Kapitel XXIII.

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 XXIII.

(04 - 05.02.2014 / 1692)

Ich fuhr mit dem Auto bis zu der Stelle an der ich damals meinen Wagen stehen gelassen hatte, ehe ich dort oben Alasdair begegnet war. Noch einmal atmete ich tief durch, sah durch die Frontscheibe die Sterne am Himmel funkeln.
Jetzt konnte ich noch zurück, jetzt stand mir die Wahl noch offen – doch im Grunde genommen hatte ich es schon zu dem Zeitpunkt gewusst, an dem mir Fingal erklärt hatte um was es hier ging.
Als er „Es sei denn da ist jemand der ihn auf genau das aufmerksam macht“  gesagt hatte, hatte ich gewusst dass es so enden würde.
Gott, beschütze mir diesen Mann. Wenn ich es tatsächlich schaffen würde .. Gott, Alasdair würde mich in der Luft zerreißen. Es war mir mehr als klar, dass ich seinen beißenden Zorn abbekommen würde, aber das war es mir in allem Fall wert. Sollte er wüten und toben, er würde wenigstens leben. Mehr wollte ich nicht.
Ich schnallte mich ab, nahm mein kleines Säckchen vom Beifahrersitz und stieg aus. Die Nacht war kalt und klar, etwas Geheimnisvolles lag in der Luft. Sie flimmerte, war geladen. Die Sterne hatten niemals zuvor so hell geglitzert. Der Vollmond schien mir ins Gesicht, erhellte die weiten Landschaften und je länger ich da so stand und ihm entgegen sah, desto klarer wurde mir etwas.
Der Mond war nicht länger mein Feind, jetzt war er zu einem Verbündeten geworden.
„Du ihn mir genommen, also bring mich auch wieder zu ihm“ knurrte ich ihn an und sah auf meine Hand, in der der Autoschlüssel lag. Ich streckte mich und holte aus, warf ihn so weit weg wie ich konnte.
Es war befreiend. Wirklich, es war endgültig, es war gut. Es fühlte sich gut an.
Entschlossen knöpfte ich den Mantel höher zu, schlang die Arme um meinen Körper, kuschelte mein Kinn in den warmen Schal und setzte mich in Bewegung.
Die weiten Wiesen erstreckten sich eine Weile unter meinen Füßen, die Nacht war kalt und klar. Ein paar der typischen nächtlichen Geräusche drangen entfernt an meine Ohren, sonst war ich hier allein. Mutterseelenallein.
Angst spürte ich nicht direkt, es war eher wie ein Flimmern in meinem Magen. Eine brennende Unruhe. Ich ging weiter, auch wenn mir die ganze Sache in Anbetracht des Geheimnisses das hier lauerte mehr als nur suspekt war.
Meine Füße folgten einem kleinen Rinnsal im Gras, vermutlich einem winzigen Ausläufer des Coe, und dann den weitflächigen Hügel im Nordwesten hinauf.
Ich konnte mich nicht erinnern das letzte Mal genauso gekeucht zu haben als ich hier hoch gekommen war, diese Kleider sahen zwar für oberflächliche Augen unmenschlich schön aus – aber sie waren auch verdammt schwer.
Ich nahm mir einen Moment um tief durchzuatmen (soweit es in diesem Mieder eben ging) und mich zu orientieren.
Vor mir lag das kleine Wäldchen mit den kahlen Ästen und spärlichen Tannen, der große Findling an dem ich mich damals von der erdrückenden Stimmung hier ausgeruht hatte.
Damals hatte mich etwas wie magisch in dieses Tal gezogen, jetzt so viele Tage später war es mir auch verflucht noch mal klar was es war.
Der Herrscher dieser Welt, das penetrante Ticken der Uhr, Mein namenloser Gegner. Die verdammte Zeit.

Als etwas hinter mir knackte, war ich so erschrocken dass ich mit dem Fuß von dem feuchten Stein abrutschte und so hilflos fiel.
Der Aufprall war nicht hart, im Gegensatz – er war ziemlich weich durch das Laub und das Moos, aber er war feucht und eiskalt.
Mit Klopfendem Herzen kämpfte ich mich wieder nach oben und klopfte mir die Blätter von meinen nun feuchtnassen Wollstrumpfhosen, als es erneut knackte.
Stockend sah ich auf und direkt in ein paar strahlendblaue Augen, die mich förmlich durchbohren wollten.
„Faur!“ bellte der Mann, während ich ihn nur geschockt anstarren konnte.
 
Ich musste herzlich lachen bei dieser Erinnerung. Was mir in diesem Moment durch den Kopf geschossen war? Nun, ich konnte es nicht mal annähernd in Worte fassen!
Seufzend schüttelte ich den Kopf um die Erinnerung zu vertreiben und mich wieder auf das hier und jetzt zu konzentrieren.
Der Wald lag vor mir wie ein alter Geist und der Nebel auf dem Waldboden schaffte auch nicht unbedingt Vertrauen. Waren das nicht immer die Kulissen an denen unschuldige Frauen ermordet wurden?!  Zögernd trat ich von einem Bein aufs andere und holte dann die alte Karte aus meinem Mieder.
Ich schlug sie auf, drehte mich ein wenig um das ganze Mondlicht zu bekommen und versuchte meinen Standpunkt zu finden. Tatsächlich war der kleine Wald hier sogar eingezeichnet, ich brauchte einen Moment bis ich die Karte verstand und begriff das Upper Carnoch noch ein ganzes Stück tiefer auf der anderen Seite des Waldes lag. Es zeichneten sich dort steile Berghänge ab, wahrscheinlich gehörten sie zu den Riesen die das Tal so schützend umschlossen.  
Ich faltete die Karte wieder und schob sie zurück in mein Mieder, warf dem Mond einen warnenden Blick zu und machte mich dann auf. Hier im Wald waren die Geräusche lauter, hier und da knackte es und obwohl ich jedes Mal ein wenig zusammen zuckte, biss ich die Zähne fest aufeinander.
Ich war freiwillig hier, tat es für Alasdair. Und vielleicht auch für dich selbst?, ätzte eine leise Stimme in meinem Kopf herum. Stockend blieb ich stehen, atmete tief durch und brachte alle Stimmen in meinem Kopf zum Schweigen.
Jetzt und hier. Das war das einzige Entscheidende!
Ich ging eine Weile gerade aus, kämpfte mich durchs Dickicht, so lange bis ich endlich am Waldesrand ankam.
Obwohl ich gewusst hatte dass das Wäldchen so klein war, hatte ich nicht erwartet so wenig Zeit zu brauchen. In Gedanken rutschte ich zu Alasdair ... ich hatte ihn am Nachmittag gefunden, wie lange war er da hier schon ziellos herumgeirrt? Nun, es war Geschichte.
Vor mir erstreckten sich steile Berge die dunkel in den Himmel ragten, wie Riesen die einen warnten auch nur einen Schritt in ihr Tal zu setzen. Unter mir ging ein kleiner steiler Bergpfad hinab. Er war nicht gerade stabil und ich brauchte mehrere Anläufe unter Hilfe von Baumstämmen die ich umklammerte wie ein Affe und kräftigen Pflanzen, um hinab zu kommen.
Als ich auf dem kleinen steinigen Zwischenplateau stand, versuchte ich krampfhaft nicht hinab zu sehen, denn gut zwanzig Zentimeter neben mir ging es verflucht tief hinab.
Ihr würdet mir nicht glauben wie erleichtert ich war, als ich endlich Treppen sah. Wahrscheinlich für neugierige Touristen - oder Idioten wie dich, die nachts hier herum lungerten, ätzte die kleine fiese Stimme wieder und dieses Mal musste ich ihr lachend Recht geben.
Zuversichtlich hangelte ich mich hinab, schnaufte geschafft als ich endlich auf ebenerem Boden zum Stehen kam.
So weit so gut.
Der Weg führte weiter eine kleine Senke hinab, fiel kontinuierlich und um mich herum wurde es immer dunkler. Die Bäume wurden dichter, wechselten von Misch-zu Nadelwald. Es war wirklich wie in einem drittklassigen Horrorfilm.
Ein wenig unbehaglich war mir schon, aber .. nun gut, ich hatte mich dafür entschieden, also musste ich nun auch damit leben.
In Erwartung eines weiteren Weges, bog ich um den kleinen Hang, rutschte dabei fast aus und blieb dann mit offenem Mund stehen.
Die Steinbrücke von Upper Carnoch, das musste sie sein. Natürlich geschliffene Felsen hatten eine Art Brücke in diesem steinigen Gebiet geschaffen, sie war vielleicht doppelt so hoch wie ich und als ich näher heran ging, spürte ich ein prickelndes Flimmern von ihr ausgehen.
Das war sie.
Meine Hand streckte sich fast automatisch aus, geleitet von einer unsichtbaren Macht, fuhr über den mit Moos bewachsenen Stein, spürte die kalte Feuchtigkeit. Und … etwas anderes. Da war noch etwas, ich konnte nicht sagen was es war und ich hatte auch keine Worte um es zu beschreiben, aber es fühlte sich nach mehr an.
Ich hockte mich hin und schob mein Kleid nach oben, pfriemelte die Kugel zu Tage und legte sie mit zitternden Händen unter die Brücke. In kribbelnder Erwartung und mit angehaltenem Atem stand ich daneben, doch nichts geschah.
Allerdings hatte ich auch keine Uhr mit und konnte so nicht sagen wie spät es war. Seufzend legte ich den Kopf schief und betrachtete sie einen Moment ausgiebig, als würde ich erwarten dass ein Kaninchen herausspringen würde. Auf dem dunklen Waldboden konnte man sie fast übersehen, sie glich der dunklen Erde und den hinab gefallenen Nadeln von der großen nun kahlen Lärche links neben mir, doch die goldenen Linien leuchteten ganz leicht in der Dunkelheit auf.
Schnaufend lehnte ich mich an den feuchten Fels und verschränkte die Arme. Dann würde ich eben warten.
Und bei Gott, ich wartete!
Es kam sogar so weit, dass ich mich genervt auf den Boden setzte, die Knie anzog und konzentriert auf die Kugel starrte. Langsam aber sicher begann ich zu zweifeln, konnte das alles hier wirklich funktionieren? Und wenn ja, warum zum Teufel passierte nichts?
Gefrustet krallte ich meine Finger in die kalte Erde, griff nach einem Stein und warf ihn gefrustet so weit ich konnte. Er landete wohl an einem Stein, denn es klackte leise.
„Jetzt mach doch mal du beschissener Mond!“ fluchte ich leise vor mich hin und als hätte er mich gehört, wurde es plötzlich hell und der Mond strahlte mich in seiner ganzen Schönheit an. Ein heller Fleck entstand, er schien um Upper Carnoch  herum und traf direkt auf die kleine Kugel und die Erde drum herum.
Die goldenen Linien begannen zu glühen, wurden immer heller und heller und ich sprang atemlos auf und stolperte wie von selbst ein paar Schritte nach hinten. Es wurde immer heller, so hell das ich die Augen schließen musste.

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