Marmor

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Wort: schwarze Wolken

Alexander

Die einzelnen Perlen die der Himmel schickte, fielen still zu Boden. Prallten dort auseinander und färbten dort den grauen gepflasterten Gehweg ein Stück dunkler. Dabei waren die Perlen eine unzertrennbare Einheit. Sie fielen gemeinsam und dennoch jede einzelne für sich. Ein einzigartiger Geruch, welche die ganze Welt erfüllte, brachten sie von den Wolken mit. Es erschien so als hätten sie sich dort oben nochmal mit Parfüm eingesprüht, welches nur der Himmel besitzen konnte. Genau so wie die Perlenkette, aus denen sie sich Reihenweise lösten. Die Blätter der babyblauen Hortensien gaben bei diesem kleinen, fast schon schmerzhaft wirkenden Aufprall nach, schmückten sich mit dem Wasser, als wäre es ein maßgeschneidertes Abendkleid. So wie ich es früher schon immer getan habe, verfolge ich stumm den Weg einer Perle am Fenster mit meinen Zeigefinger mit. Solange bis sie am Fensterrahmen angelangt sind. Das Prasseln des Regens erklang wie ein ganz persönliches Instrument der Natur. Welches nur sie so perfekt spielen konnte.

Arme der Vertrautheit umschlangen meine Hüfte. Ein bekannter Körper schmiegte sich an meinen eignen, sorgte dafür, das ich mich vollendet fühlte. Ich legte meine eigenen blassen und mittlerweile faltigen Hände über die Haltenden. Sie waren ebenfalls vom Leben gezeichnet und dennoch sah man die Altersflecken auf der, an Cognac erinnerten Hautfarbe nicht so sehr wie auf meiner eigenen. Zärtlich malte ich kleine Sterne auf die Haut, welche das Parfüms meines zu Hause trug. "Guten Morgen, Alexander." Ich lächelte als ich die sinnliche und sogleich raue Stimme von dem Mann hörte, welchen ich schon seit langer Zeit als 'mein' bezeichnen durfte. "Guten Morgen, Mags." Vorsichtig drehte ich mich zu ihm um. Ich sah in die Augen, welche in einem einmaligen braun zu mir herauf strahlten. Wir waren uns so nah, wie es kein anderer durfte und so hatte ich das Privileg die goldschimmernden Tüpfel zu betrachten. Sie waren im Einklang wie die Sahne im Kaffee und die Linien der untergehenden Sonne am Horizont.

Meine Lippen, die mit Sanftmut bedeckt waren trafen auf seine Stirn. Ich küsste sie und sogleich auch den wertvollsten Besitz den ich hatte. "Hast du wieder die Wasserperlen verfolgt?" Mit einem kleinen Lächeln nickte ich und deutete dann auf den gedeckten Frühstückstisch. Gemeinsam setzten wir uns. Wir teilten uns ein Brötchen. Er aß lieber die untere Hälfte und so bekam er jeden Morgen diese. Während er seine mit Honig bestrich, landete auf meiner Pflaumenmus, den wir meist noch selbst herstellten. In Ruhe aßen wir und lasen dann wie jeden morgen die Zeitung. Dabei teilten wir spannende oder merkwürdige Textstellen, durch das vorlesen, immer mit dem anderen.

"Das ist ja absurd. Ein Pilot erhielt von seiner Fluggesellschaft eine Abmahnung, weil er das gleiche Essen wie sein Kopilot gegessen hat. Dies ist an Bord untersagt, um auszuschließen, dass beide gleichzeitig eine Lebensmittelvergiftung erleiden." Ich lauschte gerne die Stimme meines Mannes. Ihm könnte ich stundenlang zuhören, sobald er sprach wurde in mir eine Welle der Ruhe ausgelöst, welche sich förmlich überschlug und immer wieder Glückseligkeit in Form von Muscheln an den Hafen meiner Seele spülten.

"Solange das Flugzeug sicher gelandet ist, sollten sie doch einfach froh sein. Aber ich habe auch etwas interessantes gefunden, vielleicht kannst du den Forschern zustimmen. Diese haben herausgefunden das der Mensch besser Entscheidungen treffen kann, wenn er dringend auf Toilette muss." Kurz schien er zu überlegen. "Dem kann ich zustimmen. Weißt du noch, bei unserem dritten Date? Ich saß glaube ich eine halbe Stunde vor der Karte und wusste nicht was ich nehmen sollte." Stumm lachte ich. Über den Tisch hinweg, nahm ich seine Hand in meine. "Meine einzige Sorge damals war, das dir gar nichts zu sagt. Dabei konntest du dich wirklich einfach nicht entscheiden." Die Erinnerung an diesen Tag waren so präsent, als wäre es erst gestern gewesen. Nur Magnus und ich wussten, das zwischen diesem Tag und heute mehrere Jahre lagen. Wir haben das Leben verprasst und genutzt, mit all unseren Möglichkeiten die wir hatten. "Seitdem entscheidest du immer für mich im Restaurant."

Ich kannte Magnus wahrscheinlich besser als er sich selbst und anders herum war es genau so. Wenn ich mich selbst nicht verstand, dann wusste ich immer das er es tun würde. In all den Jahren haben wir uns verändert und sind dennoch so geblieben. Wir haben unsere Geschichte geschrieben und schreiben noch heute jeden Tag. Den Weg sind wir gemeinsam gegangen. Manchmal haben wir uns gegenseitig getragen und manchmal sind wir gerannt. Momente der Zweisamkeit haben wir uns am Wegesrand geschenkt. Niemals das Gute im Anderen aus den Augen verloren.

"Lass uns darauf anstoßen." Magnus hebt seine Tasse, welche mit grünen Tee und einem Schuss Zitrone gefüllt ist. Ich tue es ihm gleich. "Auf uns" Die Wörter verlassen gleichzeitig unsere Münder. Zusammen räumten wir den Tisch nach unserem Frühstück ab. Während ich das Geschirr abwusch, trocknete er es ab. "Warum können Strohköpfe nicht nachdenken?" Grinsend sah ich ihn an und zuckte dann die Schultern. "Ein Geistesblitz wäre brandgefährlich." Leise lachte ich, spürte wie seine Augen still auf mir ruhten. Das brodelnde Gefühl von Sicherheit veranlasste in meinen Körper, das sich jedes Härchen aufstellte. Mein Kopf drehte sich nur leicht, fanden unsere Blicke sich stumm. Es war kein mustern und auch kein anstarren. Ich sah den Träger meines Herzens. Er hat mir das ganze Universum geschenkt, obwohl ich nicht mal einen Planeten erwartet habe. Bei all der Vergänglichkeit, ist er von Anfang an ein Teil der Beständigkeit.

Mags und ich sahen uns an. Ich beobachtete ihn dabei wie sein rechter Mundwinkel nach oben zuckte. Das schiefe lächeln, welches er mir schenkte, war so bekannt und dennoch ergötzte ich mich jedes mal an diesen Anblick. Wir sprachen nicht, die Wörter die manche brauchten, schienen bei uns blind zu sein, fanden sie den Weg nie über unsere Lippen. Und dennoch konnte man die Dankbarkeit, den anderen zu haben, schnuppern, welche sich in der ganzen Küche jetzt verteilte.

Mit einem Lächeln im Gesicht wurde der Abwasch beendet. Den ganzen Tag über schien der Himmel seine schönsten Perlen los werden zu wollen. Mit Ruhe saß ich im Sessel und sah dem Regen beim fallen zu. Dabei sah ich immer wieder auf, wenn Magnus den Raum betrat. Er war schon immer der Sekundenzeiger in unserer Beziehung. Still sitzen konnte er nur in meiner Gegenwart.

Als er das nächste mal den Raum betrat, ging er zum Plattenspieler, eine vertraute und bereits abgegriffene Platte fand den Weg in seine Hände. Die Nadel uns somit auch der Tonarm legten sich wie eine dünne Eisschicht über die Rillen, welche uns gleich die Musik schenken würde. "Darf ich dich zu diesem Tanz auffordern?" Er reichte mir seine Hand. Langsam stand ich auf. Wie ein Gentleman führte er mich auf unsere improvisierte Tanzfläche.

So wie damals nahmen wir bei den ersten Tönen, die enge und sogleich lockere Tanzhaltung ein. Seine Berührung war Poesie die ich, wenn ich nur die Worte dazu finden würde, unbedingt aufschreiben wollte. Die Rillen der Platten und der Lautsprecher, ließ das Lied erklingen, zu dem wir auch unseren ersten Tanz als Ehepaar vollführt hatten. Unforgettable von Nat "King" Cole, dirigierte sanft unsere Körper. Die Bewegungen waren nicht mehr so flüssig wie vor vielen Jahren, aber eigentlich ging es hier auch nur um das ertrinken in dem jeweils anderen. Ich sah seine Narben, der Ort wo ich ihn am meisten liebte. Mit ihm konnte ich alles sein, vor allem ich selbst.

Und während die Perlen vom Himmel fielen, die Welt in dem einzigartigen Parfüm ertrank und die Pflanzen das Wasser kosteten, kreierten wir einen weiteren Augenblick in unsere Ehe, welcher sich mit der Schönheit der Liebe schmückte.

Der WegWo Geschichten leben. Entdecke jetzt