Lucius
Bei jedem Schritt den ich tätigte, fühlte es sich an als würden tonnenschwere Steine auf meinen Schultern liegen und mich langsam, ganz langsam erdrücken. Ich konnte es doch nicht ändern das Vater mich zu sich rief. Was hätte ich tun sollen? Ich war in einer Zwickmühle gefangen. Egal für was ich mich entscheiden hätte, es würde Konsequenzen mit sich getragen. Doch hatte ich wirklich richtig gehandelt? So hatte ich die ganze Last auf Aurelia übertragen. Ich hatte sie allein gelassen mit diesem Monster, der sich einst mein bester Freund nannte. Ich hatte meinen Hals aus der Schlinge gezogen, denn wäre ich geblieben, hätte ich sicherlich Vaters Zorn auf mich gezogen, aber hatte damit Lias Schlinge noch fester gezogen. Ich hatte mich geschützt und Lia allein gelassen. Als würde das Problem verschwinden, wenn ich die Augen davor verschloss. War es die richtige oder die falsche Entscheidung gewesen? Es war zu spät um darüber nachzudenken. Ich hatte mich bereits entscheiden und musste nun diesen Weg weiter beschreiten, alles andere würde keinen Sinn machen. Ich blieb stehen und das Geräusch das meine Schritte erklingen ließ, verstummte. Ich stand vor einer großen, filigranen Holztür. Sie war edel, mit vielen Schnitzereien verziert. Meine Hand schoss zu dem silbernen Türknauf und ich öffnete die Tür. Je eher ich dieses Gespräch beendet hatte, desto schneller konnte ich wieder zu Lia. Mein Vater stand mit dem Rücken zu mir und schaute aus dem Fenster hinaus in den prachtvollen Garten. Er hatte seine Arme hinterm Rücken verschränkt und schien mich nicht zu bemerken. Ich trat hinein und die Tür fiel leise wieder ins Schloss. "Du hast mich rufen lassen, Vater?", begann ich das Gespräch und Vater drehte sich zu mir um, ließ sich dann auf den Stuhl an seinem Schreibtisch fallen und gab mir mit einer Handgeste zu verstehen mich ebenfalls niederzulassen. Ein unbehagliches Gefühl machte sich in mir breit. Irgendwas machte mich misstrauisch an dieser ganzen Sache und ich konnte mir einfach keinen Reim daraus machen was Vater von mir wollen könnte. Ich folgte seiner Aufforderung und setzte mich gegenüber von ihm hin. "Ich bin mir ziemlich sicher, dass dir das hier nicht gefallen wird.", begann Vater schließlich und ich spürte wie mir alles Blut aus dem Gesicht wich. Ich hatte es gewusst. "Geht es um Lia?", unterbrach ich ihn und meine Stimme klang panisch. Mein Vater schaute mich kurz verwundert an, bevor er den Kopf schüttelte: "Nein, dafür würde ich dich nicht extra rufen lassen." Erleichterung durchströmte mich, trotz der leicht abschätzigen Worte meines Vaters. Für einen kurzen Moment, hatte ich tatsächlich geglaubt, Lia würde mir weggenommen werden. Das war das einzige vor dem ich Angst gehabt hatte und ich war mir so sicher, dass es das sein würde. Das sie verkauft werden sollte, weil meine Mutter Lia nur als Störenfried sah. Als eine Gefahr, für unser reines Blut. Alles hatte darauf hin gewiesen. Vor allem da Caius, wie zufällig auf einmal wieder hier auftauchte. Doch ich hatte mich getäuscht. Caius hatte seinen Willen nicht durchbringen können. Er wollte Lia und mich schon immer trennen und für einen kurzen Augenblick dachte ich, er hätte es schließlich doch geschafft. Aber er war gescheitert und meine Mundwinkel zogen sich nach oben. Vielleicht hatte ich ihn überschätzt, wegen damals. Dennoch blieb die Frage, worüber Vater dann mit Caius und mir sprechen wollte? Was war mir entgangen? Ich spürte, dass irgendetwas fehlte, in meinen Überlegungen. Die Sorge um Lia hatte alles andere unwichtig gemacht. "Erinnerst du dich noch an Latavia?", ergriff Vater erneut das Wort. Latavia? Irgendwas sagte mir der Name. Doch was? Wo hatte ich ihn schon mal gehört? "Als du noch ziemlich jung warst, um die Fünf rum, kam sie öfter mit ihren Bruder hierher um zu spielen. Ihr wart gut befreundet damals."
"Du kannst mir doch nicht sagen, dass du keiner Erinnerung mehr an Lati hast.", ertönte eine Stimme hinter uns und mein Kopf wirbelte umher. Caius stand im Türrahmen und grinste mich spöttisch an bevor er auf uns zukam und sich in den Stuhl neben mir fallen ließ. Lati. Doch ich erinnerte mich an sie. Wir waren Kinder. Es war vor Lias Geburt. Lati war Caius zwei Jahre jüngere Schwester. Ein zurückhaltendes Mädchen. Wir haben damals immer nur Lati zu ihr gesagt, kein Wunder, dass mir ihr ganzer Name nichts richtig sagen wollte. Ich mochte sie gerne, doch je älter sie wurde, desto seltener kam sie mit ihrem Bruder zum spielen. Sie meinte, sie fühle sich immer nur wie das fünfte Rad am Wagen. Und als Lia geboren wurde, besuchte sie mich gar nicht mehr. Ich verstand damals nicht wieso und vor allem verstand ich nicht warum Vater auf einmal wieder von ihr sprach. Es war ewig her, dass ich Lati gesehen hatte und als die Sache mit Caius passierte, beschloss ich, beide Geschwister nie wieder in mein Leben lassen zu wollen. „Latavia ist sehr hübsch geworden und mit Vierundzwanzig in einem wunderbaren Alter.", erklang erneut Caius Stimme und plötzlich hatte ich eine böse Vermutung, was genau Vater mit uns beiden besprechen wollte. "Du hättest deine Schwester am besten gleich mitbringen sollen.", erwiderte Vater lächelnd. "Wir wollen sie so bald wie möglich kennen lernen." Nein. Das konnte nicht sein. Ich hatte immer gewusst, dass der Tag kommen würde, je älter ich wurde, je mehr ich ins heiratsfähige Alter kam. Aber warum jetzt? Warum ausgerechnet sie? Ich hatte mich getuscht. Ich hatte Caius nicht unterschätzt. Doch sein Plan war ein ganz anderer, als ich gedacht hatte. Mich mit seiner Schwester verheiraten, was einen Keil zwischen Lia und mich treiben würde und dabei noch Teil meiner Familie werden. "Vater!" Meine Stimme klang wütend und innerlich schäumte ich. Das konnte doch nicht sein Ernst sein? Wieso so plötzlich? „Caius, könntest du uns noch einmal für einen kurzen Moment alleine lassen. Alles weiter besprechen wir gleich unter vier Augen. "Natürlich Cornu." Caius erhob sich und schritt zur Tür, nicht ohne mich noch einmal mit seinem Blick zu verspotten. Die Tür öffnete sich leise und schloss sich ebenso leise wie zu vor. "Vater!", wiederholte ich erneut und musste mich zurück halten ihn nicht anzuschreien.
"Du wusstest, dass das irgendwann passieren musste. Warum regst du dich so auf? So ist das Leben."
"Natürlich ist mir das bewusst. Aber warum jetzt? Warum sie? Warum auf einmal?"
Mein Vater seufzte auf und schien nicht gerade begeistert von meiner Fragerei.
"Was spricht denn dagegen? Latavia ist aus gutem Haus, gebildet und im heiratsfähigen Alter."
"Ich werde sie ganz sicher nicht ehelichen!" Meine Stimme zitterte vor Zorn und ich sprang auf und drehte mich zu Tür. Ich hielt es hier nicht mehr aus. Ich wollte kein weiteres Wort hören.
Ein Klatschen erfüllte den Raum und kurz zuckte ich zusammen. Mein Vater war ebenfalls aufgestanden und hatte mit der flachen Hand auf seinen Tisch geschlagen. "Solange du unter meinem Dach lebst, hast du dich an das zu halten, was ich dir befehle! Ich und deine Mutter haben entschieden, dass sie eine gute Partie für dich ist und das lasse ich mir nicht verderben weil du deine kindischen Wünsche nicht unterdrücken kannst! Meinst du ich lasse mir etwas von einem verzogen Bengel, wie dir vorschreiben! Ich bin dein Vater! Du bist Erwachsen und ein Mann. Und auch du hast dich wie jeder vor dir deiner Pflicht zu beugen. So wie ich es einst mit deiner Mutter tat. Nur so kann unsere Linie weiter bestehen! Und nun verschwinde. Tritt mir aus den Augen! Ich will dich heute nicht mehr sehen!"
Seine Worte waren mir egal. Ich schnaubte nur auf, bevor ich die Tür mit Schwung aufriss und hinaustrat. Caius lehnte an der Wand gegenüber und seine Augen glitzerten vor Vergnügen. Ich zog die Tür zu und war mir wenigen Schritten direkt gegenüber von ihm. Caius stieß sich von der Wand ab, trat noch näher an mich heran und flüsterte mir leise zu: "Herzlichen Glückwunsch zur Verlobung." Das reichte! Mein Geduldsfaden war endgültig gerissen. Ich schubste ihn von mir weg und er knallte zurück an die Wand. Doch sein Lächeln verschwand nicht. "Unsere süße Prinzessin wird sicherlich sehr erfreut sein zu hören, dass du Heiraten wirst." Ohne es verhindern zu können, holte ich mit der Faust aus, in Höhe seiner dreckigen Visage, doch Caius schaffte es im letzten Moment noch auszuweichen und sich zu Tür zu bewegen. „Wie traurig sie sein wird, wenn du plötzlich heiratest und mit einer anderen Frau das Bett teilen musst. Wer weiß, vielleicht würd sie vor lauter Verzweiflung, dass du kaum noch Zeit für sie findest, irgendwann von alleine zu mir kommen. Glaub mir, ich würde sie sofort aufnehmen. So ein hübsches Mädchen. Zu schade, dass ihr Blut so dreckig ist. Doch zum Vögeln reicht es aus, nicht wahr Lucius?" Ich knurrte und erneut holte ich aus, ich würde ihm bereuen lassen, so über Aurelia zu reden. Er musste dafür bezahlen. Ich wollte, dass er sich vor schmerzen am Boden krümmt und um Verzeihung fleht, doch Caius nächsten Worte hielten mich zurück: "Ich würde das sein lassen, Lucius. Dein Vater ist schon wütend genug und wenn du jetzt noch seine zukünftigen Schwiegersohn verprügelst, bin ich mir nicht so sicher ob Lia nicht doch noch weggegeben wirst, zumindest würde ich ihm diesen Vorschlag dann unterbreiten. Du hast ja gar keine Kontrolle mehr über dich, wenn es um sie geht." Er hatte Recht. Ich konnte es nicht riskieren. Nicht jetzt. Doch er wird noch dafür büßen. Für alles! Ich lasse meine Hand sinken und drehe mich zum Gang. Caius hatte es richtig bemerkt. Ich könnte für nichts garantieren wenn ich weiter dieses höhnische Grinsen anschauen würde. "Bis bald.", hörte ich ihn noch sagen, doch ich ging einfach weiter. Ich drehte mich nicht um. Ich musste mich beruhigen. Ich musste Lia finden. So schnell wie möglich.
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Du gehörst mir!
Ngẫu nhiênSeit Aurelia denken kann, ist er an ihrer Seite. Er ist ihr bester Freund, wie ein Bruder für sie. Doch Aurelia ist für etwas anderes bestimmt und das weiß er auch. Denn Aurelia ist das Kind zweier Sklaven des Hauses Cornu, das Haus seiner Eltern un...