Kapitel 22

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„Edward Rochester hatte recht“

Ich verliere plötzlich all die Worte, die ich sagen wollte. Wie ein Aufsatz dessen Wörter einfach davonfliegen und nie benotet werden können.

Edward Rochester. Ein sarkastischer, edler und vor allem nobler Buchcharakter. Die warme Sommerluft und der dunkle Himmel erinnern mich an die Nächte, welche ich mit meiner Schwester vor vier Jahren auf dem Balkon verbracht haben. Stille, nichts als eine Laterne, zwei Stühle und wir. Sie las Sturmhöhe und ich Jane Eyre. Bis heute ist es mein Lieblingsbuch. Was ein schicksalhafter Moment von Adam genau jetzt dieses Buch zu erwähnen. Denn es war jenes Buch, welches ich im Sonnenuntergang im Gras las und währenddessen an Adam dachte.

Sofort schließe ich meine Augen und bin gleich wieder auf dem Balkon neben meiner Schwester.

„Ich gehe schon rein, kommst du mit?“, frage ich und schaue zu ihr rüber.

Sie sitzt im Schneidersitz, doch sie wechselt ihre Position des Öfteren, damit ihre Beine nicht einschlafen. Mary streicht sich ihre dunklen Haare aus den Augen und dreht sich leicht zu mir, den Finger in ihr Buch gesteckt, um nicht die Seite zu verlieren. Sie trägt ausnahmsweise nicht ihre Lesebrille, und überhaupt versucht sie so wenig wie möglich von solchen Dingen abhängig zu sein.

„Ich möchte dieses Kapitel soeben zu Ende lesen... Kannst du noch hierbleiben?“

„Mit was hatte Mister Rochester Recht?“

„Dich von mir zu entfernen würde eine Schnur abschneiden, und ich würde innerlich verbluten, Chérie“, er bleibt stehen und lässt mich am Boden ab. Adam setzt sich neben mich und lässt sich nach hinten ins Gras fallen.

Ich spüre wie die Luft ihren Duft ändert. Die Atmosphäre wird blau und ein wenig trübe. Ich setze mich schräg und schaue auf Adam runter, doch sein Blick schießt direkt nach oben zum Mond und an mir vorbei.

„Einerseits würde ich alles dafür tun damit du mich magst, damit du mich liebst. Aber andererseits will ich nicht, dass du einen Fremden anfängst zu mögen, jemand der ich versuche zu sein aber nicht bin“, er legt seine beiden Hände unter den Kopf und lehnt sich dort ab.

„Du denkst viel zu kompliziert. Schalte die Zahlen in deinem Kopf ab, Adam“, ich rutsche ein wenig zu seinem Gesicht und schaue direkt in seine Augen. Er beißt sich auf die Zähne doch entspannt als ich vorsichtig über seine braunen Haare streife.

„Egal was irgendwann passieren mag, du wirst nie ein Fremder für mich sein. Du machst mich so glücklich wie ich es schon lange nicht mehr war. Ich wache morgens nicht jedes Mal mit einem Lächeln auf, aber seit ich dich kenne, trage ich eine Wärme in mir, wie eine kleine Kerze, die mich daran hindert, alles aufzugeben.“

Meine Hand wandert zu seinem Gesicht und streift dort zunächst über seine rechte Augenbraue, dann über seine Unterlippe.

„Hast du Angst?“

Ich nehme meine Hand schnell weg von seinen Lippen, als er den Mund öffnet.

„Wovor?“

„…, dass ich der falsche bin. Dass ich lüge. Würde es weh tun? Auch wenn du mich nur kurz kennst“

„Wenn ich morgen sterbe, waren das meine letzten Tage, welche ich mit dir verbrachte. Ja es würde weh tun. Du musst wissen, dass ich Menschen sehr schnell verurteile, heißt ich mag schnell, aber ich hasse auch schnell. Und wenn, dann tue ich es mit Leidenschaft“

„Wir haben uns beide an einem ziemlichen Tiefpunkt des Lebens gefunden, nicht wahr?“

Vorsichtig lege ich mich neben ihn und schaue jetzt auch in den Himmel. Ich atme sein Parfüm ein und verliere mich in dem Geruch. „Das kannst du laut sagen“, seufze ich leise.

ChérieWo Geschichten leben. Entdecke jetzt