Kapitel 5

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Ich liebe Freitage. Freitags ist die Welt bunter, heller, schöner und vor allem ertragbarer als der Rest der Wochentage. Ich berühre mit dem Zeigefinger die Autofensterscheibe. Der Himmel ist immer noch bunt. Wir fahren schon ungefähr 30 Minuten auf der Autobahn nach Mannheim.

Ich finde diese Stadt wunderschön. Schon als kleines Mädchen war ich von ihr fasziniert. Das erste Mal war ich dort mit Mary und Dad. Wir sind auf gelben Booten im Luisenpark gefahren. Ich träumte früher davon hier zu studieren... jetzt bin ich glücklich, wenn ich das Abitur schaffe. Mary ist nicht mehr da, um mich aufzubauen. Sie sagte immer, nichts sei unmöglich, solange man an sich selbst glaubt. „Sei dir selbst treu und erreiche die Sterne, doch vergiss nie wer dich gesehen hat, bevor du selbst strahltest wie die Sterne.“

Manchmal kann ich mit dieser Aussage etwas anfangen, doch meistens nur wenn ich mit Alex und Olivia angetrunken auf ihrer Veranda saß und wir tiefgründige Gespräche anfingen. Leise lache ich in mich hinein. Ich war manchmal das dritte Rad am Wagen, weil sich die beiden so gute verstehen. Doch solange Olivia glücklich ist, bin auch ich es.

Ich beobachte die mittlerweile lila grauen Wolken, die immer dunkler werden genauso wie der Himmel. Doch es soll eine Sternenklare Nacht werden, nach dem Wetterbericht zufolge. Ich bin selten in Mannheim. Generell verlasse ich meine eigene Stadt eher selten. Was mich in meiner Stadt festhält? Etwas. Ich weiß es selbst nicht so genau. Schlechtes Gewissen wegen Mom? Ich weiß es nicht.
Das Geld, welches Papas Lebens Versicherung hinterlassen hat ist genug, um mir eine kleine Wohnung zu leisten. Seit er nicht mehr ist, haben wir kleine, nicht wirklich sichtbare Geldprobleme. Er ist Anwalt. War Anwalt.

Ich ziehe meinen Geist aus den Wolken wieder ins Auto, in welchem Musik läuft. Ich kann nicht weg aus dieser Stadt. Ich wäre ein schlechter Mensch und noch eine schlimmere Tochter. Ich kann Mom nicht allein lassen. Egal wie sehr sie mich manchmal emotional verprügelt. Sie ist meine Mutter.

„Wow“, höre ich Celeste neben mir auf einmal reden.
„Ist was passiert?“, fragt Olivia und dreht sich zu uns nach hinten.
„Ich habe gerade meinen Nachbarn, also meinen Crush auf der Snapchat Karte gestalkt und seht Mal wer vor zwei Minuten auf der Autobahn war“, Celeste streckt ihr Handy aus auf welchem man Henrys sieht. Er kommt doch?

„Er kann Ella wohl nicht allein lassen“, meint auf einmal Alex der am Steuer sitzt und gar nicht hierher schaut.
„Woher-?“
„Er hat mir eben geschrieben“, unterbricht er mich, bevor ich auch nur meine Frage fertig stellen kann.
Ich kratze mich wieder an der Nase. Was ein Unsinn, hört auf immer den Grund in mir zu suchen.

„Oder er hatte ein schlechtes Gewissen wegen seinem Bruder“, flüstere ich, aber Celeste hat es gehört.
Mit hochgezogener Augenbraue schaut sich mich an, doch streichelt dann meinen linken Oberschenkel kurz.

„Also wir sind auf jeden Fall zuerst da“, sagt Alex als er auf einen Parkplatz zufährt. Sind wir schon am Rande der Stadt?

Ich öffne die Autotür und laufe zusammen mit Olivia zum Kofferraum aus welchem ich die Wodka Melone hole und sie unsere Geschenke. Dieses Jahr habe ich Isaac magnetische Whisky Gläser gekauft. Ja, sowas gibt es tatsächlich im Internet. Wir laufen zu viert über den Kieselboden und hören schon die Musik, die vom Feld kommt.

„Hey, El“, reißt mich Alex aus den Gedanken. „Mach dir keine Sorgen. Ich passe auf, dass er nicht viel trinkt und dich in Ruhe lässt“, grinst er und stößt mich leicht mit dem Ellenbogen. Aber nicht zu fest, denn er balanciert drei Kästen Klopfer genauso wie Celeste.

Wir kommen auf einem Feld an mit einem riesigen Haus. Aus dem Haus hört man laute Musik spielen. Wir laufen gemeinsam die Wiese und dann über die holzige Veranda ins Haus hinein. Als die Leute, die schon da sind, sehen, dass wir noch mehr Alkohol mitgebracht haben, fangen sie an zu rufen und zu jubeln.

ChérieWo Geschichten leben. Entdecke jetzt