Kapitel 15

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„Ich habe mich von Henry nicht nur getrennt, weil ich nicht in ihn verliebt war. Eines Abends hat er mich dazu überreden können zu ihm auszureißen. Meine Eltern haben davon mitbekommen und mein Vater wollte mich sofort von dort abholen“

Ich schaue hoch zu Adam, dessen Augen in meine schauen. Wird er Henry hassen, wenn ich ihm alles erzähle? Wird er mich mit anderen Augen ansehen? Wird er ich bemitleiden oder denken, ich übertreibe? Wird er mir überhaupt zuhören? Interessiert es ihn eigentlich?

„Mein Dad war nicht so wie meine Mutter. Er hat mich sehr geliebt. Während es meiner Mutter egal war, mit wem ich zusammen war, war mein Vater der Meinung, Henry sei nicht der Richtige für mich. Er sagte auch, dass ich mich nicht selbst anlügen sollte. Doch er hat meine Entscheidung akzeptiert. Aber in dieser Nacht war er wirklich sehr enttäuscht von mir.“, ich halte kurz inne und erinnere mich an seine enttäuschte Stimme am Telefon. Die langen Pausen und das tiefe Atmen.

„Er hat es gehasst mit mir zu schimpfen. Ich war seine kleine Prinzessin. Er nahm meine ältere Schwester Mary mit, damit er mich auf der Heimfahrt nicht ausschimpft. Das erzählte mir meine Mutter“

Meine Stirn fühlt sich so verdammt kühl an und meine Augen fangen an zu brennen, als hätte ich sie mir mit Seife eingerieben. Ich schaue hoch zu Adam. Sein Blick verspricht mir Sicherheit und Schutz. Als ich mich ein wenig zu ihm drehe legt er schützend seine Hand auf meine, welche jeweils auf den Knien liegen. Vielleicht werde ich mich schwach fühlen, ihm das alles anzuvertrauen. Aber vielleicht gewinne ich so sein Vertrauen. Denn Vertrauen muss verdient werden. Ich verfalle wieder in die tiefe Grube, der Schatten, der meine selbst war, als ich im Krankenhaus auf Kunde wartete. Nur dieses Mal ist es kein Fremder, der mich tröstet.

„Mary und Dad… sie sind in der Nacht gestorben, in einem Autounfall. Und- Und ich bin schuld. Ich wusste schon lange, dass ich Henry nicht liebe. Ich habe meine Familie an jemanden verloren, den ich nicht einmal liebte! Ich habe im Kopf immer ihm die Schuld gegeben, aber es geht nicht mehr. Es ist meine Schuld und das tötet mich! Ich habe meinen Dad und meine Schwester umgebracht“, zum ersten Mal erzähle ich jemandem von meinen wahren Gefühlen. Meine Stimme bricht mit jedem Ton und der Klos in meinem Hals erstickt mich, sodass nicht weinen kann.

Ich bin es nicht gewohnt zu intime Dinge an meine Freunde anzuvertrauen. Mary war die Einzige, die solche Dinge von mir hörte. Ich hatte Angst vor schlechtem Gewissen. Angst nicht verstanden zu werden oder Angst vor der Wahrheit. Aber jetzt ist es anders. In dem Moment spüre ich, Adams Hände fassen meine nun fester und streichen mit beiden Daumen über meine blasse Haut. Ich schaue hoch und sehe seinen konzentrierten Blick, welcher versucht die Trauer in den Augen zu verbergen.

„Elena“, fängt er an. Seine braunen Augen verstecken auf einmal dunkle Schatten. Nicht als trügen sie dieses billige Mitleid in ihnen, sondern als würde er wirklich leiden, weil ich gelitten habe. Weil ich noch immer leide.

„Ich habe das noch nie jemandem erzählt und um ehrlich zu sein hatte ich Angst vor der Hoffnung auf Besserung. Und genau das passiert gerade“, ich schaue ihn an und drehe mich nun komplett zu ihm. Meine Hände liegen immer noch in seinen.

„Adam, es hilft nicht. Es tut immer noch weh. Ich verstehe das nicht", mit großen Augen schaue ich ihn verwundert an, ziehe vorsichtig meine linke Hand aus seinen und halte sie an meinen Hals.

„Ich dachte es wird besser aber die Luft ist immer noch so stickig"

"Das ist kein Outing, nach welchem es dir besser geht, El. Du hast dir die Schuld gegeben und würdest du wirklich schuld sein, würde es dir vielleicht besser gehen. Die Wahrheit ist, dass du deine Schwester und deinen Vater verloren hast. Es ist geschehen. Manchmal passieren schreckliche Dinge, ganz wundervollen Menschen. Tief im Inneren kannst du es nur nicht akzeptieren, dass du nichts dagegen tun kannst"

ChérieWo Geschichten leben. Entdecke jetzt