Aurelia
Er verschwand. Ich blinzelte. Ein mal, zweimal, dreimal. Ich konnte es nicht fassen. Lucius war weg. Er war weg! Und obwohl ich ihm noch zugelächelt hatte und ich mir bewusst war, dass er niemals freiwillig gegangen wäre, tat es weh. Unfassbar weh.
„Na Süße, ist dein toller Lucius einfach abgehauen?", sagte Caius grinsend.
„Sei still. Halt einfach die Klappe." Tränen flossen über meine Wange und meine Hände krallten sich in Caius Hemd. Wut sammelte sich erneut in mir. Am liebsten würde ich ihm eine Klatschen und ihm sein falsches Grinsen damit aus dem Gesicht wischen, doch ich konnte mich nicht bewegen. Er hielt mich immer noch fest an sich gedrückt, obwohl wir nicht mehr tanzten. „Was willst du von mir, Caius? Warum bist du hier?" Ein Schluchzen entkam meinen Lippen und meine Stimme bebte, eh ich es verhindern konnte. Meine Augen wanderten durch den Raum, ich wollte ihn nicht mehr angucken. Wir waren allein. Vollkommen allein. Cornelia musste kurz nach Lucius gegangen sein und ich hatte es nicht mal bemerkt. Jetzt könnte er machen was er wollte. Niemand würde es bemerken und außer Lucius würde es vermutlich auch niemanden Stören, der von Bedeutung war. Caius legte seine Hand an meine Wange und automatisch zuckte ich zusammen. Dennoch brachte er mich damit dazu, ihm in seine Augen zu sehen. Sie hatten wirklich eine schöne Farbe. Zu schön, für solch einen Menschen. Zu perfekt. Es fühlte sich falsch an hineinzugucken, als wäre es eine Falle. Wie der süße Duft von einigen Pflanzen Fliegen anlockte, die nicht verstanden, dass es sich nicht um normale Pflanzen handelte, bis sie zuschnappten und die Fliegen in ihnen ihr Ende fanden. Es war, als würden diese Augen mich nicht mehr gehen lassen wollen. Nein, mein Gehirn spielte mir Streiche. So was gab es nicht. Es waren nur Augen. „Du denkst zu viel.", stellte Caius belustigt fest. „Hast du schon immer. Und um deine anderen Fragen zu beantworten: Ich hab dir schon gesagt, warum ich hier bin. Ich will das beenden, wobei wir gestört wurden damals. Das ist zumindest einer der Gründe. Aber frag erst gar nicht, was der andere ist, denn glaub mir Prinzessin, du wirst es noch früh genug erfahren."„Du willst es beenden? Du wolltest dich an mir vergehen!" Die Bilder drängten sich zurück auf meine Bildfläche. Ich zitternd unter Caius schwerem Körper. Wie er meine Handgelenke zusammen gehalten und mein Kleid hochgezogen hatte. Ich war so jung. Viel zu schwach, um mich zu wehren. Seine Hand um meine Handgelenke hatte sich eingebrannt und ich spürte, wie sie begannen zu kribbeln und zu schmerzen, als würde ihnen wieder das Blut abgeschnürt werden. Seine Augen, die sich in meine tränenerfüllten Augen bohrten. Sein Lächeln, so herablassend. Als wäre er etwas Besseres als ich. Als wäre ich es nicht wert, dass man gut mit mir umging. Dass ich nichts zu sagen hätte und das er mit mir machen dürfte, was er wollte. „Deine Haut ist noch genauso weich wie damals. Wie sehr ich mir seitdem gewünscht hab, dass Lucius uns nicht unterbrochen hätte."
„Du bist ein Monster!", brachte ich heraus. „Ich hab dir nichts getan! Ich war immer nett zu dir. Warum wolltest du mir so was antun? Wieso tust du das?" Meine Stimme zitterte beim Versuch, ihn nicht anzuschreien. Ich wollte nicht meine Kräfte für so was verschwenden. Ich musste hier weg. Das war wichtiger. Caius leckte sich über die Lippen, bevor er mir leise zuflüsterte: „Bist du dir da so sicher?" Sein Griff wurde noch fester, sodass wie damals ein furchtbarer Schmerz mich durchzog und ich mir auf die Zunge beißen musste, um nicht aufzuwimmern. "Lucius war mein bester Freund. Er war wie mein Bruder!", zischte er und wurde dabei immer wütender. Das war nicht gut. Wenn er wütend wurde, war er noch unheimlicher als ohnehin schon. Wenn er wütend wurde, konnte er sich nicht mehr zurückhalten. Das wusste ich. Wie damals, wo er zornentbrannt in Lucius Zimmer gestürmt war, in dem ich mich befand und auf Lucius Bett ein Buch gelesen hatte. Kurz schien er verwirrt gewesen zu sein, als hätte er mich nicht erwartet, doch dann hatte sich sein Blick in meinen gefressen und er schien seine Wut auf mich projiziert zu haben. Mit wenigen Schritten war er bei mir gewesen, hatte mir das Buch aus der Hand gerissen und gegen die Wand geschleudert. Das Geräusch hatte mich zusammenzucken lassen und ich hatte ihn einfach nur angestarrt, bis ein stechender Schmerz meine Wange durchzogen hatte und ich rückwärts auf die Matratze gefallen war. Caius hatte mich geschlagen, so dolle, dass mein ganzer Kopf gedröhnt hatte. Das war das erste und einzige Mal, dass jemand mich geschlagen hatte und allein beim Gedanken daran bekam ich wieder Kopfweh. Dann hatte er mich aufs Bett gedrückt. Lucius war glücklicherweise kurz darauf hereingekommen und hatte Caius von mir weggezogen. Ich erinnerte mich nicht mehr, was danach passier war, nur das Lucius mir erzählt hatte, dass ich Caius nie wieder sehen würde. Dass er nie wieder hier auftauchen würde.
Ich wünschte, er wäre wirklich für immer aus meinem Leben verschwunden geblieben. Doch durch sein erneutes Eindringen hatte er mich gezwungen, all diese Erinnerungen, die ich fein säuberlich in eine Kiste gepackt und vergraben hatte, wieder ans Tageslicht zu befördern und alles erneut durch zu leben.
"Er war es, bis du eure Freundschaft zerstört hattest!", erwiderte ich und versuchte ruhig zu bleiben. Ich war nicht mehr das kleine Mädchen von damals. Ich würde mich wehren, ihm widersprechen. Diesmal würde ich nicht aus Angst schweigen und hoffen, dass ich wieder gerettet werden würde. Auf keinen Fall! Ich war stark! Caius würde mich niemals kampflos bekommen! Egal was ich dafür tun müsste.
"Nein!", knurrte er und das Geräusch klang so bedrohlich, dass es mir kalt über den Rücken lief, doch ich zuckte nicht zurück und hielt seinem Blick weiter stand. Ich musste jetzt tapfer sein. "Du hast unsere Freundschaft zerstört. Du ganz allein! Je älter du wurdest und je hübscher, desto mehr ging es Lucius nur noch um dich. Es war immer nur Aurelia! Aurelia hier, Aurelia da! Ich war nur noch nebensächlich für Lucius. Er kümmerte sich kein bisschen mehr um seinen besten Freund, denn er hatte ja sein kleines Haustierchen, das ihn bedingungslos liebte und alles tat, was er wollte, ohne zu widersprechen. Nur wegen dir hatte er mich links liegen gelassen!" Geschockt schaute ich ihn an. Ich kannte Lucius. Ich konnte mir nicht vorstellen, dass er Caius tatsächlich nicht mehr beachtet haben sollte. Natürlich hatte er immer viel Zeit mit mir verbracht, allerdings wusste ich doch damals auch, dass Caius ihm ebenfalls sehr wichtig war. Hatte Lucius meine Bedürfnisse nach seiner Nähe wirklich so sehr über seine Freundschaft zu Caius gestellt?
Ein leises Lachen ertönte, so böse und vor Verachtung triefend. "Jahrelang hatte ich mir angeguckt, wie ich in der Prioritätenliste immer weiter unter dir versank. Einer Sklavin. Einem wertlosen Mädchen! Ich hatte es lange Zeit einfach ertragen, hatte gehofft, dass es sich wieder besserte und ich meinen besten Freund zurück bekomme. Doch es wurde nicht besser, es wurde immer nur schlimmer. Als Lucius und ich klein waren, haben wir jeden Tag zusammen verbracht. Doch irgendwann war ich froh, wenn ich ihn überhaupt einmal im Monat sah. Immer wieder war ich hierher geritten, nur um gesagt zu bekommen, dass Lucius beschäftigt sei! So oft, dass es nicht mehr möglich gewesen wäre zu zählen! Kannst du dir das vorstellen, Prinzessin? Plötzlich für einen wichtigen Menschen einfach nur noch Luft zu sein?" Er spuckte die Worte förmlich heraus. Ich musste schlucken. Ich würde nicht ohne Lucius leben können. Das könnte ich nie und das Gefühl, von ihm getrennt zu sein, auch wenn es meist nur kurz war, war schon immer unerträglich. "Wärst du doch niemals geboren! Oder hätte Lucius nicht diese albernen Gefühle zugelassen! Dann wäre alles besser gewesen. Wäre ich damals doch nur nicht aufgehalten worden. Ich hätte dich zerstört. Es hätte dich innerlich zerrissen und du wärst nicht mehr in der Lage gewesen, deine Rolle zu erfüllen. Du wärst kaputt gewesen und wärst irgendwann einfach weiterverkauft worden. Denn niemand braucht unnütze Sklaven. Es wäre die perfekte Rache gewesen."
Meine Lippen bebten. Es war zu viel und ich fühlte mich auf einmal wieder so unfassbar schwach und klein. Ich drückte mich ruckartig mit all meiner Kraft von Caius ab und ließ all die angestaute Wut heraus. Das Geräusch hallte in dem großen Raum wieder, als meine Hand auf seiner Wange landete, wie seine auf meine vor einigen Jahren. Dann drehte ich mich um, er hielt mich nicht auf. Ich stieß die Tür und lief so schnell hinaus rannte, wie ich konnte. „Lauf Prinzessin, lauf schnell weg.", hörte ich noch leise Caius Stimme gefolgt von einem Lachen, doch ich drehte mich nicht um.
DU LIEST GERADE
Du gehörst mir!
De TodoSeit Aurelia denken kann, ist er an ihrer Seite. Er ist ihr bester Freund, wie ein Bruder für sie. Doch Aurelia ist für etwas anderes bestimmt und das weiß er auch. Denn Aurelia ist das Kind zweier Sklaven des Hauses Cornu, das Haus seiner Eltern un...