Kapitel 19

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Um 8:45 Uhr kamen wir bei der Klinik an. Jess parkte das Auto auf dem Besucherparkplatz. Sie löste ein Parkticket und schon eilten wir  in die Klinik. Ich lief zur Information und fragte nach der richtigen Abteilung. "Wo ist denn die geschlossene Abteilung?", fragte ich den Herrn außer Atem. Der nette Mann bei der Info sagte mir, dass wir in den ersten Stock müssten und dort würden wir dann gescannt. Wir durften nämlich nichts mit hinein nehmen, was für die Patienten gefährlich wäre. Also liefen wir die Treppe hoch und standen vor einer Glastür. "Ich denke du musst klingeln", riet mir Jess und deutete auf den blauen Knopf mit der Aufschrift "Klingel". Gesagt, getan. Kurze Zeit später kam auch schon eine Schwester an und ließ uns hinein. "Hallo, was kann ich für euch tun?", fragte sie freundlich. Jess ergriff das Wort "Wir sind hier, weil meine Freundin Megan einen Termin hat um sich mit Samantha Black zu treffen.", nachdem die Schwester etwas verwirrt drein sah, sagte Jess weiter "Ich glaube sie kennen Samantha als Mary.". Plötzlich konnte man sehen, wie es im Kopf der Schwester "klick" machte. Sie lächelte uns an und sagte:"Wenn sie mir bitte folgen würden?". Jess und ich folgten ihr stumm. Es war ganz leise. Man konnte niemanden schreien hören. Wenn man Psychiatrie hört, denkt man automatisch immer an schreiende, den Kopf gegen die Wand hämmernde Menschen. Klischeehaft eben. Sie führte uns in eine Art Umkleide. "Bitte legen Sie alles ab und lassen sich von meiner Kollegin scannen", gab sie uns als Anweisung. Wir zogen alles aus was wir nicht brauchten. Unsere Schuhe mussten wir durch Filzpantoffel ersetzen, weil die Schuhbänder verboten waren. Die Kollegin der Schwester scannte uns von oben bis unten mit so einem Metallsuchdings Gerät. Wir waren sauber und durften ihr dann weiter folgen. "Übrigens, ich bin Sandra", stellte sie sich vor. "Freut mich", kam es von Jess und mir. Sandra lächelte uns an als sie sich kurz zu uns um drehte. "Wartet bitte hier. Ich hole mal einen Arzt", sagte sie und wies uns an kurz Platz zu nehmen. Kurze Zeit und eine Tasse Kaffee später, kam Sandra mit einem etwas älteren Arzt wieder. Der Arzt hielt mir als erstes die Hand hin um zuerst mich und dann Jess zu begrüßen. "Hallo. Ich bin Doktor Weier, der behandelnde Arzt von Mary... Ähm Samantha Black", verbesserte er sich. "Hallo, ich bin Megan Black. Die Ehefrau von Samantha und das neben mir ist Jess, meine Beste Freundin.", stellte ich uns vor. Doktor Weier brachte mich in einen weißen Raum und bat mich kurz zu warten währenddessen sich Jess sich prächtig mit Schwester Sandra unterhielt. "Ob sich da was entwickeln könnte?", schoss es durch den Kopf. Kopfschüttelnd verbannte ich den Gedanken auch gleich wieder. Jess war sowas von Hetero. Wobei das ganz und gar nichts darüber aussagte. Wie oft ist es schon vorgekommen, dass Familienväter nach 30 Jahren Ehe gecheckt hatten, dass sie Schwul oder Bi waren? Eben... Oft genug. 

Die Zeit verging nicht. Ich wartete gefühlte 10 Minuten in dem Raum. Die Tür öffnete sich wieder und Dr. Weier betrat den Raum. "Frau Black ich bringe sie zu Ihrer Frau. Ich würde Sie aber bitten, dass Sie sie nicht bedrängen und ihr nicht das Gefühl geben, dass sie sich erinnern müsste!", bat mich Dr. Weier. Ich nickte. In diesem Moment hätte ich alles versprochen, solange ich endlich zu Sam durfte. Jess war so mit Sandra in ein Gespräch vertieft, dass sie nicht mitbekam wie ich mit Dr. Weier den Gang entlang ging bis zum Zimmer mit der Nummer 112. Vor dem Zimmer blieben wir stehen und Dr. Weier sagte noch zu mir, dass das Zimmer Videoüberwacht sei, damit er im Falle eines Vorfalls einschreiten konnte. Ich verstand natürlich den Ernst der Lage. Mit den Worten "Viel Glück", ließ mich Dr. Weier vor Sam's Zimmer stehen. Mein Herz hämmerte gegen meinen Brustkorb. SO nervös wie jetzt war ich schon lange nicht mehr gewesen. Wie sie wohl aussah. Hatte sie noch immer Verletzungen? Immerhin war sie davor in Gefangenschaft und wurde gefoltert. Sie war je erst seit kurzem in dieser Einrichtung. Ich legte meine Hand auf den Türgriff. Ich zitterte so dermaßen. Schweiß bildete sich auf meiner Stirn. Ich atmete tief ein und als ich wieder aus atmete, klopfte ich zuerst an der Tür und betrat anschließend das Zimmer. Der Raum war genauso weiß gehalten als der Rest der Abteilung. Ich schloss die Tür hinter mir und drehte mich von der Tür weg. Das Zimmer war riesengroß. Fast so groß wie unsere Küche und das Wohnzimmer zusammen. 

Als ich genauer hinsah, sah ich, dass es kein Zimmer war. Es war eine eigene kleine Wohnung. Ich dachte immer, dass auf der geschlossenen Abteilung nur Zimmer waren? Diese Klinik war anscheinend anders. Während ich das Zimmer nach Sam absuchte und einmal "Hallo?" sagte, hörte ich wie sich eine Tür öffnete und eine sehr dünne, rothaarige Frau den Raum betrat. Sie schloss die Tür hinter sich und drehte sich zu mir um. Ich sah sie von oben bis unten an und es drückte mir Tränen in die Augen. Sie war nur noch ein Schatten ihrer selbst. Abgemagert, überall voller blauer Flecken und Narben. "Was haben die nur mit dir gemacht?", flüsterte ich mit zitterndem Kinn. "Hallo", kam es schwach von Sam. "Hallo", begrüßte auch ich sie. Ich wusste nicht ob ich ihr die Hand geben oder sie umarmen sollte. Alles war so absurd. So fremd obwohl sie mir doch so nah war. Sam kam auf mich zu. Sie schien mich zu mustern und streckte mir ihre rechte Hand entgegen. Ich ergriff sie und es schickte tausend Stromschläge durch meinen Körper. Sam schien es nicht anders zu gehen. Sie erschrak und zog ihre Hand schnell aus meiner. "Was war das?", fragte sie an mich gewandt während sie ihre Hand in ihrer anderen Hand rieb. Ich wusste nicht was ich darauf sagen sollte, also beschloss ich mich für eine nicht gut überlegte Antwort. "Anscheinend bin ich noch von meinem Auto aufgeladen". Sam nickte und bot mir an mich auf die Couch zu setzen. Sie setzte sich gegenüber von mir. Ich war noch immer schockiert wie unterernährt sie war und wie schlecht sie im Allgemeinen aussah. Ihre Augen hatten ihren Glanz verloren. Ihre Haut war farblos. Ihre Wangen waren eingefallen. Schlimm. Ich hatte mir schon ausgemalt wie es wohl sein sollte wenn ich sie treffe aber das was sich mir hier bot überstieg all meine Erwartungen. Sie sah wirklich "Scheiße" aus. "Dr. Weier sagte mir, dass Sie mich sehen wollten, weil Sie mich anscheinend von früher kennen?", fing Sam an zu reden. Ich nickte. Meine Lippen konnten sich nicht bewegen. Tränen wollten an die frische Tagesluft. Ich bemühte mich, mich wieder zu fassen. "Einatmen, ausatmen", sagte ich mir innerlich. Sam war inzwischen etwas näher zu mir gerutscht und schien mich genau zu mustern. "Wie heißen Sie denn?", fragte sie mich neugierig. "Megan", antwortete ich mit gebrochener Stimme. "Warum sind Sie so traurig?", bohrte sie weiter. Was sollte ich da jetzt schon wieder sagen? Ich konnte ihr wohl schlecht sagen, dass ich wegen ihr so traurig war, weil sie meine Frau ist und ich sie 10 Jahre nicht hatte. Wohlkaum. Also musste ich etwas anderes sagen. "Ich bin nicht traurig. Ich bin glücklich", log ich sie an. "Und vor Glück weinen Sie?", fragte sie nach. "Ja", gab ich schlicht zur Antwort. Meine Antwort schien sie nicht zufrieden zu stellen. Sie stellte mir aber auch keine Frage mehr bezüglich meines Wohlbefindens. Ich merkte ihr an, dass sie mir nicht glaubte. Ich wollte nun den Spieß umdrehen. "Wie heißen Sie denn?", fragte ich Sam. "Mary.... Mary Black", antwortete sie zaghaft. Ich nickte, unfähig etwas zu sagen. 

Sam sah mich wieder eindringlich an. "Haben Sie Kinder?", fragte sie aus heiterem Himmel. Völlig überrascht von der Frage antwortete ich mit einem "Ja, einen Sohn!". Sofort fingen Sam's Augen an zu strahlen. "Ich wollte auch einen Sohn oder?", fragte sie eher an sich gewandt als an mich und sah auf den Boden. Ich nahm allen Mut zusammen und hob ihr Kinn mit meinen Fingern an. Erschrocken und mit weit aufgerissenen Augen schlug Sam meine Hand weg, sprang auf und schrie "Greifen Sie mich nicht an!... GREIFEN SIE MICH NICHT AN!!!", während sie zwischendurch tief Luft holte. Die Zimmertür öffnete sich und Dr. Weier kam herein. "Misses Black, wenn ich sie bitten dürfte zu gehen!", sagte er mit strenger Stimme. Ich sah zu Sam die noch immer Luftringend da stand und dann wieder zu Dr. Weier. "Ja", war alles was ich sagen konnte. Gerade als ich im Türrahmen angekommen war, fragte Sam laut an mich gewandt: "Wieso Misses Black?" 

Das war zur viel für mich. Ich schluchzte laut und lief weg. So schnell ich konnte lief ich den Gang entlang. Schnurstracks auf Jess zu und fiel ihr um den Hals. "Hey, was ist denn los?", fragte mich eine sichtlich irritierte Jess und schlang ihre Arme um mich. "Lass uns einfach fahren", flehte ich sie an. Weit entfernt hörte ich Sam's stimme, die immer näher zu kommen schien. Dr. Weier kam auf mich zu. "Warten Sie noch bitte. Misses Black möchte mit ihnen weiter sprechen!". "Ich kann nicht!", schluchzte ich. "Meinen Sie nicht, dass es für heute reicht?", fragte eine noch immer irritierte Jess. "Nein! Es hat sich etwas getan", antwortete Dr. Weier und deutete mit dem Kopf in die andere Richtung, von der ich Sam auf mich zulaufen sah. 

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