"Wenn er so weitermacht, hat er die vier Jahre nächstes Jahr schon aufgeholt und kann auf eine weiterführende Schule wechseln", sagte der Lehrer zu meinen Adoptiveltern beim Elternsprechtag. Sie hatten darauf bestanden, dass ich mitgehe, weil ich immer noch Angst hatte alles falsch zu machen und das Gefühl, dass ich zu langsam und zu dumm für die Schule war. Ich hatte mich aber nicht getraut alleine mitzugehen und so war Alex jetzt auch dabei.
Ich saß mit verschränkten Armen neben Kilian. Was sollte ich denn hier? Ich wusste doch, dass er schreiben, lesen und rechnen konnte. Und das mittlerweile schon wirklich gut, dafür dass er noch nie auf einer Schule gewesen war.
Ich sprang auf und umarmte ihn.
Anscheinend war ich doch nicht so schlecht, wie ich befürchtet hatte.Ich zuckte erschrocken zusammen als er mir plötzlich um den Hals fiel. Worüber freute er sich so? Ich hatte nicht zugehört.
"Danke, dass du mir lesen beigebracht hast und schreiben."
“Das wolltest du doch unbedingt”, tat ich es ab.
"Aber ohne dich hätte ich das nicht geschafft."
"Was mir mehr Sorgen macht ist das Soziale", fuhr mein Lehrer fort. "Aber ich denke, das wussten sie vorher schon."“Ja, das war mir klar. Findet er denn wenigstens etwas Anschluss?”
"Bei einigen schon, bei anderen verschwindet er, sobald sie den Raum betreten in einer Ecke. Das ist auch bis zu einem gewissen Punkt normal. Mir macht aber das Durchschnittsalter seiner Freunde Sorgen."
“Hä?”, fragte ich.
"Sie sind zwischen 6 und 8. Kein einziger ist in seinem Alter."
“Das passt ja eher zu seinem Aussehen.” Mum warf mir einen ernsten Blick zu. “Entschuldigung.”
"Vor den Gleichaltrigen hat er Angst. Psychisch ist er eher auf dem Stand seiner Freunde obwohl er sehr intelligent ist."
“Woher kommt das?”, fragte Dad.
"Vermutlich hatte er nie viel Kontakt zu Gleichaltrigen und er hat ein sehr schwaches Grundvertrauen."
“Das liegt an den familiären Hintergründen.”
Er nickte.
Ich hatte mich auf Alexs Schoß gesetzt und den Kopf auf seine Schulter gelegt.
"Bei seinem Bruder hat er aber keine Probleme."“Nein. Es war zwar ein langer Weg bis dahin, aber ihm vertraut er.”
"Und da holt er sich auch seinen fehlenden Körperkontakt", sagte der Lehrer lächelnd.
Ich verzog das Gesicht.
Es klopfte. " Oh, schon so spät? Da kommen die nächsten."
Wir standen auf und verließen den Raum.
Vor der Tür stand ein Klassenkamerad, den ich nicht mochte, weil er mich immer ärgerte. Ich versteckte mich hinter Alex.
Kilian hielt sich an meinem Hosenbein fest als er den Jungen sah und ich wusste sofort, dass die beiden sich nicht leiden konnten. Ob er auch elf Jahre alt war?
Rico war zwei Köpfe größer und um einiges massiger wie ich. Schon deshalb hatte ich Angst.
Der Junge blieb mit einem frechen Grinsen vor mir stehen, obwohl seine Eltern schon rein gegangen waren.
"Geh weg, Rico", sagte ich.
"Wieso sollte ich, du Baby."“Hey! Sag sowas nicht, geh lieber zu deinen Eltern.”
Ich schob Alex an ihm vorbei zur Tür.
Er rief mir noch etwas hinterher, aber ich ignorierte es.Wir traten aus dem Schulgebäude. “Wer war das?”
"Rico, ein Klassenkamerad."
“Ah. Idiot!”
"Ist schon okay. Er nutzt nur aus, dass er größer ist."
“Lass dich nicht von ihm unterkriegen. Die Größe ist egal. Es geht doch um Köpfchen und nicht um Muskelkraft.”
"Er passt nicht in die Spalten, in denen ich mich verstecken kann."
“Das ist schlau. Aber du solltest dich nicht immer verstecken.”
Ich sah zu Boden. "Ich kann nicht anders."
“Schon klar. Das wirst du ja auch nicht ablegen. Ich meine ja nur, dass es sich auch mal lohnt etwas gegen die anderen zu sagen, damit sie einen in Ruhe lassen.”
"Ich...ich kann das nicht."
“Schon gut, das ist ja kein Muss. War nur ein Vorschlag. Es ist nicht schlimm, wenn dir das schwer fällt.”
Ich nickte. "Sie sind alle größer, stärker und wissen mehr."
“Ach Quatsch, du bist sicher schlauer als die.”
"Ich weiß nicht mal, wer das Land regiert, habe keine Ahnung, wie man Fangen spielt..."
“Dann frag mich, ich erklär es dir und dann haben sie nichts mehr zu lachen.”
"Ist schon in Ordnung, für Fangen bin ich vermutlich eh zu alt."
“Nein nicht unbedingt, deine Klassenkameraden spielen es doch auch.”
"Aber sie sagen so schon, dass ich ein Baby bin."
“Da solltest du nicht drauf hören.”
"Zu spät. Aber zumindest bin ich nicht beim Lernen zu langsam."
Ich nickte.
"Hier gibt es nicht so viele gute Verstecke."
“Das stimmt.”
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New Family
General FictionDer kleine Kilian wird adoptiert, doch es ist ein langer Weg zum Vertrauen und immer wieder werden ihm unerwartete Steine in den Weg gelegt. Alex, sein neuer Bruder, versucht sein Vertrauen zu gewinnen, aber gleichzeitig kämpft er seinen eigenen Kam...