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Lucius

"Nein!", schrie ich so laut, ich konnte und schüttelte doller als beabsichtigt ihren schmalen Körper. Sie durfte mich nicht verlassen. Niemals würde ich es zulassen. Wie sollte ich denn ohne sie leben? "Aua.", ertönte ihre wunderschöne Stimme, die ich dachte nie wieder hören zu dürfen. Ich hätte sie verloren. "Lass mich nicht allein.", flüsterte ich leise und meine Stimme hörte sich fremd für mich an. "Ich wollte dich doch nie verletzen". Verwirrt blinzelte sie schnell. "Ich weiß nicht wovon du redest. Ich geh nirgendwo hin. Ich hab doch nur geschlafen. Ich bin immer noch so müde." Ihre Augen fielen erneut zu und perplex starrte ich sie an. Ich hörte ihre ruhigen Atemzüge und ihren Herzschlag. Sie lebte und sie würde mich nicht verlassen. Ihr Herz schlug und ihre Lungen pumpten wieder Luft. Also konnte ich meine Prinzessin schlafen lassen und nun bemerkte ich erst wie müde ich selbst ebenfalls war, doch an Schlaf war für mich heute nicht mehr zu denken. Zu viel Angst hatte ich, dass sie nicht mehr aufwachte. Behutsam hob ich sie von dem harten Steinboden hoch und drückte sie fest an mich. Sie war so kühl. Am Horizont schien langsam die Sonne aufzugehen, sie färbte den Himmel in einem zarten Rosa und ließ das Wasser der Therme glitzern. Tausend Fragen schossen mir durch den Kopf, doch die hatten Zeit. Viel wichtiger war es erstmal, Aurelia in die Wärme zu bringen. Ich öffnete die Tür nach drinnen und stand wieder in dem Flur, wie bereits einige Stunden zuvor. Wie konnte so viel in nur einer Nacht geschehen? Ich seufzte auf und ging langsam in Richtung meines Gemaches, immer darauf bedacht, sie nicht unnötig aufzuwecken, aber gleichzeitig auch, um darauf zu achten ob sie atmete. Es fühlte sich an als wären Stunden vergangen, als ich schließlich ankam und sie behutsam in mein Bett legte. Hier war ihr Platz und sofort durchschossen mich wieder Gewissensbisse. Was war nur in mich gefahren? Kopfschüttelnd breitete ich die Decke über ihr aus und holte aus meinem Schrank noch zwei weitere. Ich wollte nicht, dass sie fror. Ich wollte generell nicht, dass ihr irgendwas fehlte. Oh Gott, wie konnte ich nur so etwas zu ihr sagen? Es war als wäre ich plötzlich ein anderer Mensch geworden. Ich war furchtbar und ich musste mich unbedingt bei ihr entschuldigen, wenn sie wieder aufwachte. Ich legte meine Stirn an ihre Wange und sog ihren Geruch ein. Ich liebte ihren Geruch, so rein, so unschuldig wie eine wunderschöne Blume. Wie konnte sie nur versuchen sich umzubringen? Hatte ich sie so sehr verletzt? Ich war schuld daran. Aber warum war sie vorhin so verwirrt? Ich musste unbedingt mit ihr reden. Ich wollte eine Erklärung hören. Wie hatte sie so etwas nur tun können? Sobald sie aufwachte, mussten wir beide reinen Tisch machen. Das war die einzige Möglichkeit. Ein Gähnen erstahl sich meinen Lippen und die Müdigkeit umhüllte mich. Ich schloss die Augen, doch riss sie sofort wieder auf. Das Bild von Lia, wie sie leblos in der Therme lag, hatte sich in mein Gehirn gebrannt und wurde hinter meine Augenlider projiziert, sobald ich sie schloss. Was wäre passiert, wenn ich ein paar Minuten später gekommen wäre? Wenn ich nicht so ein schlechtes Gewissen gehabt hätte, um mich zu entschuldigen und sie völlig panisch gesucht hätte, als ich ihr Bett leer vorgefunden hatte? Ich wollte nicht daran denken, doch mein Gehirn schrie mir die Antwort auf diese Fragen beinahe zu. Ich hätte sie verloren. Sie wäre tot. Weg. Für immer. Doch ich hatte sie gefunden. Ich kam nicht zu spät. Und jetzt lag sie immer noch lebend neben mir. Als wäre nichts geschehen. Erleichterung durchflutete mich. Und erneut kamen mir Tränen. Ich brauchte sie so sehr und sie brauchte mich. Sie war mein Leben. Ich hauchte ihr sanft einen Kuss auf ihre Stirn.

Doch die Erleichterung wurde plötzlich leicht gedämpft, denn ich hatte ein Problem. Ein gewaltiges Problem. Und ich wusste nicht wie ich es kontrollieren sollte. Diese andere Seite von mir. Die, die Lia unbedingt wollte und die nicht verstand, warum ich mir nicht einfach nahm, was mir eigentlich zustand. Ich hätte vorhin nicht so die Kontrolle verlieren dürfen. Ich hätte nicht ausrasten dürfen. Ich durfte ihr nicht weh tun. Ich wollte, dass sie mich auch wollte. Und sie nicht gegen ihren Willen nehmen. Aber ich wusste nicht, wie lange ich es noch aushalten konnte, diesem Verlangen zu widerstehen. Ich musste Aurelia dazu bringen mich auch zu wollen. Aber ging das überhaupt? Sah sie in mir mehr als ihren besten Freund? Konnte sie in mir den Mann sehen, der aus mir geworden war? Der nicht mehr die Augen davor verschließen konnte, wie schön sie war. Wie perfekt sie war. Sie war wie für mich geschaffen. Na ja, eigentlich nicht wie, denn sie war ja für mich geschaffen worden. Doch ich würde ihr nicht weh tun wollen, auch wenn diese andere Seite nichts lieber wollte, als ihr die Kleider vom Körper zu reißen, ihren hinreisenden Körper zu benutzen und... Nein, ganz falscher Zeitpunkt, Lucius. Wenn sie mich nicht wollte, würde ich abhauen. Sonst würde ich sie früher oder später dazu zwingen, mich zu wollen. Und das müsste ich auf jeden Fall verhindern. Obwohl ich nicht wusste ob ich es schaffen würde. Denn als ich vor einem Monat plötzlich so unendlich stark dieses Verlangen nach ihr spürte und abgehauen war, hatte sich nichts gebessert. Und das trotz der Frauen, an denen ich mich in dem Monat ausgetobt hatte. Sie waren alle hübsch gewesen, doch im Gegensatz zu Aurelia waren sie verblasst. Ich erinnerte mich nicht mehr an ihre Gesichter, denn sie waren irrelevant und wenn ich ihnen die Seele aus dem Leib gevögelt hatte, dachte ich steht's nur an Lia. Oh Gott, war ich Krank? Ich hatte nie Probleme damit, Frauen zu verführen, eigentlich zog ich sie an, wie Licht die Motten anzog. Sie kamen zu mir und ich versprach ihnen, die Sterne vom Himmel zu holen. Ich sah gut aus und war charmant. Warum klappte das nicht bei ihr? Ich wollte Aurelia, und im Gegensatz zu den Anderen würde ich für sie wirklich die Sterne vom Himmel holen, während ich die Anderen einfach fallen ließ, nachdem ich meinen Spaß hatte. Wie konnte mir dieses kleine Mädchen nur so ans Herz wachsen? Wann hatte das alles nur angefangen? Obwohl, eigentlich hatte ich sie schon immer geliebt, seit ihrer Geburt war sie das süßeste und schönste, das ich je gesehen hatte. Sie war magisch. So bezaubernd. Sie hatte mich ab dem ersten Tag in ihren Bann gezogen, als sie mit ihrer kleinen Hand meinen Finger umklammert hatte. Ja, ich liebte sie schon immer, aber wann hat sich diese Liebe auch in Verlangen gewandelt? Ich wusste es nicht. Gequält schloss ich erneut die Augen und versuchte an schöne Momente mit Aurelia zu denken. Ich stellte mir jeden schönen Moment mir ihr vor, den wir erlebt hatten und ließ sie wie einen Film ablaufen. Immer und immer wieder. Bis mich doch die Müdigkeit erfasste und ich, auch wenn ich es nicht wollte, ins Land der Träume abdriftete. 

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