Kapitel 7

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Während der Fahrt hat keiner ein Wort gesagt. Doch es lag eine riesige Anspannung im Auto. Ich kann mir denken, was in Henrys Kopf vorging. Henry ist eine ziemlich vorhersehbare Person. Doch ich habe mit dem offenen Fenster versucht meine Kopfschmerzen loszuwerden, also hatte ich keine Zeit mich unwohl mit ihm zu fühlen. Ich habe schon beim Losfahren in die WhatsApp Gruppe geschrieben, dass ich mit Henry nach Hause fahre.

„Meine Mom hat Nachtschicht aber mein Dad ist da“, flüstert Henry, als er mit seinen Schlüsseln die Tür zu seiner Wohnung öffnet. Ich wünschte ich könnte sagen, Henrys Vater war wie ein zweiter Vater für mich. Leider ist er Alkoholiker. Früher habe ich sehr oft bei Henry übernachtet, damit er Henry nicht schlägt. Seine Eltern haben manchmal lautstark gestritten als ich hier war, doch noch nie hat Henrys Vater ihn oder seine Mutter während meiner Anwesenheit geschlagen. Von Alex weiß ich, dass sein Vater noch sehr viel trinkt und Henry noch manchmal schlägt, doch seine Mutter schlägt er nicht mehr.

Ich denke nicht, dass Henry wegen mir auf die Party gekommen ist. Wahrscheinlich wollte er hier nicht      allein mit seinem Dad sein. Leise laufen wir an dem Schlafzimmer seines Vaters vorbei und schließen hinter uns die Tür zu Henrys Zimmer. Ich wäre jetzt viel lieber bei Olivia oder Alex, aber er war das erst beste was kam. Ich ziehe meine Schuhe aus und stelle sie unter den Tisch. Müde lasse ich mich aufs Bett fallen.
Henry läuft noch durch sein Zimmer und räumt irgendwas auf. Doch das bekomme ich gar nicht mehr mit da ich einschlafe.

Als ich aufwache liege ich noch in derselben Position, außer dass Henry schlafend neben mir liegt. Ich massiere mir die Stirn und versuche etwas zu erkennen. Es ist dunkel in der Hälfte des Zimmers in der das Bett steht, Henry muss die Jalousien runter gemacht haben. Sein Schreibtisch und die Tür werden vom Mond beleuchtet.

Ich krabbele vorsichtig vom Bett was zum Glück nicht quietscht so wie meins und laufe zur Tür. So leise ich nur kann öffne ich sie und laufe durch den langen Flur ins Badezimmer. Ich schalte das Licht an und schaue in den Spiegel.

„Fuck“

Ich schaue mich um. Komisch, dass ich erwartet habe, noch meine Abschminktücher hier zu finden. Es sind nur die von Henrys Mom. Die kann ich nicht nehmen. Ich binde meine Haare zusammen und hole einen Waschlappen.
Als ich meine Hände nass machen will, erinnere ich mich an den Abend. Adam! Ich habe ihn komplett vergessen. Lächelnd hole ich mein Handy aus meiner Hosentasche. Meinte er es ernst? Sollte ich ihn anschreiben? Interessiert es ihn wirklich, ob ich sicher angekommen bin?

Ich gehe auf WhatsApp und sehe ihn als angepinnten Chat. Er hat sich schon etwas geschrieben von meinem Handy. Das habe ich vorhin gar nicht gesehen. Ich schaue sein Profilbild an. Es ist sein Seitenprofile.
Ich kann nicht sehen, wann er das letzte Mal online war.

Wie viel Uhr haben wir eigentlich? Halb vier? Egal, ich werde ihn wahrscheinlich sowieso nie wiedersehen.
„Ich bin angekommen. Danke fürs Retten auf der Terrasse“

Nervös stecke ich mein Handy zurück. Was mache ich hier eigentlich? Ich habe, um ehrlich zu sein kein Problem damit mit Henry nur befreundet zu sein. Doch wie es scheint, sieht er es nicht ein.

Sollte ich Abstand von ihm halten? Ich meine... hat er sich Hoffnungen gemacht? Ich hoffe nicht. Ich befeuchte mein Gesicht und Schäume es mit Kernseife ein. Zum Glück habe ich mich vorhin nur leicht geschminkt. Ich wasche mein Gesicht mit dem Waschlappen ab und schaue mich an. Wacher und frischer. Teilweise.

Ich laufe zurück in Henrys Zimmer und hole meine Schuhe. Ohne ihn ein letztes Mal anzuschauen, verlasse ich das Zimmer. Ich schleiche durch die Wohnung und verlasse diese nun auch.
Als ich plötzlich Henrys Mutter draußen sehe, habe ich heute wirklich jede Überraschung erlebt.
„Elena“, bringt sie nur erstaunt raus. Fuck, ist ihre Nachtschicht schon vorbei?

„Hey Mrs. Kent, ich wollte nur... Also es ist wirklich nicht so wie es aussieht. Henry hat mich hierhergefahren. Wir haben nicht… also. Es tut mir leid. Wir haben ihn nicht geweckt“, stottere ich und drehe dabei mein Handy in den Händen.
Sie scheint überrascht doch nicht wütend zu sein. Im Gegenteil.

„Ich bin froh, dass ihr noch miteinander redet. Mach dir keine Sorgen. Ich sage Henry auch nicht, dass ich dich auf der Flucht getroffen habe. Und was meinen Mann angeht...“, nun ist sie diejenige, die mit etwas in den Händen spielt. Es sind die Autoschlüssel die leise durch die Nacht klimpern.

„Soll ich dich nach Hause fahren?“
„Oh nein. Kein Problem. Von hier ist es nicht mehr weit“, lehne ich ab und lächle.
„Na dann. Wir sehen uns hoffentlich noch“
„Ja, hoffentlich. Tschüss“, ich vergesse fast, wie man läuft als ich versuche gelassen weg zu gehen. Wie peinlich. Aber es ist wirklich nicht mehr weit.
Ich hole mein Handy raus und suche meine Kopfhörer.... verdammt. Ich habe sie in Alex’ Auto gelassen.
Der Fremde hatte sie auch in der Hand. In dem Moment merke ich, dass ich eine Nachricht bekommen habe. Schon vor 10 Minuten. Es ist Adam.

Ich gehe auf den Chat und sehe, dass er mir ein Bild geschickt hat. Ein Meme mit englischer Unterschrift. „Wenn du betrunken auf einer Bank aufwachst und dein Gehirn dir nicht sagen möchte, wie du hierhergekommen bist. Alright, keep your secrets then.“

„Das bist du hahaha. Wieso so spät?“

Ich muss lachen. Er weiß, dass ich nicht betrunken war aber trotzdem.
"Ich bin eingeschlafen. Wieso bist du noch wach?"
Er geht nach einigen Sekunden gleich online und antwortet mit einer Sprachnachricht.

„Ich bin vor kurzem von der Party zurück. Ich sitze hier gerade ganz allein im McDonalds. Möchte die Dame mir Gesellschaft leisten?“

Ich schaue auf die Straßen. Sie sind leer. Nur der Mond und die orangenen Laternen beleuchten sie.
Zuhause ist meine Mutter. Die es zu hundert Prozent hören wird, wenn ich nach Hause komme. Außer ich komme dann, wenn sie schon auf der Arbeit ist.

Ich lasse meine Hand mit dem Handy locker runter baumeln. Was eine Nacht. Ich lächele den Mond an und die wunderschönen Perlensterne.

„Heute muss dein Glückstag sein. Ich wollte gerade nach Hause laufen. Ich denke mal, das kann warten“, ich lache und schicke es ab.

Fast hopsend laufe ich durch die Fußgängerzone als ich das leuchtende Schild von McDonald's sehe.
Mit ein bisschen Vorfreude und viel Aufregung ziehe ich die Tür auf und laufe rein.

Ich sehe einen Hinterkopf mit braunen Haaren. Riskier alles und schick ihm ein Bild. Mutig tue ich was meine Kopf-Stimme mir sagt und schicke ihm ein Bild von seinem Hinterkopf.

Doch die Person zeigt keine Reaktion und hat auch kein Handy in der Hand als Adam mir schreibt.
„HAHAHA ICH BIN LINKS AN DEN FENSTERN“

Oh verdammt. Ich laufe schnell weg und dorthin, wo er es mir geschrieben hat.
Vor mir sitzt ein lachender Junge auf einer Bank.

„Ganz ehrlich. Ein Hinterkopf ist ein Hinterkopf“, lache ich und setze mich gegenüber von ihm.

„Ich würde deinen erkennen“, lacht er.
„Ja nachdem du mich von hinten halb überfahren hast, glaub ich's dir“
„Zum Glück habe ich dich nicht überfahren. Aber andererseits bin ich glücklich, dass ich dich fast überfahren habe… wäre es nicht 4 Uhr nachts würde das ganze vielleicht mehr Sinn machen“, fügt er lachend hinzu, nachdem ich ihn verwirrt angeschaut habe.
„Ne ich verstehe dich schon. Aber sag sowas nicht angetrunken. Sag das morgen früh, wenn der Himmel wieder rosa ist“, meine ich und stütze meinen Kopf ab.
„Der Himmel ist, seit ich dich gesehen habe nur noch in diesen Farben Chérie. Glaub mir. Das ist nicht der Alkohol“

ChérieWo Geschichten leben. Entdecke jetzt