolf, der einen Elchbullen auf seinem Rücken getragen hatte, stand in dem Schatten eines kahlen Baumes und wartete bereits auf mich. „Du kannst ihn hier runter lassen. Den Rest schaffe ich schon." Ich versuchte mir ein Lächeln auf meine Lippen zu zwingen, doch fühlte sich mein Gesicht komischerweise steif an.
Paul sah in die Richtung, in der Harry und Charlie nach mir suchten, ehe er erneut auf mich zu getrabt kam. Meine rote Hand verschwand in dem langen Fell des Wolfes. „Heizt ihr schon einmal ein Feuer bei Dad ein? Wir werden wahrscheinlich nicht so lange dorthin brauchen." Ich konnte das Winseln hören, allerdings sah nun ich in die Richtung des Fuß des Berges. „Vielleicht schon, aber das wird auch nicht mehr so lange sein."
Das Essen hatte mir so gut geschmeckt, wie seit langem nicht mehr. Das Fleisch, welches auf einem Rost gebraten wurde, es war noch immer blutrot in der Mitte. Wenn ich zuhause aß wurde immer peinlichst genau darauf geachtet, was ich aß. Warum auch nicht, immerhin hatte ich genug Leute um mich herum, die nicht essen konnten und umso mehr auf mich achteten.

-Sichtwechsel-
Mir tat es so unglaublich weh, sie so sehen zu müssen. Ich verstand auch durchaus, warum sie eigentlich dieses Problem totschweigen wollte. Im Grunde wollte sie mich damit beschützen, doch würden diese Worte und Gedanken nicht verschwinden, nur weil wir beide sie nicht aussprechen würden. Sie wären noch immer da und würden sich wie heiße Lava durch den Schnee brennen.
Ich war schon auf halben Weg wieder nach Hause, da riss mich der Ruf eines Mannes aus meinen Gedanken. „Hey! Doktor Fangzahn." Augenblicklich hielt ich in meiner Bewegung inne und drehte mich leicht zu dem Indianer, der vor kurzem noch ein Wolf gewesen war. In seinen kurzen Hosen und mit seinem freien Oberkörper wirkte er nicht wirklich normal, Menschen würden so im tiefsten Winter nicht herum laufen, ohne eine ernsthafte Unterkühlung zubekommen. Mit großen Schritten kam er auf mich zu.
„Vielleicht sollten wir auch miteinander reden." Auf dem Hügel, von dem er herunter gekommen war, erschienen nun zwei weitere Wölfe, die diese Szenerie überblickten. Nach alldem passierten vertrauten sie uns noch immer nicht, doch wer könnte es ihnen verdenken nach dem Geschehenen der letzten Nacht?
Meine Augen huschten für einen Moment in die Richtung in die ich eigentlich verschwunden wäre, ehe ich mich zu Gänze zu dem jungen Mann umdrehte. „Wie konnte es so weit kommen?" Auf seinem Gesicht war eine gewisse Wut zu erkennen, die ich nur zu sehr nachempfinden konnte. Leicht schüttelte ich meinen Kopf. „Ich weiß es doch auch nicht."
Paul verschränkte seine Arme vor seiner Brust. „Nun irgendwo dran muss es ja liegen, schließlich sieht man ja so, wie sie heute aussah, nicht zum Spaß aus." Seine Muskeln spannten sich an. „So kann es jedenfalls nicht weiter gehen. Die Kinder sind vielleicht nach ihrer Geburt in Sicherheit, aber wir können doch auch Kaya nicht irgendwann in einem Leichensack abholen. Schließlich wird es ja immer schlimmer!"
Zu gerne hätte ich ihm gesagt, dass sie bei mir in Sicherheit wäre, doch hatte das vergangene Jahr eigentlich mehr als deutlich gezeigt, dass sie es nicht bei mir war. Im Grunde war immer irgendetwas gewesen und seitdem wir aus England wieder-
„Das ist es." Flüsterte ich. „Bitte was?" Kam es ziemlich ruppig von dem Jungen. Die anderen Wölfe hatten einen gewaltigen Sprung auf uns zu gemacht, ihre Nackenhaare aufgestellt und knurrten nun bedrohlich. „Du kannst das doch nicht wirklich-" „Nein, nein, das meine ich nicht, ehm... ich habe vielleicht den Grund gefunden, warum so geworden ist." „Dann mal raus mit der Sprache."
„Ich hätte es bemerken müssen, aber... ist ein schleichender Prozess seitdem wir aus England wieder hier sind. Kaya hatte die Medizin der Heilerin auf meine Bitte hin, nicht mehr genommen." Mein Blick ging in die Richtung, aus der ich gekommen war. „Aber es ging ihr doch eigentlich besser..." „Dann sollte sie die schnell wieder anfangen zu nehmen." Kam es von Paul.

The Colors of the WaterfallWo Geschichten leben. Entdecke jetzt