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Aurelia

Ich riss die Tür auf und warf mich augenblicklich auf Lucius Bett, um mich unter der Decke zu vergraben. Es war wie immer und doch so vollkommen anders. Die dicke Decke schien meinen zitternden Körper nicht wärmen zu können. Das hier war mein Ruheort, hier war ich glücklich, doch jetzt war es anders. All diese Erinnerungen , die ich vergraben hatte, all diesen Schmerz, den ich verdrängt hatte, all diese Angst, die ich weggeschoben hatte aus meinen Gedanken. Ich wollte es nie mehr finden, ich wollte nicht weiter an diesen Tag denken. Aber nun wurde ich so brutal und überraschend aus dem Schleier, den ich mir selbst übergelegt hatte, gezerrt und musste alles erneut durchleben. Eine Träne kullerte über meine Wange. Caius. Nach all der Zeit die vergangen war, wollte er Lucius und mir immer noch weh tun. Ich spürte immer noch leicht, wie das feine Metall in meine Haut drückte. Warum wollte er uns so unbedingt weh tun? Ich richtete mich wieder auf, öffnete die Kette und ließ sie in meine Hand fallen. Sie sah teuer aus, edel, filigran. Warum sollte er mir so was schenken? Nur um Lucius zu provozieren? Das hatte Caius allein mit seiner Anwesenheit geschafft, er hätte nichts so wertvolles kaufen brauchen. Ich verstand es nicht, doch ich wollte die Kette nicht. Egal wie schön sie war, egal wie teuer. Niemals würde ich sie weiter tragen. Ich wollte nichts, was mich an ihn erinnert. Mit so viel Kraft wie ich konnte, warf ich das edle Schmuckstück hinfort. Es klirrte leise, als es auf der Wand gegenüber aufschlug und noch einmal, als es auf dem Boden landete. Ich ließ mich zurück in die Kissen fallen und beobachtete, wie schon so oft, den Himmel durch das Fenster in der Decke. Er war blau und die Sonne schien hinein. Keine Wolke war zu sehen. Dennoch konnte ich mich nicht entspannen. Meine Haut schien zu kribbeln, als würden hunderte Insekten darüber laufen. Immer wieder starrte ich zu Tür, in der Erwartung, dass Caius hinein kam, um es zu beenden. Mein Herz raste und schließlich hielt ich es nicht mehr aus und warf die Decke zurück, um aufzustehen. Ich würde verrückt werden, wenn ich weiter nur dort liegen würde. Ich öffnete die Tür zum Balkon und trat hinaus. Warme Luft umhüllte mich augenblicklich. Ich legte meine Hände auf das Geländer und beobachtete die Gegend. Das Gebäude war auf einem kleinen Hügel errichtet und so hatte ich eine wunderbare Aussicht. Ich konnte die Stadt sehen, in der wie immer ein reges Treiben herrschte. Menschen, die auf dem Forum unterwegs waren, Händler, die dort ihre Waren verkauften, Freunde, die auf dem Weg waren, gemeinsam die Thermen zu besuchen, Tempel, riesige Gebäude, das Kolosseum, in dem vielleicht genau in diesem Moment arme Sklaven gegen Tiere um ihr Leben kämpften und dort starben. Etwas weiter weg schlängelte sich ein Fluss durch die Stadt, der in einem dunklen blau schimmerte. Vielleicht spielten Kinder dort und ließen ihre Füße in das kalte Wasser baumeln. Ich wusste es nicht, denn ich war noch nie in der Stadt. Mein ganzes Leben hatte ich innerhalb dieser Mauern verbracht. Ich hatte diese gigantische Stadt nie von nahem mit meinen eigenen Augen betrachtet. Nur von fern, durch Zeichnungen in den Büchern, die ich las, oder von Lucius Erzählungen. Aber ich hatte nie mit eigenen Ohren gehört, wie die Händler ihre Waren priesen, nie gesehen wie Freunde lachend und quatschend Zeit verbrachten, oder wie Kinder am Wasser spielten. Nie von nahem. Manchmal wünschte ich mir, ich wäre eines der Mädchen, die ich von hier aus sah. Außer Lucius hatte ich niemanden, er war mein einziger Freund. Die einzige Person, die mir etwas bedeutete. Doch unsere Zeit lief ab, je älter er wurde. Irgendwann würde er kaum noch Zeit für mich haben. Irgendwann, wenn er mit seiner Frau und seinen Kindern genug zu tun hatte. Dann würde ich allein sein. Dann würde ich niemanden mehr haben. Ich war eine Sklavin. Ich war immer in diesem Haus gefangen. Wie ein Vogel in seinem Käfig. Es wurde sich um mich gekümmert, mir so gut wie jeder Wunsch erfüllt und dennoch war ich eine Gefangene, nicht viel mehr wert als irgendein Gegenstand. Ich hatte mich nie so gefühlt, doch jetzt wo ich wusste, dass Caius sich in dem gleichen Anwesend wie ich befand, fiel mir das Atmen schwer. Wie erfüllt mein Leben wohl geworden wäre, wenn ich keine Sklavin wäre. Würde ich jetzt gerade mit meinen Freunden lachen? Die Thermen besuchen? Ich würde meine Eltern immer sehen und nicht nur sporadisch, oder wenn sie schliefen. Vielleicht hätte ich sogar einen Mann kennengelernt, vielleicht sogar Lucius. Jemanden, den ich heiraten wollte und es auch durfte. Doch das war mir nicht vergönnt. Ich würde niemals heiraten, ich würde nie in der Lage sein, Kinder zu bekommen und erst recht nicht, eine Familie zu haben. Sklaven besaßen so etwas nicht. So was war für höher gestellte Menschen und nicht für Menschen wie uns. Sklaven. Keine Rechte, kein freies Leben. Ist das das Leben was ich verdient hatte? Ich seufzte auf. Es machte keinen Sinn, sich darüber den Kopf zu zerbrechen. Das hier war immerhin mein Leben und ich würde es nicht ändern können. Mein Leben wurde vorbestimmt und ich musste mich nun daran halten, wie das jeder in dieser Gesellschaft tun musste. Ich würde immer für Lucius da sein, egal was die Zukunft brachte. Ich würde ihm nie von der Seite weichen. Mein Blick schweifte in die Ferne, zu den Wäldern. Die Bäume strahlen dunkelgrün und wirken so majestätisch, obwohl sie so weit entfernt von mir waren. Sie warfen Schatten und tauchten alles in ein dunkles Licht, das die Sonnenstrahlen nur schwer durchbrechen konnte. Zumindest stand es so in meinen Büchern. Auch sie waren nur ein entfernter Punkt, den ich aus der Ferne betrachtete. Wie es wohl wäre, durch sie hindurch zu gehen, die Kälte zu spüren, die sie ausstrahlten und zu sehen, wie einzelne Sonnenstrahlen sich durch das dichte Blätterdach kämpften und auf den Waldboden fielen. Doch das war nur ein Hirngespinst. Ich würde es niemals spüren, ich würde mein ganzes Leben bis zum Ende in diesen Wänden verbringen, richtig? Ich wusste es nicht. Bis jetzt war ich immer dankbar gewesen für das Leben das mir geschenkt wurde. Ich hätte es viel schlimmer haben können. Ich musste weder schwere Arbeit verrichten, noch Hungern. Mein Leben war ruhig, ich bekam so viel zu essen wie ich wollte und ich hatte Lucius. Dennoch zweifelte ich plötzlich an all dem und fragte mich, wie es wäre, einfach fortzulaufen. Wie es wäre, die Welt mit eigenen Augen zu sehen. Doch ich würde Lucius niemals verlassen. Lucius. Wo war er gerade? Wo war er nur hingegangen? Ich wollte nicht mehr alleine hier sein. In diesem Haus, mit Caius, der mir solche Angst machte. Was würde Lucius wohl sagen, wenn ich ihn bitten würde zu gehen. Nur für kurz. Bis Caius wieder verschwunden war. Er würde sich hier sicherlich nicht länger als einen Tag aufhalten. Für einen Tag ein normaler Mensch sein und die Stadt sehen. Wie schön das doch wer. Zumindest für ein paar Stunden die Welt da draußen selbst zu erleben. Ich schloss die Augen und spürte den sanften Wind auf meinen Wangen. Doch plötzlich war der Moment vorbei, als die Tür hinter mir kraftvoll aufgestoßen wurde. Ich zuckte zusammen und mein Herz begann zu rasen, als Arme sich plötzlich um mich legten und ich an jemanden gezogen wurde.

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