Kapitel XXX.

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 XXX.

(07.02.1692)

Ich beendete den Kuss und legte meine Stirn an seine, schloss die Augen. Ich hatte es geschafft, ich hatte es tatsächlich rechtzeitig geschafft.
„Wir stecken viel tiefer drin als wir dachten“ flüsterte ich leise und sah auf.
Al öffnete die Augen ebenfalls wieder und nickte seufzend. „Aye. Das glaube ich auch. Die Kugel war .. du solltest .. Jean!“ schnaufte er plötzlich kopfschüttelnd, löste sich und fuhr sich gestresst durch die Haare.
„Du hättest hier nicht her kommen dürfen, Mädchen.“
Verletzt sah ich ihn an. Ich hatte ja gewusst dass es ihm nicht gefallen würde, aber seine Tonlage war dabei erschreckend ernst.
Anders als ich es erwartet hatte, ganz anders.
„Nein“ seufzte er als er meinen Blick bemerkte und schloss mich eilig in die Arme. Er war unglaublich warm, auch hier in dieser Eiseskälte. „Nein, so meine ich das nicht, Jean. Aber .. hier ist es im Moment viel zu gefährlich, das ist kein Ort für dich, mhm? Wie soll ich denn meinen Clan verteidigen wenn ich die ganze Zeit nur an deine Sicherheit denken muss?“
„Weiß ich doch nicht“ murmelte ich trotzig, weil er nicht mal bereit schien sich die ganze Geschichte anzuhören.
„Jean“ schmunzelte er und rubbelte mir über die Arme. „Komm, wir gehen jetzt erst mal runter, du frierst dich hier oben ja zu Tode.“
Ich nickte erleichtert endlich aus diesen Schneemassen hinaus zu kommen und so wagten wir den steilen Abstieg. Er hielt mich hier und da oder sagte ich solle springen, wobei er mich auffing. Es war merkwürdig. Nicht mehr so wie zu der Zeit als er bei mir war, Sorgen überschatten hier alles.
Unser Wiedersehen, unsere Beziehung, unsere Gefühle.
Dafür war im Moment kein Platz in seinem Herzen und nach dem ich dieses wunderschöne Dorf mit seinen wunderschönen Menschen gesehen hatte, war es in meinem Herzen auch nicht mehr. Das alles konnte sich entwickeln, es konnte wachsen und vielleicht zu etwas Großartigem werden –  aber nicht so lange wir mit Campbell vor der Tür im Inneren mit geschliffenen Waffen warteten.
Alasdair führte mich zu meiner Überraschung nicht zu MacIans Haus, sondern ging zielstrebig dran vorbei. Wir liefen noch ein paar Minuten und standen dann vor einem kleineren Häuschen aus Steinen und Holz, das Dach war ebenfalls aus Holz, darüber war Stroh verteilt. Dadurch dass es schon lange lag, war es wie eine Schicht Wolle und ließ vermutlich nichts durch.
Groß war es nicht, aber es sah schon ein wenig vermögender aus als die anderen kleinen Cottages, welche vermutlich von den restlichen Menschen des Clans bewohnt wurden.
Kleine Fenster mit Fensterläden und Fellen davor erinnerten mich stark an das Haus des Clanchiefs, Alasdair öffnete die Tür mit einem schweren Schlüssel.
„Na los, ab“ schmunzelte er dünn und deutete mir an hinein zu gehen. Ich stand auf einem Boden aus hellen Kieferndielen, rechts von mir war ein großer Kamin, davor war ein bisschen was an gestapelten Holz. Und da war noch etwas – ein Korb voll brauner Brocken. Verwundert ging ich näher und augenblicklich schossen mir Tränen in die Augen, es war Torfrauch und er war nicht für meine europäischen, luxusverwöhnten Augen gemacht.
Eine kleine Bank mit einem großen Tisch stand ebenfalls vor dem Kamin, darauf lagen ein paar Nüsse und ein Messer, sowie ein unfertiges Stück geschnitztes Holz. Hier und da lagen auf dem Boden Felle aus, welche wunderbar weich aussahen. Auf der anderen Seite war ein offener Kamin,  über dem Feuer hing eine  Schüssel mit Wasser, große Regale und kleinere Schränkchen beinhalteten wohl die Vorräte. Ein Vorhang aus schwerem Stoff trennte die weiteren Räume. Sporadisch, zielorientiert. Typisch Mann.
„Ist das deine?“
„Mhm? Ja, nicht besonders prunkvoll, aber ich mag es so.“
Er schob den Vorhang zur Seite und entblößte einen großen Raum mit einem verdammt altaussehendem Holzbett, sowie Regale mit unglaublich vielen Büchern und geschlossene Schränke, vermutlich für Kleider oder ähnliches. Hier und da standen Kerzenständer mit heruntergelaufenem Wachs und wieder fand man Felle auf dem Boden.
Mein Blick blieb wie paralysiert auf dem Bett liegen. Es war wirklich außerordentlich groß, darauf lag weiße Baumwollwäsche, ein Kissen wie wir es heute kannten – vermutlich mit Federn und auch eine dicke Bettdecke, vermutlich ebenfalls mit Federn gefüllt. Am Fußende fand man eine zusammengenähte Decke aus verschiedenen Fellen.
Wie gerne ich mich jetzt darauf zusammenrollen würde!
„Leg dich drauf“ schmunzelte Alasdair neben mir, der meine Gedanken mal wieder vortrefflich erraten hatte. Ich spitzte die Lippen. „Nein.. es ist doch dein Bett und ich bin.. nein.“
„Doch“ er gab mir einen Klaps auf den Po und schob mich in Richtung des Bettes. „Na los, ich sehe doch die Neugierde in deinen Augen.“
Immer noch zweifelnd sah ich ihn an, ließ mich aber vorsichtig auf der Matratze nieder. Sie war so unglaublich weich, das ich begeistert auf quietschte und Alasdair verwundert ansah.
„Was ist das?“
„Wolle“ zuckte er mit den Schultern, „wir haben so viele Tiere das sich das lohnt.“
Wolle! Wolle! Das .. es fühlte sich an wie der Himmel, wirklich. Kein Vergleich zu den Matratzen von heute, es war so unglaublich weich und trotzdem sank man nicht ein. Ich schätzte unten war noch eine Schicht Stroh dabei.
Ein wenig federnd ließ ich mich schließlich doch nach hinten fallen, zog das helle Kopfkissen zu mir und vergrub die Nase darin. Gott, es roch göttlich.
Wirklich. Einfach nur göttlich. Der leichte Hauch Alasdair der mich sonst so manches Mal gestreift hatte, war hier mehr als nur intensiv zu vernehmen. Ich würde alles dafür geben hier irgendwann einfach einen ganzen Tag liegen zu bleiben. Mit ihm.
„Und?“
Er stand mit verschränkten Armen vor dem Bett und grinste auf mich hinab, als ich das Kissen wegzog, beugte er sich zu mir und küsste mich federleicht auf die Lippen.
Ich war überrascht wie einfach und simpel das alles war, ich hatte mir solche Gedanken um dieses Wiedersehen gemacht, das ich vergessen hatte wie Al eigentlich wirklich war.
„Wunderbar“ ich lächelte leicht, wurde dann aber wieder ernst. „Willst du es gar nicht hören?“
„Ich will mehr als nur alles hören“ meinte er ruhig und zog mich an den Armen sanft wieder hoch. „Aber dafür gehen wir besser wieder rüber, ich koch einen Tee.“
Drüben in dem größeren Raum ließ ich mich auf der bequemen Holzbank nieder und nahm dankbar den Messingbecher mit heißem Tee entgegen. Es roch wunderbar nach Pfefferminze, Alasdair nahm mir gegenüber Platz.
„Ich weiß um ehrlich zu sein nicht wo ich anfangen soll“ murmelte ich seufzend und sah ihn an. Diese .. komische Stimmung zwischen uns gefiel mir nicht, sie machte mich regelrecht nervös. Er war ernst und grimmig, sein Gesicht glich einem Gewitter. Aber das Gewitter sah anders aus als ich es erwartet hatte, es war nicht nur ein Gewitter. Es war viel mehr.
Al nickte. „Am besten ganz vorne, mhm?“
„Nach dem du verschwunden bist .. na ja, mir ging es nicht besonders gut. Ich hab eine Weile geschlafen, bin dann aber abends wieder aufgewacht und wollte mir etwas zu trinken holen. Dabei hab ich aus dem Fenster gesehen und den Mond gesehen, er war immer noch voll, es war immer noch Vollmond.“
„Ich weiß, ich habe es auch gesehen“ murmelte er und seufzte. „Ich hab die ganze Zeit gebetet das du ja nicht hier her kommst, ja nicht in diesen Schlund, aber .. na ja. Hätte ich gewusst das du es tatsächlich vorhast, hätte ich sie ganz behalten.“
„Du willst mich nicht hier haben.“ Stellte ich nüchtern fest, er nickte. Ich war müde, am Ende mit den Nerven, mir war kalt und meine Hände waren von den letzten Tagen bei Campbell aufgerissen, ich war verletzt von diesem beschissenen Nicken, von diesem Ausdruck in seinem Gesicht, von allem das … arghh! Ich erhob mich ruckartig. „Dann will ich dir nicht länger im Weg sein.“
Damit schnappte ich mir meinen Mantel und riss die Tür auf, ehe ich hinaus in den Schnee stapfte. Mein Gott, ich war so ungeheuer wütend! Oder nur verletzt? Ich konnte es nicht mal richtig einordnen.
Eine Hand griff nach meinem Arm, aber ich schüttelte sie ab und stapfte weiter.
Ich hatte gewusst dass es ihm nicht gefallen würde, aber ich war ja nicht zum Vergnügen hier! Ganz im Gegenteil, ich wusste mittlerweile so gut wie alles über dieses Vorhaben seitens des Königs, ich hatte Informationen die kein anderer hatte, aber Alasdair … wütend fuhr ich mir übers Gesicht, an meinen Wangen tropften tatsächlich Tränen entlang.
„Jean!“ rief er von hinten, aber ich reagierte nicht. Sollte er doch bleiben wo der Pfeffer wächst!
„Jean!“ rief er erneut und dieses Mal drehte ich mich um. Al stand ein paar Meter hinter mir und sah in seinem dünnen Hemd mehr als nur unpassend hier draußen aus. Auf seinem Gesicht zeichnete sich eine Mischung aus Verzweiflung und Verbissenheit ab.
„Sprich mich nicht an!“ fauchte ich wütend und hockte mich kurzerhand hin, ehe ich in den Schnee fasste und einen fetten Schneeball formte. Er traf ihn mitten an der Schulter und sein Blick wurde immer verwunderter.
Wahrscheinlich hielt er mich für irre.
So würdevoll wie es nur möglich war, drehte ich mich wieder und stapfte weiter. So ein .. argh! In meiner Wut sah ich gar nicht wo ich hintrat und war somit mehr als nur überrascht als ich gegen etwas Hartes, Warmes lief.
„Oh“ machte jemand überrascht und fing mich halbwegs elegant auf. Ich rappelte mich fluchend nach oben und strich mir den Schnee von meinem Rock.
Ich war allen Ernstes in den Clanchief hinein gerannt und hätte meine Hand für ins Feuer gelegt das er meinen kleinen Disput mit Alasdair mitbekommen hatte.
„Entschuldigt“ murmelte ich peinlich berührt und versuchte so würdevoll wie möglich auszusehen. MacIan setzte ein schiefes Lächeln auf. Es wirkte weder amüsiert noch belustigt, eher … wissend?
„Er hat euch vor den Kopf gestoßen“ stellte er unnötigerweise fest und seufzte dann, „der Junge wird auch nie erwachsen.“
Ich zuckte mit den Schultern und atmete krampfhaft gleichmäßig, um ja nicht vor ihm in Tränen auszubrechen.
„Alasdair ist manchmal wie ein Bò Ghàidhealach in einer Brauerei, grämt euch bitte nicht, Jean. Nur mal so unter uns, ich kann traurige Frauen nicht ertragen.“ Er zwinkerte und erinnerte mich dabei so an den jungen Edan, das ich plötzlich lachen musste.
„Tut mir Leid.. es ist ein bisschen schwierig.“
„Das glaub ich euch. Ich will euch nicht zu nahe treten, Jean. Aber ich habe das Gefühl das euch etwas auf der Seele liegt.“
Ich zuckte mit den Schultern und rang mir ein Lächeln ab, „Na ja ..“
„Ich habe Zeit.“
„Ob die reichen wird ist die Frage“ seufzte ich und war seinem entwaffnenden Lächeln ausgesetzt.

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