Aurelia
Wie vor einer gefühlten Ewigkeit lief ich erneut, des Nachts durch die Flure des Anwesens. Morgen war mein Geburtstag und endlich wurde ich 18, doch ich konnte mich nicht wirklich freuen. Leise schlich ich zu Lucius Zimmer, wie ab dem Abend damals eigentlich jeden Tag. Egal ob ich schlecht geträumt hatte oder nicht. Ich wollte einfach bei ihm sein, mich an ihn kuscheln und seine Wärme spüren. Ein Lächeln huschte über mein Gesicht. Doch als ich die Türklinke hinunter drückte, war sein Zimmer leer. Das Bett war ordentlich gemacht, die Vorhänge an den Fenstern nicht geschlossen und kein Laut war zu hören. Mein Lächeln verschwand augenblicklich. Ich vermisste Lucius so sehr, obwohl er erst seit einem Monat plötzlich verschwunden war. Doch jedes Mal hatte ich die gleiche Hoffnung, dass wenn ich sein Zimmer betrat, er in seinem Bett liegen und auf mich warten würde, wie er es damals tat. Ich wollte wieder in seinen blauen Augen versinken und seine Arme um mich geschlungen haben. Langsam ging ich zu seinem Bett, was mir bekannter war als mein Eigenes und legte mich unter die Decke. Sofort roch ich seinen Geruch. Er hatte sich verändert seit damals, war männlicher und rauer geworden und unfassbar attraktiv. Was? Ich schüttelte den Kopf. Nein, so darf ich nicht denken. Er war mein bester Freund und obendrein war ich sicher nicht, was er wollte. Ich war hübsch geworden, seit damals. Doch ich bin doch immer nur seine kleine Schwester und daran würde sich sicherlich nichts ändern und überhaupt sollte ich gar nicht über so was nachdenken. Ich vergrub mein Gesicht in das weiche Kissen und atmete ein weiteres mal tief ein. Außerdem war ich sauer auf ihn! Nachdem er vor rund einem Monat 27 geworden ist, war er Hals über Kopf auf einmal verschwunden. Ohne mir auch nur ein Wort zu sagen. Als ich in sein Zimmer kam, war er weg und niemand wusste etwas. Dabei war der Tag so schön gewesen. Lucius und ich haben getanzt und gelacht, es war alles perfekt. Ich hatte mich extra hübsch angezogen und zu Recht gemacht, denn ich wollte die Schönste für Lucius sein, an diesem Tag. Ein Zittern durchfuhr meinen Körper, bei dem Gedanken, dass ihm vielleicht etwas passiert sein könnte. Ich fühlte mich einfach so hilflos, ich vermisste ihn so sehr. Seine Decke wirkte so vertraut auf meiner Haut und ich streifte langsam mit meinen Fingerspitzen über den weichen Stoff in der Hoffnung, mich dadurch beruhigen zu können. Ich trug ein weißes Nachtkleid aus feiner Baumwolle. Meine seidigen braunen Haare, die mir inzwischen bis zum Rücken gingen, bildeten einen schönen Kontrast zu dem hellen Kissen, auf dem sie gefächert waren. Lucius liebte meine Haare. Wie oft hatte er sie liebevoll gekämmt und mich dazu überredet, sie lang wachsen zu lassen. Ich schaute aus dem großen Fenster über mir, was einen atemberaubenden Blick auf den Himmel zuließ. Die Sterne funkelten wunderschön. Ich wünschte mir, dass Lucius morgen zu meinem Geburtstag wieder da sein würde. Dann schloss ich die Augen, wurde umhüllt von seinem Geruch und stellte mir vor, dass er bei mir wäre bevor ich ins Land der Träume fiel.
Ein Lachen erfüllte den Raum. Sein Lachen. Mein zwölfjhriges Ich stolzierte stolz auf ihn zu. Meine Haare hatten wir beide mit vielen kreativen Hilfsmitteln hochgesteckt. Sie waren zwar oben, aber es sah aus als ob ein Vogel darin brüten würde. Dazu trug ich meine neunen Sandalen, die mir Lucius geschenkt hatte und die bis über die Knie gingen und ein hellblaues Kleid, das Lucius Mutter gehörte und mir viel zu groß war. Er trug eine dunkle Baumwollhose, die von einem Band an seiner Hüfte gehalten wurde. Sein Oberkörper war frei, wie immer. Kein Wunder, dass alle ihn immer anstarrten. Die Mädchen voller Bewunderung, die Jungen voller Neid, doch nur ich durfte ihn so viel anschmachten, wie ich wollte, während er alle anderen immer wegschickte. Aber es war kein Wunder, dass Lucius immer angestarrt wurde, er war unglaublich trainiert und laut den jungen Frauen, die manchmal zu besuch kamen, um Sachen vorbei zu bringen auch unheimlich attraktiv. Ich sah in ihm immer noch meinen großen Bruder, der langsam Erwachsen wurde und sofort kam dieses Gefühl wieder in mir hoch, dass ich ihn verlieren würde –irgendwann. Aber ich schob den Gedanken beiseite, stimmte in sein Lachen ein und trat noch einen Schritt näher an ihn. Dabei trat ich auf den Saum des Kleides, stolperte und fiel in seine Arme, gegen seine Brust. "Aua.", sagte ich gespielt empört, um ihn zu ärgern und tippte auf seine Brust. "Du bist hart." Ein Schmunzeln zog sich durch sein Gesicht und ein Funkeln blitzte in seinen Augen, was ich nicht deuten konnte, doch es verschwand so schnell wieder, dass es auch Einbildung hätte sein können. "Frechheit.", entkam es ihm und er schob die Unterlippe nach vorne. Erneut musste ich lachen, er sah so knuffig aus wenn er schmollte. "Viele Mädchen wären glücklich, so einen gutaussehenden besten Freund zu haben." "Angeber.", schoss ich sofort zurück. Ich hatte schon immer eine große Klappe und das machten auch neun Jahre Altersunterschied nicht weg. "Pff." Lucius ließ mich los und drehte sich von mir weg, als wäre er sauer. Doch ich kannte ihn besser, er ist nie sauer auf mich. Doch ich wusste, was er wollte: dass ich wieder lieb wurde. Und obwohl ich es liebte ihn zu ärgern, tat ich ihm diesen Gefallen ebenfalls liebend gern. Ich schmiegte meinen Kopf an seinen Rücken und schlang meine Arme um ihn. "Trotzdem bist du der beste zum Kuscheln." Ein Beben durchfuhr ihn und ich spürte, wie er ein Lachen unterdrückte bevor er sich wieder zu mir drehte, seine Arme um meine Taille legte und mich näher an sich zog. Er lächelte mich warm an und gab mir einen Kuss auf die Stirn. "Ich hab dich lieb, Prinzessin." Ich lächelte zurück und mein Herz wurde ganz warm. Ich war so glücklich ihn zu haben, dass es sich nicht mit Worten beschrieben lassen könnte. Lucius nahm meine Hand und drehte mich dann Vorsicht, dass ich nicht wieder das Gleichgewicht verlor, um meine eigene Achse, mein Bauch begann zu kribbeln und ich musste kichern. „Ich hab dich auch lieb." Nachdem diese Worte meinen Mund verlassen hatten, zog er mich wieder an sich und begann sich mit mir zusammen hin und her zu wirbeln. Ich hatte vorher noch nie getanzt aber ich vertraute Lucius und so ließ ich mich einfach führen, legte meinen Kopf an seine Brust und lauschte seinem Summen.
Ich schlug die Augen auf. Seit diesem Tag hatten Lucius und ich oft miteinander getanzt, es war so was wie ein Hobby von uns beiden geworden. Er brachte mir alles bei und ich liebte es jedes Mal mehr in seinen Armes zu liegen, der Musik zulauschen und die restliche Welt auszublenden. In diesen Momenten existierten immer nur Lucius und ich. Als wären wir die einzigen Menschen auf der Welt. Der Traum, na ja eher die Erinnerung, hatte ein warmes Gefühl hinterlassen. Doch es war nicht der Grund, weshalb ich aufgewacht war. Ich hörte Stimmen vor der Tür des Raumes. Irgendwer unterhielt sich dort, doch die Stimmen waren zu gedämpft, um etwas zu verstehen. Einzig einzelne Wortfetzen drangen durch die Tür zu mir durch."...Schwester?... nur eine Sklavin! ... ein Idiot!", waren einige Wörter, die ich vernahm und ich war mir sicher diese Stimme zu erkennen. Es war Lucius Vater, der aufgebracht zu jemandem sprach. Ich lauschte angestrengt und Neugier durchströmte mich und ich war kurz davor aufzuspringen und an die Tür zu schleichen, um mehr mitzubekommen, als diese mit einem Ruck geöffnet wurde.
Ich zuckte zusammen, als das Licht, das aus dem Flur ins Zimmer fiel, meine sich schon an die mich umgebende Dunkelheit gewöhnten Augen blendeten und ich diese reflexartig zusammenkniff. Allerdings verriet mir kurz darauf das leise Klicken, dass die Tür wieder geschlossen wurde. Und ich hörte einen frustrierten Seufzer von der Person, die eingetreten war. Ich öffnete meine Augen und schaute zu dem Geräusch. Meine Augen gewöhnten sich schnell wieder an die Dunkelheit und ich sah ihn. Lucius stand unsicher im Raum und fuhr sich mit der Hand durch die blonden Haare. Sie wirkten länger als noch vor einem Monat, gingen ihm inzwischen bis kurz über die Schultern und wellten sich sanft. Und auch sein Gesicht schien markanter, sein Körper noch definierter geworden zu sein. Aber wahrscheinlich war es nur Einbildung. Schließlich war es erst einen Monat her, dass ich ihn zuletzt sah und doch musste ich unwillkürlich schlucken, als ich feststellte, dass er nicht mehr viel mit dem Jungen von früher zu tun hatte. Er war so erwachsen geworden und plötzlich fühlte ich mich schrecklich jung und unerfahren in seiner Gegenwart. Ich richtete mich auf, um ihn besser sehen zu können und als er mich daraufhin mit seinem mir so bekannten herzlichen Lächeln anstrahlte, sah er aus wie immer. Wie die wichtigste Person in meinem Leben, die ich so sehr vermisst hatte. Auf einmal wurde mir bewusst, wie einsam ich mich ohne ihn gefühlt hatte. Ich hatte niemand anderes außer ihm. Natürlich hatte ich meine Eltern, die ich ebenfalls über alles liebte, doch an ihren Arbeitszeiten hatte sich seit damals nichts verändert. "Hey Prinzessin.", erfüllte Lucius rauchige, tiefe Stimme die Stille des Raumes. Wie sehr hatte ich diesen ganzen Monat in meiner Einsamkeit darauf gehofft, sie zuhören. Ich hatte ihn so verdammt vermisst. Obwohl es doch "nur" ein Monat war und er mich bestimmt damit necken würde, wenn ich es ihm erzählte. Doch auch wenn das vielleicht übertrieben ist, war es verdammt schrecklich ohne ihn zu sein, ohne ihn einzuschlafen und ohne ihn aufzuwachen. Sein Geruch in dem Zimmer, der schon schwächer wurde. Er war immer bei mir gewesen. Immer. Mein Körper verspannte sich und ich bemerkte erst, dass mir Tränen in die Augen gestiegen waren, als ich aufschluchzte und sie mir heiß über die Wangen liefen. Das Lächeln war aus seinem Gesicht verschwunden und Schmerz stand in seinen Augen. Ich ließ meinen Blick auf meine Hände sinken. Meine Tränen waren noch nicht versiegt und tropfen auf diese. Ich realisierte auch erst, dass Lucius sich bewegt hatte, als seine Hand unter mein Kinn fuhr und es anhob, um mir direkt in die Augen zu schauen. Mit seiner anderen Hand wischte er die Tränen fort und schob eine lange braune Strähne, die mir ins Gesicht gefallen war, hinter mein Ohr. "Es tut mir leid, Lia." Seine blauen Augen verfingen sich in meinen Grünen und ein letztes Schluchzen entkam meinen Lippen, bevor mein Körper aufhörte zu beben und die Tränen vollständig verschwanden. Ich hatte jeden Tag darüber nachgedacht, wie es sein würde, wenn er endlich zurückt kommt, doch jetzt erst wurde mir komplett klar, wie dolle mich seine Abwesenheit geschmerzt hatte Er trug einen langen Mantel zu seiner Reithose. Er schien wirklich erst gerade angekommen zu sein. "Alles Gute zum Geburtstag, Prinzessin." Überrascht schaute ich ihn an und sein Lächeln kam zurück. "Auch wenn ich ein Arsch war, einfach so ohne Wort zu verschwinden, würde ich nie deinen Geburtstag verpassen." Er legte seine Arme um mich und zog mich an sich. Meine Wange ruhte an seiner Brust und es fühlte sich an wie immer, als wäre er nie gegangen. Lucius strich mir über meine Haare und flüsterte leise: "Du weißt doch, wie wichtig du mir bist." Ich schlang meine Arme um ihn und presste mich noch näher an ihn. „Wie schön, dass du wieder da bist.", flüsterte ich leise. Er war so warm wie immer und ich lächelte an seiner Brust gedrückt, zum ersten mal seit dem er gegangen war, wieder. Es war das schönste Geschenk, was er mir jemals hätte machen können.
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Du gehörst mir!
AcakSeit Aurelia denken kann, ist er an ihrer Seite. Er ist ihr bester Freund, wie ein Bruder für sie. Doch Aurelia ist für etwas anderes bestimmt und das weiß er auch. Denn Aurelia ist das Kind zweier Sklaven des Hauses Cornu, das Haus seiner Eltern un...