XXVIII.
(06-07.02.1692)
Es war schließlich schon später Abend geworden, als ich mich vorsichtig in der Dunkelheit die Treppe zu den Kerkern hinab schlich. Von unten hörte man nichts, gar nichts. Ich hoffte nur dass jetzt hier keine Soldaten waren, aber ich ging eigentlich nicht davon aus. Ich hatte extra gewartet bis der dicke Kerl mit den Schweineaugen das Essen brachte, danach kam für gewöhnlich eigentlich niemand mehr.
Vorsichtig spähte ich um die Ecke, aber ich sah niemanden. Alle Zellen lagen im Dunkeln, ich sah auch keinen Donald oder Blár.
Mein klopfendes Herz musste man doch in der Stille hören! Keuchend atmete ich aus. „Donald?“ flüsterte ich schließlich ganz leise, lauschte der Stille. Für einen Moment verließ mich jegliche Hoffnung, doch dann war da etwas schweres das sich aufrappelte und Metall klapperte.
Vorsichtig ging ich einen Schritt auf Donalds Zelle zu und tatsächlich – mir stand ein strahlender, kahlköpfiger Riese gegenüber. „Jean!“ keuchte er, „Jean! Gottverdammt, Jean!“
Er begann zu lachen, betrachtete mich prüfend von oben bis unten, streckte die Hände nach mir aus.
„Jean?“ kam es nun auch aus der anderen Ecke, ich erkannte Blárs ungewohnte und doch mittlerweile vertraute Stimme. Ich erkannte seine Gestalt schemenhaft gegen die Gittertüren. „Jean? Wirklich?“
„Ja, wirklich“ lächelte ich ergriffen von der Freude dieser beiden Männer. „Ich hab die Schlüssel! Wir müssen uns beeilen, ich weiß nicht wie lange Campbell unentdeckt bleibt.“
„Was hast du mit ihm gemacht?“ fragte Donald aufgeregt, während ich den richtigen Schlüssel für seine Zelle suchte. Bei dem dritten klappte es, ich konnte ihn drehen und die Tür sprang auf. Donald kam hinaus geschossen und riss mich in seine Arme, ehe er mich herum wirbelte.
„Pscht!“ lachte ich leise, „Donald! Hör auf, wir müssen ganz leise sein, keinen Mucks, wir sind noch nicht sicher!“
„Sicher“ murmelte er leise, „Also?“
„Ich hab ihm eine gehörige Portion Morphin verabreicht“ murmelte ich leise, versuchte nun auch Blárs Zelle aufzuschließen. Dort brauchte ich länger, aber ich fand den passenden Schlüssel und konnte auch seine Zelle so öffnen.
„Reden wir später drüber, wir müssen hier erst mal raus“ ordnete ich dann an und legte meinen Zeigefinger auf die Lippen. „Und jetzt pscht, in Ordnung? Keinen Mucks!“
Ich führte die Männer die Treppe hinauf und lauschte dann eine ganze Weile, Donalds tiefer Atem in meinem Nacken machte es zwar nicht einfacher, aber ich glaubte mir sicher zu sein das hier vorerst keiner war.
Vorsichtig öffnete ich also die Tür und trat gefolgt von meinen Kumpanen heraus. Mit den Fingern deutete ich eine Richtung an und so schlichen wir leise durch die dunklen Gänge. Ich wusste das der Kerker nicht weit vom Hof entfernt war, sonst hätten wir ihn ja auch nicht von unseren Zellen aus sehen können. Zwei Mal nach links und an einem großen Fenster vorbei, führte eine kleinere Tür hinaus auf den Hof.
Es lag tatsächlich schon hoher Schnee, er ging mir vielleicht bis zur Hälfte des Schienbeins – wir pressten uns an die kalten Steinmauern in unserem Rücken.
Einmal quer über den Hof und dann war da noch das Eingangstor, es war von zwei Soldaten bewacht. Sie standen unter einem kleinen Überdach und spielten Karten oder ähnliches.
Eines war sicher, sie froren erbärmlich denn eins konnte ich schwören – die Temperaturen waren einiges unter dem Gefrierpunkt.
Ich kniff die Augen gegen das Schneegestöber zusammen und überlegte fieberhaft.
„Und jetzt?“ murmelte Donald leise an meinem Ohr, ich zuckte mit den Schultern. „Wir versuchen einfach an den Mauern entlang zu schleichen, der Schneesturm verdeckt uns vielleicht.“
Keine sehr einfallsreiche Idee, aber mehr hatten wir zu diesem Zeitpunkt nicht. Also machten wir uns ganz leise auf den Weg, der Schnee knarzte zwar etwas unter unseren Füßen, aber im Großen und Ganzen ging es schon. Wir konnten jedoch kaum etwas erkennen, dafür war der Schnee zu dicht, aber wenn wir nichts sehen konnten, dann konnten sie es doch auch nicht, oder?
Zuversichtlich näherten wir uns dem großen Haupttor und ich wurde immer nervöser. Wir mussten hier weg, schneller. Durch den Schnee würden wir uns niemals bis nach Glencoe kämpfen können.
Scheiße!
„Donald, wir brauchen Pferde“ keuchte ich leise, „Wir kommen so niemals durch den Schnee bis nach Glencoe.“
„Aye“ nickte er und wandte sich an Blár, „Kleiner! Wo hast du die Pferde gestohlen?“
„In der Gegend, unten irgendwo“ brummte er und zuckte mit den Schultern, „Vielleicht zwanzig Minuten entfernt von hier. Hier sind doch überall Dörfer.“
„Waren da noch mehr?“
Er nickte und ich sah es in Donalds Augen aufblitzen. „Gut. Hört mir zu. Blár, da sind zwei Männer, wir können sie nur niederschlagen.“
Blár nickte langsam und obwohl ich es nicht für möglich gehalten habe, wirkte er ein wenig unsicher. Schluckend zog ich eines der Messer aus meinem Stiefelschacht und drückte es ihm wortlos in die Hand.
Donald war die eine Sache, dieser Kerl konnte einem Mann mit seinen Fingern schon das Genick brechen, Blár war für einen Zweierkampf wahrscheinlich zu schmächtig. Aber ein Messer machte ihn gefährlich und zauberte seinen Vorteil zu tage, er war nämlich mit großer Sicherheit wendig wie ein Fisch.
„Jean, du öffnest das Tor.“
Auch ich nickte und wir sahen uns alle drei noch einmal ernst an, ehe wir losgingen. Durch den Schneesturm und die Ablenkung der Soldaten war es ein Leichtes sie zu Opfern zu machen. Donald und Blár tauchten wie aus dem Sturm auf und die Überraschung in ihren erst entspannten Gesichtern verwandelte sich in schiere Panik. Ehe einer auch nur hätte Alarm schlagen können, hatte Donald ihn mit einem Schlag gegen die Schläfe K.O geschlagen. Blár kämpfte mit dem anderen, versuchte ihn von den Alarmhörnern wegzuziehen, Donald kam ihm zur Hilfe.
Ich kämpfte mich durch den tiefen Schnee und eilte auf das Tor zu. Es war schwer und die eisernen Ringe vereist, aber ich hing mein ganzes klägliches Gewicht dran und schaffte es so weit zu öffnen, das wir hindurch schlüpfen konnten. Ich war die erste, mir folgte Blár und schließlich Donald. In seiner Hand hatte er mein Messer, es war blutig.
„Ging nicht anders“ murmelte er und ließ es in seinem Kilt verschwinden. In diesem Moment sah ich ihn tatsächlich zum ersten Mal richtig an und war überrascht – Donald war sogar noch größer und bulliger als ich angenommen hatte. Er trug ein altes zerrissenes Hemd und einen Schlammtriefenden Kilt, sowie schwere Lederstiefel mit hohen Kniestrümpfen. Ein wenig anders als Al, aber durchaus vertraut. Blár hingegen war in Hosen gekleidet, ein Mantel hing ihm viel zu locker über den Schultern.
Ich nickte eilig, im Moment war mir so ziemlich alles egal. Auch das wir eine gefühlte Blutspur hinter uns her zogen, Hauptsache es war nicht unser Blut. „Los, weiter! Blár, führ uns zu den Dörfern!“
Donald schloss das Tor wieder leise und so machten wir uns durch die schneereiche Dunkelheit schnellstens auf den Weg.
Die ersten Meter waren beißend und schrecklich, wir rannten durch die Dunkelheit, konnten aber auch kaum etwas sehen, weil der Wind und der Schnee uns so in den Augen brannten. Doch je weiter wir rannten und je länger man in der Kälte war, je gleichgültiger wurde es einem. Ich wollte einfach nur hier weg, weg von diesem schrecklichen Anwesen, weg von dem Land der Campbells. Ich wäre auch die ganze Strecke gerannt, Hauptsache weg.
Zitternd biss ich mir auf die Unterlippe bis ich Blut schmeckte, mein ganzes Gesicht war eine eingefrorene Miene und ich versuchte krampfhaft jegliches Gefühl zu unterdrücken.
Weg, wir mussten weiter, viel weiter weg.
Tatsächlich tauchten bald Dörfer auf, es waren zwar nicht die in denen Blár die Pferde geklaut hatte – dafür waren sie noch zu nah an der Burg – aber auch hier würden mit Sicherheit irgendwo Pferde sein. Wir würden nehmen was wir kriegen konnten, Hauptsache wir bekamen Entfernung zwischen uns und Campbell.
Stolpernd und zitternd eilten wir die verschneite Straße entlang, die Häuser waren allesamt dunkel, war es doch inzwischen sicherlich weit nach 11 Uhr Abends. Wir eilten umher und suchten bis wir endlich etwas fanden, das zumindest aussah wie ein Stall. Ein Blick durch die offenen Fenster bestätigte unseren Verdacht, es waren Nutztiere, darunter Pferde. Zwei. Die würden und mussten reichen.
Ich versteckte mich im Hintergrund, während Donald und Blár das schwächliche Schloss an den Türen knackten und hinein gingen. Mir tat es im Herzen leid, denn ich wusste wie arm die Menschen hier waren, aber im Moment war es die einzige Möglichkeit.
Wir mussten so schnell es ging hier weg, mit etwas Glück würde der Schnee in einer Weile alle Spuren verdecken.
Leichtes Wiehern ertönte von innen und ich betete zu Gott dass keiner der Menschen hier wach wurde, da führten Blár und Donald die Tiere schon in Richtung der Straße. Ich eilte aus meinem Versteck hervor und folgte ihnen. „Blár reitet bis zur Grenze der Stewards mit, dann schlägt er sich nach Westen, während wir nach Osten reiten“ erklärte mir Donald und griff nach mir um mich wie eine Feder auf den blanken Pferderücken zu hieven. Er selbst stieg hinter mir auf und zügelte das Pferd. Wenigstens eine Trense hatten sie gefunden.
Blár hatte nur die Mähne, aber auch er schwang sich eilig auf den blanken Rücken und nickte. „Aye.“
„Hast du nun Geld für die Überfahrt?“ wollte ich noch zweifelnd wissen, da zuckte er mit den Schultern. „Ich werde mich schon irgendwie durchschlagen, Hauptsache erst mal am Hafen.“
Sein Lächeln war verwegen und ich wusste was er mit durchschlagen meinte, aber ich war mir sicher in diesem eisigen und düsteren Moment einen richtigen Freund zu haben.
Donald und Blár gaben den Tieren die Sporen und so setzten sie sich ruckartig in Bewegung. Ich hatte zuvor noch nie auf einem Pferd gesessen, aber mir war in diesem Moment alles Recht. Ich wäre auch splitterfasernackt auf einem Kanu den Loch Leven hinauf gefahren, Hauptsache weg hier.
Auch wenn man meinen sollte das Donald und der warme Körper unter mir mich wärmten, so war dem nicht so. Ich fror erbärmlich, spürte schon bald weder meine Füße, Ohren noch meine Nase mehr. Es war die Hölle, wirklich.
Wir passierten weite Ebenen, ritten jenseits eines gigantischen Findlings entlang und woran auch immer sich Donald orientierte, er hatte stets eine Ahnung in welche Richtung er das schäumende Pferd bewegen musste.
Die Nacht kam immer dunkler und schon bald hatten wir die Mitternacht überschritten, der Mond schien diese Nacht nicht sehr hell, dicke Wolken verdeckten ihn und spendeten so kaum Licht.
Es war wie in einem irren Traum, ich wusste nicht wo ich war und ob das hier real und echt passierte.
Wir ritten stundenlang durch die dunkle Finsternis und ich hatte das Gefühl wir taten das nur im Kreis, denn die Landschaft sah bei Dunkelheit und Schneesturm auffällig gleich aus.
Irgendwann nach Stunden jedoch, bremsten beide ihre Pferde und versuchten tänzelnd zur Ruhe zu kommen. Blár fuhr sich übers Haar, in dem sich eine ganze Ladung Schnee breit gemacht hatte und lächelte. „Unsere Wege trennen sich, ich muss in den Westen.“
Es war schwer. Erstaunlich schwer für einen Menschen den man nicht mal wirklich kannte, aber wir hatten das hier zusammen durchgestanden, waren uns in schweren Stunden treu gewesen – so etwas schweißte zusammen.
Donald grinste vergnügt und schlug ihm auf die Schulter, „Pass auf dich auf, Kleiner. Und wenn alles nicht klappt, komm nach Glencoe. Wir warten dort.“
„Na“ winkte er grinsend ab, „Irland ist und bleibt meine Heimat, zur Not schwimme ich rüber. War nett euch kennen gelernt zu haben.“
Er wendete sein Pferd und drehte sich noch einmal im Sattel um, „Ach und .. Danke, Jean. Ich hab dir mein Leben zu verdanken. Ich hoffe der Kerl der dich heiratet weiß es zu würdigen. Nun dann, lebt wohl!“
Damit gab er dem braunen Tier unter ihm die Hacken und verschwand schon nach wenigen Minuten im dichten Schneechaos. Und weg war er.
Verblüfft sah ich ihm nach, spürte gar nicht wie Donald meine kalten Arme rieb. „Na los Kleine, wir müssen auch Heim.“
Heim… ich lächelte und schloss die Augen.

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22 Days;
Historical FictionSchottland war unglaublich schön, vielleicht nicht für jedes Auge - aber vielleicht war es ja deshalb so schön? Wer wusste das schon. Jean war hier hoch gekommen um Urlaub zu machen und herauszufinden was ihre Großmutter Eilidh an dem rauen Land so...