Kapitel XX.

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XX.
(01.02.2014)

Tatsächlich.
Kaum berührten die Flammen die Gegenstände, riss sich eine blaue Flamme in die Höhe. Sie war vielleicht zwanzig Zentimeter hoch, loderte einen Moment kräftig auf und wurde dann wieder kleiner. Stück für Stück schmolzen die Gegenstände.
Das erste war das Wachs, die Locke, Blumen und Pflanzen folgten, das Gemälde auch. Und obwohl ich es nicht erwartet hatte, zerflossen der Handspiegel und das Medaillon vor unseren Augen zu flüssigem Gold, genauso wie der Ring bald der Hitze zu Opfer fiel.
Doch das erstaunlichste war der Stein. Ich wusste das es ein echter war, es war in der Tat nichts als ein Stein – per Zufall ausgesucht – aber er schmolz vor unseren Augen. Als ich Alasdair fragte wie das möglich sein konnte, zuckte er nur ahnungslos mit den Schultern. Irgendetwas mit der Zeit .. man diskutierte nicht mit der Zeit, man legte sich nicht mit ihr an – wir taten es hier, die Zeit war die größte Macht der Welt. Warum soll es ihr also nicht möglich sein Steine zum Schmelzen zu bringen?
Das leise Knistern zerrte an meinen Nerven, wir starrten beide auf die schmelzende Masse, jeder war in seinen Gedanken gefangen, jeder fragte sich wie weit wir noch gehen mussten um zu fallen.
Mein Blick glitt aus dem Fenster, wo die weiten grünen Ebenen von dem hellweißen Licht des Mondes erhellt wurden. „Ist diese Nacht eine Vollmondnacht?“
„Nein“ Al schüttelte den Kopf, „Morgen.“
Morgen also.
Morgen würde es soweit sein, Morgen würde sich aufzeigen ob das alles hier einen Sinn gehabt hatte. Morgen würde er weg sein.
Weg, einfach weg. Was bleiben würde, wäre nichts als eine Erinnerung.
Ich spürte Schmerz in meinem Inneren wie ein Dolchstoß, aber ich schluckte die bittere Galle die mir aufstieg hinunter. Alasdair musste zurück, das hier war nicht sein Platz. Genau das rief ich mir immer wieder zu Erinnerung, redete mir ein dass es das Beste für ihn war. Und das war es ja auch.
Und für mich ebenfalls. Oder?
Wie lange wir dort saßen, Al an den Tisch gelehnt und ich auf dem Boden sitzend wusste ich nicht, es musste jedoch eine ganze Weile gewesen sein. Erst dann waren alle Gegenstände tatsächlich geschmolzen. Er nahm die Schale mit einer schweren Zange hinaus und stellte sie auf die Steinablage. Sie zischte leise.
„Und jetzt?“
„Jetzt versuchen wir es zu einer Kugel zu formen“ murmelte er leise vor sich hin und begann die Schale mit zwei Zangen zu drehen und zu wenden. Innerhalb kürzester Zeit wurde die bräunliche Masse fester und fester, Al begann die Schüssel noch mehr zu drehen, er wendete und formte mit einer kleineren Zange und ich stand nur staunend daneben und sah ihm dabei zu.
Je fester die Masse wurde, desto mehr nahm die vermeintliche Kugel Gestalt an. Und am Ende .. nun, sie war ungefähr so groß wie eine kleine Aprikose, die bräunlich-kupferne Färbung wurde von goldenen Linien durchzogen.
Kaum hielt er sie für in Ordnung, hielt er sie in einen Eimer mit Wasser. Es zischte laut und Qualm stieg auf. Als er sie mit der Zange wieder herausholte, war sie fest und mit einem Plopp landete sie vor mir auf den Holzdielen.
„Du kannst sie anfassen“ meinte Alasdair und legte die Werkzeuge zurück. „Sie ist fertig.“
Das war sie tatsächlich. Ich ging in die Hocke und hob sie auf, sie war nicht sonderlich schwer und wunderschön. Das Gold brach sich im Licht, funkelte und glänzte matt. Etwas durch und durch magisches umgab sie.
Er beobachtete mich lächelnd, aber das merkte ich erst ein paar Minuten danach. „Na komm, wir sollten so schnell es geht verschwinden.“
Das sollten wir tatsächlich, denn wir waren immer noch illegal hier – egal wie faszinierend diese kleine Kugel auch war.
Wir räumten alles ein wenig auf, zumindest so sehr wie es ging und Alasdair ging dann voraus um die Tür zu öffnen. Die Kerze in meiner Hand blies ich aus und schlüpfte dann ebenfalls durch das alte Tor. Es schien nicht als würde die Schmiede noch oft genutzt werden, aber Hausfriedensbruch blieb nun mal Hausfriedensbruch.


Die nächtlichen Straßen von Glencoe waren kalt und feucht. Ich fror erbärmlich und auch als Alasdair mich in sein Plaid wickelte und im Hemd neben mir lief, wurde es nicht besser.
Zitternd kroch ich die Straßen dahin, sie waren länger als auf dem Hinweg, ich vermisste mein Bett und die warme Bettdecke, ein wenig Schlaf.
Kaum waren wir in dem kleinen Häuschen angekommen, riss ich mir die Schuhe von den Füßen und eilte ins Schlafzimmer. Plötzlich fühlte ich mich einfach nur noch grauenhaft, mein Magen drückte und ein Messer schien sich in meinen Kopf bohren zu wollen. Matt verkroch ich mich im Bett, erst als ich seine Augen auf mir spürte, wusste ich dass es der drohende Abschied war, der meinen Körper in einen Notstand versetzte.
Er würde gehen.
Einfach so.
Und er würde nicht wieder kommen.
Würde er überhaupt überleben? Eine eiskalte Faust schloss sich um mein Herz.
„Jean?“ flüsterte er leise in die Dunkelheit, kam näher und ließ sich auf der Matratze neben mir nieder. Seine Hand fuhr über meine Stirn, fuhr meine Wangen hinab und spürte die heißen Tropfen. „Geht es dir nicht gut? Was ist denn los, mein Herz?“
„Nein“ hauchte ich, „Mir … nein.“ Ich wusste nicht was ich sagen sollte, wollte ihn nicht unter Druck setzen, wollte ihn aber auch nicht belügen.
„Komm einfach zu mir, ja?“ hauchte ich dann doch, wünschte mir nichts sehnlicher als ihn noch eine Nacht bei mir zu haben. Ganz nah, mit ihm morgen früh aufzuwachen. Ein letztes Mal.
Alasdair zog sich aus, kroch unter die Bettdecke und zog mich dann in die Arme. Er vergrub das Gesicht an meinem Nacken, atmete tief ein und schwieg.
Wir wussten beide wie das hier ausgehen würde, wir wussten beide dass wir nichts dagegen tun konnten.
Wild. Ja, wild würde der Wind sein der mir ihn wegnehmen würde. Und die Nacht kalt ohne ihn. Entsetzlich kalt.

22 Days;Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt