Lucius
Wie versteinert starrte ich die Tür an, durch die Aurelia so eben verschwunden war. Ich konnte mich nicht rühren, mich nicht bewegen. Sie war weg. Mir durch die Finger gerinnen, wie Sand. Ich wusste nicht was ich tun sollte. Was dachte sie sich nur dabei, wegzulaufen? Weg. Oh bei allen Göttern. Wenn sie nur keiner findet. Adrenalin schoss plötzlich durch meine Adern und ich sprang auf, schlüpfte in meine Sachen und stieß die Tür auf. Niemand zu sehen. Mein Blickfeld verschwamm. Ich stürmte nach draußen. Sie war nicht mehr hier. Meine Lia. Meine Prinzessin. Ich blickte mich zu allen Seiten um, doch ich sah nichts. Was wenn ihr etwas passierte? Das könnte ich mir nie verzeihen. Mein Herz schlug schmerzhaft gegen meinen Brustkorb und Panik stieg in mit hoch. Ich brauchte Lia an meiner Seite. Ohne sie würde ich völlig verloren sein. Wie sollte ich je wieder glücklich sein, ohne sie? Doch ich musste ruhig bleiben, wenn ich sie wiedersehen wollte. Ich hatte ihr weh getan. Ich hatte sie enttäuscht, doch was sollte ich denn anderes tun? Ich konnte es ihr nicht vorher sagen, ich wollte doch für einen Moment noch, nur sie an meiner Seite haben. Nur noch ein in bisschen mit ihr Zeit verbringen, bevor das Chaos uns übermannt. Doch es war mir zuvor gekommen, hatte uns schneller eingeholt, als ich gehofft hab, uns in die Realität zurück gerissen und alles in Schutt und Asche gelegt. Erneut wirbelte ich den Kopf hin und her und sah den Gastwirten, der gerade den Weg fegte. Meine Augen fokussierten ihn und ich stolperte fast auf ihn zu, der mich hörte, den Kopf hob und mich begrüßte.
„Der werte Herr! Wie kann ich dienen?" , fragte er und unterbrach seine Aufgabe.
„Hast du sie gesehen? Meine Begleitung?" ,meine Stimme zerschnitt die Luft und das Gesicht des Mannes wurde ernster.
„Das junge Mädchen? Die ist eben hier lang gelaufen, ich hab gerufen, doch sie hat mich nicht wahrgenommen. Sie wirkte komplett neben sich."
Mein Herz schmerzte, bei seinen Worten. Meine Lia. Meine süße, wunderschöne Prinzessin. Ich wollte nicht, dass sie litt. Ich wollte es nie, doch ich hatte erneut versagt. Ich griff die Schultern des Mannes, der daraufhin erschrocken seinen Besen fallen ließ.
„Wo ist sie hin gelaufen?" Meine Stimme überschlug sich beinahe und ich musste mich zusammenzureißen, ihn nicht zu schütteln, damit er endlich antwortete.
„Dort. In den Wald, mein Herr." Er deutete zu den dichten Bäumen und dem schmalen Weg der sich hindurchschlängelte.
„Danke." ,brachte ich noch hervor und stürmte ihn die Richtung. Lia. Bitte Götter, lasst sie noch da sein. Lasst sie zu mir zurück kommen. Lasst sie mich nicht verlieren.
Der Wind fegte durch die Bäume und kühlte die warme Luft, dass man beinahe frieren könnte. Doch meine Haut glühte vor Anspannung.
Ich folgte dem Weg immer tiefer in den Wald, doch ich hörte weder etwas, noch sah ich Lia irgendwo. Selbst die Vögel schwiegen und verstärkten damit das beklemmende Gefühl, in meiner Brust immer weiter. Wo war sie nur? Sie konnte doch nicht in dem kurzen Vorsprung soweit gekommen sein! War so überhaupt auf dem Weg geblieben? War sie irgendwie abgebogen oder einfach in den Wald hinein gelaufen ohne darauf zu achten wohin?
"Lia!" Ich schrie so laut ich konnte und lief immer weiter in den Wald hinein. Immer und immer wieder rief ich ihren Namen, doch nicht ein Geräusch schallte zurück. Das konnte doch nicht wahr sein! Wo war sie nur? Wo? Das atmen fiel mir immer schwerer und meine Lunge brannte. Mein Hals fühlte sich heißer an, doch ich rief immer und immer weiter. Ich konnte sie nicht aufgeben. Ich konnte es einfach nicht! Ich musste sie finden. Ich kannte mich nicht aus in diesen Wäldern, doch ich lief einfach immer weiter, ohne mehr darauf zu achten, wohin mich meine Beine trugen. Es konnte einfach nicht sein! Mein Blickfeld verschwamm immer weiter und ich spürte wie Tränen in meinen Augen aufstiegen.
Lia war weg.
Sie war weg.
Man hatte sie mir weggenommen und ich konnte nichts dagegen tun.
Meine Schritte wurden langsamer und ich schlug mit meiner Faust gegen einen Baum. Die Verzweiflung wurde immer stärker und setzten einen unfassbaren Zorn in mir frei.
Wie konnte die nur weglaufen? Wie konnte sie mir das antun? Wieso, verdammt? Wieso war es soweit gekommen? Der Schmerz in meinen Knöcheln nahm immer weiter zu, je fester ich sie auf die raue Oberfläche sausen ließ.
Warum hatte ich mit ihr diesen Ausflug gemacht? Warum hatte ich es ihr nicht früher gesagt? Warum hatte ich den Moment nicht besser gewählt? Warum musste ich diese Frau heiraten?
Meine Wut wurde immer stärker, durch all diese Fragen auf die ich nie eine Antwort erhalten würde. Langsam riss die Haut an meiner Hand auf und Blut lief langsam meinen Arm entlang und holte mich in die Wirklichkeit zurück. Doch der Schmerz war mir egal. Alles war egal.
Ich schaute mich um, der Wald war wieder etwas lichter geworden. Scheinbar war ich im Kreis gerannt, oder zum Ende, auf der anderen Seite, ohne es zu bemerken und hatte sie dennoch nicht gefunden.
Ich hatte alles zerstört.
Ich würde nie wieder ihr Lachen hören, ihre warmen Hände spüren, ihre weichen Lippen küssen und sie in meinem Arm halten können.
"Sie ist es nicht Wert." ,flüsterte eine leise Stimme in meinem Kopf, die mich zusammen zucken ließ. "Sie hat dir nicht gehorcht. Sie ist weggelaufen. Eine dreckige, ungezogene Sklavin."
Nein, nein,nein. Lia war nicht wie andere Sklaven, sie war ein wundervoller Mensch. Warum hatte mir mein Vater nur von klein auf immer eingeredet, dass ich mehr Wert war als Sklaven? Das ich mit ihnen tun und lassen konnte was ich wollte. Lia war besser als alle anderen Menschen. Sie konnte doch nichts dafür, geboren zu sein, als das, was sie war.
Ich ging langsam weiter, darauf bedacht die Stimme zu ignorieren, die mir mein Vater eingeredet hatte und die dort seitdem herumspukte. Ich wollte sie nicht hören. Ich hasste sie. Es war falsch so zu denken. Grade über meine Prinzessin, die mir wichtiger war als alles andere und doch konnte ich diese Seite nicht abstellen, die mir sagte, dass ich einfach gehen sollte. Das ich Lia nicht bräuchte und sie es verdient hat, zu leiden, wenn sie nicht das tat was ich wollte.
Ich schüttelte den Kopf, versuchte weiterhin die Stimme zum schweigen zu bringen und war so darauf konzentriert, dass ich den Schrei, der plötzlich durch den Wald hallte, erst gar nicht mitbekam. Doch er war zu Angsterfüllt, zu furchtbar um ihn gänzlich überhören zu können und als ich ihn endlich wahrnahm, vergas ich die Stimme in meinem Kopf, meine pochende Hand, meine stechende Lunge und hörte nur mein rasendes Herz als ich so schnell ich konnte, in die Richtung lief aus der, der Schrei gekommen war. Ich zwang mich immer schneller zu rennen. Ich würde diese Stimme überall erkennen. Keinen Zweifel. Ich hatte sie Jahre lang gehört, diese liebliche Stimme. Doch jetzt hatte sie nichts mehr von der Freude, die sonst in ihr schwang, an sich. Sie klang so voller Verzweiflung, dass ich keinen klaren Gedanken mehr fassen konnte. Lia.

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Du gehörst mir!
AcakSeit Aurelia denken kann, ist er an ihrer Seite. Er ist ihr bester Freund, wie ein Bruder für sie. Doch Aurelia ist für etwas anderes bestimmt und das weiß er auch. Denn Aurelia ist das Kind zweier Sklaven des Hauses Cornu, das Haus seiner Eltern un...