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Aurelia

Ich starrte das Bild an, was sich genau vor meinem Fenster abspielte und mich dazu zwang, hinzusehen. Diese Frau. Diese wunderschöne, perfekte Frau, die wie geschaffen für Lucius wäre. Wie sie sich vorbeugte und Lucius küsste, als wäre es das normalste der Welt. Ich spürte einen Schmerz, der nicht in Worte zu fassen war und Caius Satz drängte sich so grausam wieder in meine Gedanken, dass ich keine Luft mehr bekam.

'Diese Gesellschaft wird sich niemals ändern, auch nicht dein geliebter Lucius.'

Was wäre, wenn Lucius mich immer noch als seine kleine Schwester ansah und unsere Vereinigung bloß aus einer Laune von ihm heraus geschehen war.

Was wäre, wenn Lucius nie ernsthaft Absichten hatte?

Was wäre, wenn er in mir doch nichts weiteres sah, als sein kleines Spielzeug, das sich eh nicht wehren dürfte.

Ein Schauer durchfuhr mich und unterbewusst wanderten meine Finger zu dem kleinen Zeichen hinter meinem Ohr, was mir immer wieder vor Augen führte, was ich war und am liebsten würde ich schreien. Doch mein Hals war immer noch zugeschnürt.

Nein. Ich wollte nicht so denken. Lucius hatte mich nie wie eine Sklavin behandelt. Für ihn war ich immer ein Mensch und kein einfaches Püppchen. Denn sonst hätte er sich niemals so lange zusammengerissen, sondern sich einfach genommen, was ihm gehörte. Lucius war mein Leben. Er hatte es erst lebenswert gemacht und egal was passierte, ich würde immer an seiner Seite bleiben. Nicht wegen eines Vertrages. Nicht weil ich wertlos war, in den Augen der Menschen hier. Nein. Einzig und allein, weil er der Mann war, dem mein Herz gehörte und für den ich immer da sein möchte, so wie er es all die Jahre für mich gewesen ist. Dieser Kuss hatte nichts zu bedeuten. Latavia war immer noch Caius Schwester und wahrscheinlich genauso kaltherzig und berechnend wie er. Sie allein hatte Schuld an meinem Leid. Lucius war bloß ebenfalls ein Gefangener der Gesellschaft, auch wenn er nicht alle Ansichten teilte. Dennoch. Er trug keine Schuld.

Eine andere Sache jedoch ließ mich immer noch frösteln. Abgesehen von der Tatsache, dass Caius immer noch viel zu nah war, hinterließen auch die anderen Wörter, die er gesagt hat, ein ungutes Gefühl.

Er hatte Begehren zu mir gespürt.

All die Jahre, hatte ich es immer auf seine schier unfassbare Wut, geschoben, wenn es sich aus den Tiefen meiner Erinnerung wieder hochgegangen hatte. Das es allerdings nicht nur daran lag, sondern auch, dass er schon länger Begehren zu mir gespürt hatte, brachte mich vollkommen durcheinander.

Natürlich, Lucius und er waren immer gute Freunde gewesen und auch ich hatte deshalb auch einige Male Zeit mit ihm verbracht. Aber er wirkte immer so, als würde er mich nicht mögen. Während Lucius mir immer das Gefühl hab etwas besonderes zu sein, ließ Caius mich wertlos und unwichtig fühlen. War das eine Lüge? Was war hier los?

Unwillkürlich zuckte ich zusammen, was mich dazu brachte einen Schritt zurück zu tätigen und genau gegen ihn zu prallen.

„Du musst besser aufpassen, Lia." Seine Stimme klang leicht belustigt und dennoch rau, während er seine Hände um meine Arme geschlungen hatte um mich aufzufangen. Seine Hände waren so kalt wie immer und ich wollte mich sofort losreisen, doch es war, als wäre ich fest gefroren. 

"Hab keine Angst", erklang seine Stimme erneut und sofort bildete sich eine Gänsehaut auf meinen ganzen Körper. Keine Angst? Ja. Ich wollte doch stark sein. Aber konnte ich das überhaupt wenn Lucius nicht bei mir war? Mit ihm fühlte sich alles so leicht an. Bei ihm kann ich mutig sein. Bei ihm kann ich so sein, wie ich bin, ohne mich fürchten zu müssen, etwas falsches zu sagen. 

Nein. Ich wollte nicht mehr nur in seiner Nähe so sein. Ich wollte kämpfen. Kämpfen für unsere Zukunft! Ich hatte mich lange genug in Lucius Armen ausgeruht, es wurde Zeit, dass ich meine Ketten zerriss und endlich frei sein würde. Nicht gebunden an Regeln, Vorschriften oder der Gesellschaft. Die Götter hatten uns in diese Prüfung geschickt und nun war es an uns, ihnen zu beweisen, dass wir zusammen gehörten. 

"Ich habe keine Angst vor dir", gab ich zurück und riss mich aus seinen Berührungen. "Mir ist nur etwas klar geworden, was ich beinahe vergessen hätte." Mit diesen Worten drängte ich mich an Caius vorbei und eilte hinaus.

Jetzt gab es kein zurück mehr. Selbst wenn es das letzt mal sein würde, ich konnte nicht so leben. Ich konnte ihn nicht mit einer anderen Frau zusammen sehen. Ich wollte ihn noch einmal meine Gefühle offenbaren. Nur noch ein einziges mal,  mit ihm lachen, weinen, reden, tanzen. Bei ihm sein. Alleine. Jetzt. Auch wenn es das letzte mal sein sollte. Wir mussten zusammen eine Lösung finden, die uns aus dieser Situation rettete. Ich wusste das Lucius mich liebt. Ich würde nicht zulassen, dass diese Blume, die eben erst erblüht war, sofort wieder stirbt.

Ich eilte die Treppen herunter, so schnell mich meine Beine trugen konnten. Ich musste mich beeilen. Ich wusste nicht, ob es Zufall war, dass Caius zu mir gekommen war, aber ich könnte schwören, dass Cornelia ihn zu mir geschickt hat, damit ich keine Dummheiten begehe und er ihr es sofort mitteilen sollte, wenn doch. Mein Atem ging bereit stoßartig, als ich die schön verzierte Tür aufstieß, die zum Garten bereich führte. Ich meinte meinen Vater zusehen, der zu mir aufschaute, als ich durch das Gras lief. Geräusche drangen zu mir rüber. Vielleicht hatte Vater nach mir gerufen? Was würde mit ihnen passieren, wenn ich nicht das tat, was Cornelia von mir verlangte? Aber der Gedanke rückte beinahe augenblicklich in den Hintergrund und ich nahm nichts mehr wahr. Sie waren zu sehr auf Lucius konzentriert. Alles um mich herum verblasste und als ich ihn endlich sah, schien mein Herz zu explodieren vor Glück. Er war so perfekt. Sein lächeln so schön. Seine Art so liebevoll, dass einem nichts anderes übrig blieb, als ihn zu lieben. Und das tat ich. Ich liebte ihn von ganzen Herzen und all die Konsequenzen, die mein Handeln mit sich ziehen würden, wirkten nichtig, als er aufschaute, mir direkt in die Augen blickte und ich nicht anders konnte, als voller Sehnsucht seinen Namen zu rufen.

Ich würde nicht aufgeben. Ich würde nicht mehr weglaufen.

"Lucius!"


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Lasst uns einfach so tun, als wäre heute Sonntag :)

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