Kapitel 11

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Draußen im Flur lehnte ich mich an die Wand und atmetet tief ein und aus, um kurz zu verarbeiten, was ich erfahren hatte. Ich hatte mir durch reinen Zufall Freunde ausgesucht, denen es ging wie mir. Also wenn ich an Zufälle glauben würde, wäre das wohl einer. Ob ein glücklicher oder unglücklicher wird sich wohl noch zeigen. Ich wusste nicht, was ich jetzt tun sollte. Es gab noch eine Stunde Abendessen, aber ich wusste, dass Hunger nun wirklich das letzte war, was ich hätte empfinden können und ich wusste auch, dass ich nicht direkt auf unser Zimmer gehen konnte. Ich konnte nicht sofort mit Lina reden. Ich musste erst mal alles verarbeiten und meine Emotionen unter Kontrolle bekommen. Gerade, als ich das dachte spürte ich eine Träne auf meiner Wange. Na toll, das konnte ich nun wirklich nicht gebrauchen. Ich hatte jahrelang jeden Gedanken an meine Mutter verdrängt und nun, war sie die letzten, wenigen Monate präsenter, wie eh und je. Ohne darüber nachzudenken, rannte ich los. Auch das war eine Art Mechanismus in meinem Körper, Emotionen wurden immer mit Sport ausgeglichen und verdrängt. Ich joggte durch die Gänge, die Treppe nach unten und aus dem Haupteingang Richtung Park und rannte so viele Runden, dass ich am Ende nicht mehr mitzählte. 

Nach einer gefühlten Ewigkeit ließ ich mich schnaufend auf eine Bank fallen. Mit einem Blick auf mein Handy stellte ich fest, dass ich über eine Stunde gerannt war und es mittlerweile halb neun war. Mein Vater wäre stolz auf mich. Mit diesem Gedanken brach der Wasserfall los, ich weinte und weinte und wusste, dass ich mich in absehbarer Zeit nicht mehr beruhigen würde. Alles stürzte auf mich ein. So viele Gedanken flogen durch meinen Kopf. Ich dachte an meinen Vater, den ich immer enttäuschte, an Mike, der mich im wieder aus der Scheiße zog, an Lina und Elias, die den gleichen Mist durchmachen mussten, wie ich, an Frau Frahn, die Angst um ihren Sohn hatte und an den blöden Traum, der mich die letzten Tage nervlich verwirrt hatte und eine vermeintliche Freundschaft, mit Elias manipuliert hatte. Zusätzlich ärgerte ich mich über mich selbst. Wieso war ich nur so weich, woher kam diese ätzende und nervige Verletzlichkeit? Ich war doch kein kleines Kind mehr. Glücklicherweise, schien irgendwann die Wut über die Traurigkeit zu siegen und ich hörte, mit einem Schlag, auf zu weinen. Ich saß noch eine Weile auf der Bank und machte der ganzen Welt, einschließlich mir, Vorwürfe. Das tat gut und beruhigte mich, es war etwas in was ich gut war und ein kompletter Gegensatz, zu dem Häufchen Elend, dass vorher auf dieser Bank gesessen hatte. Irgendwann, ich weiß nicht wie viel Zeit vergangen war und ehrlich gesagt, war es mir auch egal, entschied ich mich auf mein Zimmer zu gehen, auch wenn ich wusste, dass ich mich dort vermutlich auf ein weiteres Gespräch mit Lina einlassen musste. 

Ich trottete erschöpft zum Eingang. Doch bevor ich die Tür öffnen konnte, wurde ich von einer Stimme hinter mir aufgehalten. „Kleine Mädchen, sollten um diese Uhrzeit nicht mehr alleine draußen umherirren." Elias! Wer sonst? Ich versuchte mich zusammenzureißen, schließlich hatte ich einiges über ihn erfahren heute Abend und ich wollte mich wirklich bemühen netter zu ihm zu sein. Ich wandte mich um: „Dann ist es ja gut, dass ich schon groß bin und vermutlich schneller laufen kann, als die meisten Vergewaltiger." Ein guter Anfang, Romina. Noch etwas weniger sarkastisch und ich wäre stolz auf dich gewesen. Auch Elias schien kurz verwirrt darüber, dass ich wirklich ein Gespräch mit ihm angefangen hatte. Doch er hatte schnell seine Fassung wiedererlangt: „Schneller als ich, bist du nicht." „Das kann man jetzt so nicht pauschalisieren, aber glücklicherweise bist du kein Vergewaltiger." Ich dachte nicht weiter nach und ließ mich neben ihn ins Gras fallen. Elias musterte mich kurz und zog dann an seiner Zigarette. Ich dachte erneut nicht nach und griff zu dem Zigarettenpäckchen, das zwischen uns lag und zündetet mir eine Zigarette an. „Scheiß Tag gehabt?", fragte Elias nur. Ich nickte. Einige Minuten sagte keiner von uns etwas. „Ich wüsste was da helfen könnte." Ich sah ihn fragend an? „ICH könnte dir helfen." „Aha und wie?" „Ich denke du weißt wie.", hauchte er und rutschte näher. Glücklicherweise hatten meine Hormone offensichtlich genug von Elias und mein Körper reagierte nicht auf seine Anmache und den Vorschlag ihn über mich herfallen zu lassen. Schade, kurz hatte ich gedacht das könnte ein angenehmeres Gespräch zwischen uns werden. Ich seufzte, drückte die Zigarette aus und stand auf. „Ach komm schon, Romy. Als würdest du nicht wollen." „Elias, das ist lächerlich und mehr nicht. Ich denke du weißt das selbst. Keine Ahnung, ob das eine Art Stressabbau für dich ist, mir auf die Nerven zu gehen und mich unentwegt anzumachen, aber mit einem bin ich mir gerade wirklich sicher. Ich möchte definitiv keinen Sex mit dir, also lass stecken." „Du bist dir nur gerade sicher? Na, dann sag mir, wenn du dir mal nicht sicher bist." Da war er wieder. Der selbstgefällige Kerl, der mir trotz seiner Arroganz leidtat, aber für solche Gespräche war ich nun wirklich nicht zu haben und heute Abend hatte ich auch wirklich keine Kraft dagegen anzukämpfen. „Gute Nacht, Elias." 

Von einfach war nie die Rede...Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt