Waisenheim

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Genervt stieg ich ins Auto, ich hatte es aufgegeben nach dem Warum zu fragen. Ich musste es sowieso hinnehmen. 
Einen Bruder…pah!
Mit fünfzehn noch mal Bruder werden zu müssen. Nur weil meine Eltern auf die glorreiche Idee gekommen waren ein Kind zu adoptieren. Sie hatten eine Fernsehsendung über die Waisenhäuser in anderen Ländern gesehen. 
Es dauerte nicht lange bis wir ankamen und ich fragte mich wieder, warum ich nicht einfach zu Hause bleiben durfte. Aber Mum hatte gesagt, dass die ganze Familie mitkommen sollte
Wir betraten das Gebäude und wurden sofort von einem Pfleger abgefangen. 

"Er fühlt sich am sichersten, wenn er sich irgendwo verstecken kann. Egal ob Schrank, unterm Schreibtisch oder unterm Bett. Deshalb hat er hier eine Matte unter dem Schreibtisch und eine Decke darüber hängen", sagte der leitende Pfleger im Flur.

Ich sah mich um. Das ganze sah aus wie eine große Wohnung für eine Familie mit vielen Kindern. Aber was der Typ da erzählte hörte sich eher nach einem psychisch Kranken an. 
Meine Eltern schienen trotzdem begeistert. 

"Wenn er nicht rauskommt, müssen wir es später nochmal probieren." Der Pfleger klopfte an meine Zimmertür um sich anzukündigen. Dann wurde die Tür geöffnet. 
Mehrere Füße. 
Er war nicht allein. 

Das Zimmer war recht unpersönlich, trotzdem erkannte ich, dass es ein jüngerer Junge sein musste. Aber er war nicht da. Versteckte sich sicher wie der Pfleger gesagt hatte. Ich hielt mich im Hintergrund. 

Sollte ich es wagen zu gucken?
Letztlich siegte die Neugier.
Ich schob die Decke ein Stück zur Seite und lugte raus. 
Eine Familie. 
Ich verschwand wieder dahinter und kauerte mich in der hintersten Ecke zusammen. 
Hoffentlich hatten sie mich nicht gesehen.

Der Pfleger und ich hatten das Zucken der Decke gesehen. Der Junge schien also doch neugierig zu sein, was wir hier wollten. 

"Kilian, willst du mal kurz rauskommen? Ich will dir jemandem vorstellen." 
Ich zitterte. Sobald ich hinausging würde ich mich nicht mehr verstecken können. 

Kilian…
Ich stellte mir irgendwie gerade einen Michel aus Löneberger vor. Nur, dass dieser Michel hier Angst hatte und nicht frech war. 
Was wollten meine Eltern mit einem so scheuen Kind, dass sich in Erzählungen nach einem psychisch Kranken anhörte? Sie hatte doch schon ein physisch krankes Kind. 
Wir warteten gespannt. 
"Wir sind ganz nett, du musst keine Angst haben", sagte Mum. Ich verdrehte die Augen. 

Ich schob mit einer Hand die Decke zur Seite. Wenn er sie mitgebracht hatte, würden sie mir nichts tun. 
Ich krabbelte unter dem Schreibtisch hervor und stand auf. Drei Leute. Eine Frau, ein Mann und ein Jugendlicher.
Ich blieb bei meinem Versteck stehen, nur für den Fall der Fälle. 

Ich musterte ihn. 
"Hallo Kilian", sagte Mum

Der Pfleger hielt mir seine Hand hin. Wie bei einem scheuen Tier, dessen Vertrauen man gewinnen will. 
Ich musterte sie alle und sie betrachteten mich.

Er war sehr klein und ich überlegte, wie alt er wohl war. 

Plötzlich tauchte ein Schokobon auf der Hand des Pflegers auf.
War es ihm wirklich so wichtig, dass ich näher kam? Schokolade war das beste Bestechungsmittel bei mir. Und es störte mich selbst, dass ich auf Schokolade so reagierte, aber ich konnte nicht anders. Sie schmeckte doch so gut. 

Schokolade? War das wirklich ein Schokobon auf der Hand des Pflegers? Der Junge verhielt sich ja nicht normal, dass man ihn wie ein scheues Eichhörnchen locken musste. 

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