Kapitel 1

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Der Himmel auf Erden liegt in deiner Seele.

Vorsichtig streichen meine Fingerspitzen über den Schriftzug meines Gedichtes.

Mit jedem Text, den ich schreibe, schließe ich ein Kapitel in meinem Leben ab. Wir verlieren und weinen. Aber wir lachen auch und spüren Freude. Vielleicht ist jeder Mensch seine eigene Freude. Nein, das wäre unfair. Ich kann mich nicht selbst glücklich machen. Wieso bin ich nur glücklich, wenn ich mit meinen Freunden bin? Kann ich nicht allein glücklich sein?

Ich schließe mein Tagebuch und lasse es auf dem Schreibtisch in meinem Zimmer liegen.

Meine Mom würde es niemals lesen. Im Gegensatz zu meinem Vater interessiert es sie nicht, was ich schreibe. Das tat es noch nie.

Schon vor den Treppen stecke ich mir meine Kopfhörer in die Ohren. Wie jeden Tag lege ich meine braune Tasche über die Schulter, ziehe meine Sneakers an und verlasse unsere zweistöckige kleine Wohnung.

Sollten wir es nicht leid sein unser ganzes Leben nach Routine zu leben? Wir tun jeden Tag dasselbe. Nie haben wir Zeit für uns, denn die Schule oder Arbeit stressen und dermaßen, dass wir nicht einmal genug Zeit haben uns damit zu beschäftigen was uns wirklich ausmacht. Was uns brennen lässt. Die Zeit verfliegt und einer kann sie festhalten. Niemand kann mir heute garantieren, was genau in einer Woche passieren mag.

Die warme Sonne strahlt mir durch die Blätter der Ahornbäume direkt ins Gesicht. Während ich am Wochenmarkt vorbeilaufe, beobachte ich die Leute, die so frühaufgestanden sind, um frisches Gemüse zu bekommen. Jeden Donnerstag dieselben Verkäufer und eigentlich auch dieselben Kunden.

Ich muss schmunzeln als ich Olivia an einem Stand sehe. Was macht sie hier? Schnell stelle ich meine Musik auf Pause und stecke meine kabellosen Kopfhörer wieder in meine Tasche zu meinem Handy. Ich laufe zu ihr und höre sie schon von einiger Entfernung mit einem Verkäufer diskutieren.

„Was heißt, Sie haben keine veganen Frikadellen? Wir leben im 21. Jahrhundert und sie verkaufen nichts

vegetarisches?“, hektisch streicht sie sich ihre blonden Locken hinters Ohr. Aha, von da weht der Wind also.

„Tut mir wirklich leid, Sir. Haben Sie noch einen schönen Tag“, ich lächle den Mann an und ziehe Olivia mit mir in Richtung Schule.

„Hey Elena, ich wollte dich überraschen“

„Ich denke du hast wohl eher den Verkäufer überrascht. Vegane Frikadellen auf dem Wochenmarkt“, ich lache und tippe mit dem Zeigefinger auf meine Stirn.

„Ich fühle mich diskriminiert“, sie lacht ebenfalls und wir überqueren zusammen die Straße.

„Wieso wolltest du mich eigentlich abholen?“

„Isaac hat uns zu seinem Geburtstag eingeladen. Ich weiß du gehst gerne aus, deswegen dachte ich freust du dich darüber“, erzählt sie mir voller Freude.

„Ja und wir können Alex fragen, ob er uns mit seinem Auto bringt“, grinse ich und stoße sie ein wenig mit der Schulter.

In dem Moment verändert sich Olivias Gesichtsausdruck. Sie wirkt nervös und ich sehe, wie sie sich an ihren blauen Ordner klammert.

„Es wird schon nicht so schlimm. Sei einfach du selbst. Stress dich nicht und setz dich auch nicht unter Druck. Irgendwann wirst du es ihm sagen müssen. Lass dir Zeit“, versuche ich sie zu beruhigen.

Schon seit einer ganzen Weile spürt Olivia etwas für Alex. Wir sind sehr enge Freunde, weshalb sie denkt, es könnte große Auswirkungen auf unsere Freundschaft haben.

Ich schaue auf meine kalten Hände und Fingernägel, die ich gerne in ein dunkles Blau färbe. Wieso kann ich nicht die Schule schwänzen und den ganzen Tag nur Musik hören und Texte schreiben?

Als Olivia und ich die Treppen der Schule runter laufen, sehe ich schon Celeste im Aufenthaltsraum sitzen.

„Ella, hast du dir das Lernvideo angeschaut, was ich dir gestern Abend noch geschickt habe“

„Ja, aber nur kurz. Ich bin früh eingeschlafen. An sich habe ich das Thema verstanden“, sage ich als ich meine Tasche auf den Tisch lege.

„Hey Via, hast du auch die Nachricht von Isaac gesehen“, fragt Celeste sie. Olivia lacht und setzt sich rechts neben mich.

„Ja, erst seit ein paar Wochen auf dem College und schon feiert er“

„Denkt ihr, er hat uns vermisst?“, fragt Celeste. „Keine Ahnung, ich vermisse auf jeden Fall seine gemixten Drinks“, gibt Olivia von sich und wir lachen.

„Morgen schon was vor Mädels?“, hören wir eine Stimme von hinten. Es sind Alex und Henry. Sie sind so wie wir auch im letzten Jahrgang.

Ich weiß was Via mit Unwohlsein meint. Henrys blaue Augen schauen in meine... so wie damals. Und wie immer ist da diese eine Sekunde, in der es sich anfühlt als wäre nichts gewesen.

„Ach euch hat Isaac auch nicht vergessen?“, antwortet Celeste mit einer Gegenfrage.

„Er würde doch nicht seinen kleinen Bruder vergessen“, lacht Henry.

„Die Stadt, in der er studiert, ist fast eine Stunde entfernt. Sollen wir euch mitnehmen?“, bietet Alex an als er sich mir gegenübersetzt.

„Klar, bleibst du nüchtern?“, fragt Olivia mit einem süßen Lachen.
„Also auf der Rückfahrt kann auch ich fahren. Ich habe nicht vor zu trinken“, gibt Celeste von sich, bevor Alex auch nur antworten kann. Er wird trinken. Er trinkt immer.
Ich schaue wieder an meine Hände und spüre, wie Henry der gegenüber von Olivia sitzt mich anschaut. Ich fühle mich schlecht. Wir waren lange zusammen, obwohl ich genau wusste, dass ich nicht in ihn verliebt bin. Meine Vermutung heute ist, dass Henry es auch wusste. Zumindest ein Teil von ihm, nur er wollte es nicht zugeben. Er hang sehr an uns, nicht direkt an mir, eher an der Beziehung.

Wir alle hängen an etwas, obwohl wir wissen, dass das letzte Kapitel schon sehr nahesteht. Wohlmöglich aus Angst allein zu sein.

ChérieWo Geschichten leben. Entdecke jetzt