Magnus
Hattet ihr schon mal einen Blackout, eine schwarze Leere wo ihr wusstet, das da irgendetwas wahr? Etwas was ihr nicht mehr zusammen bekommt, ein Puzzle, wo die Teile einfach fehlen. Und um so mehr ihr euch daran erinnern wollt, desto ferner rücken die Erinnerungen fort? Und dann kommen sie, die Kopf schmerzen voller Qual. Manchmal da fühle ich mich als hätte ich einen Kater nach dem anderen. Und dann gibt es wieder diese Augenblicke, Augenblicke wo ich Tränen erbrechen könnte. Ich schaue selbst dabei zu wie mein Alexander mit jedem neuen Schwund an Klarheit ebenfalls mit verschwindet. Ein kleines Stück. Ich würde ihn irgendwann vermissen, obwohl er vor mir stand.
Und gerade heute hatte ich den Kavalier ziehen lassen...mal wieder. "Ich hol nochmal eine neue Pflanzenwasserflasche." Ich hob das grüne Teil in meiner Hand hoch, um Alexander klar zu machen was ich meinte, kam ich gerade nicht auf diesen typischen Begriff. Man verwendete es auf jeden Fall für die künstliche Bewässerung von Pflanzen und Blumen. Es war ein Gefäß mit Griff, einem Hals und einem Brausemund.
"Sind die Hortensien nicht schon zweimal gegossen wurden?" Ich zuckte mit den Schultern, während ich zu dem Schlauch ging, der mir das nötige Wasser geben würde. Ich spürte, das mir irgendetwas fehlte. Mein Blick fiel auf Alexander. Er sah irgendwie anders aus. Nicht so wie sonst. Dabei fehlten mir jegliche Wörter um seinen Zustand zu beschreiben.
"Machst du meine Gießkanne auch gleich nochmal voll?" Ich blinzelte und sah, das mein Ehemann nicht mehr dort stand, wo er gerade noch war. "Was denkst über eine Gießflasche?" Er lächelte mich liebevoll an. Sein Blick war so sanft und gleichzeitig beschützerisch. Es war ein kurzen Moment still.
"Ich frage mich, ob sie sich selbst manchmal zu schwer fühlen und wie es ist, jedes mal seine inneren Werte abzugeben. Wissen sie das sie gebraucht werden? Erkennen sie wenn es bei manch einer Pflanze hoffnungslos ist? Würden sie gerne mal ihren Mund halten? Fühlt sich eine Gießkanne vielleicht wie ein Arzt. Sie erkennen das die Pflanze ohne Regen nicht mehr lange leben könnte und so spenden sie ihr Wasser. Und wenn es so ist, wie fühlt es sich an, als Retter dennoch auf uns Menschen angewiesen zu sein?"
Ich lausche dieser vertrauten Stimme. Sie schenkt mir viel Ruhe, auch wenn ich diese vielleicht nicht nach außen tragen kann. Sein Klang hilft mir. Als ich auf den Schlauch in meiner Hand schaue, runzelte sich gleichzeitig meine Stirn. "Was wollte ich jetzt machen?" In mir herrschte ein einziges Chaos.
Hilfesuchend fand ich seinen Blick, er erreichte mich nicht. Tief in meinem Innersten wusste ich, das er etwas vor mir verbarg. Da ich alles aber nicht ergreifen konnte, ließ ich diesen Gedanken ziehen. Ich wollte hinter her rennen und den Moment nutzen, um klar zu sein und die schwarzen Wolken in meinen Kopf zu durchbrechen. Stattdessen zogen sie sich weiter zu, ich stoppte an einer dunklen Wand. Ich hatte Angst diese Welt hinter dem Schleier zu betreten. Dabei bekam ich gar nicht mit, das ich bereits mitten drin stand.
Wie in einem Film, hörte ich eine Stimme. Sie war nichts mehr ein Hauchen und dennoch drehte ich mich in meinen Kopf zu allen Seiten. Hektisch wollte ich sie finden und fragen, ob sie mein Ruhepol war. Würde sie mich hier heraus holen, wenn ich ihr folgte? Wäre ich dann sicher? Alles in mir drin drehte sich.
Als ich mehrmals blinzelte, sah ich auf unseren Garten. Alexander stand neben mir, seine Hand lag auf meinem Oberarm. "Wollen wir erstmal etwas trinken gehen? Wir haben beide heute noch nicht so viel zu uns genommen." Ich konnte nur nicken und ihm folgen. Sein Gang war trotz Stock unsicher. Ich sollte mir darüber Gedanken machen. Doch es ging nicht. Da war nur ein kurzes Schimmern der Sehnsucht. Vielleicht nach der Stimme? Oder nach Normalität? Selbst das konnte ich nicht mehr unterscheiden.
"Ich hol uns zwei mal etwas aus der Vorratskammer. Holst du schon mal die Gläser heraus?" Verloren stand ich in der Küche, fühlte den Durst auf meiner Zunge. Ich sah mich um, sah auf das rote Getränk. Es stand verlassen neben der Spüle. Alexander hatte es bestimmt nicht gesehen. Sollte ich nicht noch irgendetwas holen?
Meine Hand umgriff das Getränk. Es hatte Zimmertemperatur. Träge schwamm es in der Plastikflasche. Sie hatte einen komischen Verschluss, den ich aber ohne viel Kraftaufwand aufbekam. "Mags, stopp." Noch bevor ich den Durst herunter spülen konnte, hielt mich mein Ehemann auf. Er nahm mir die Flasche aus der Hand.
"Ich habe selbst Spülmittel noch nicht probiert, aber es soll nicht so gut schmecken. Wie wäre es mit leckerer Himbeerbrause?" Er hielt mir eine andere Flasche hin. Die pink rote Flüssigkeit schwabberte freudig vor sich hin, gebremst von dem Glas, welches sie umgab und formte. "Gern." Ich lächelte ihn an, während ich mich setzte. Die Müdigkeit kam im selben Moment. Trotzdem überspülte ich den Durst erstmal. Würde ich im Traum der Stimme wieder begegnen? War es eine Einbildung meiner Verwirrung?
"Möchtest du dich danach hinlegen?" Ich konnte nur nicken, ihm ein kleines lächeln schenken und weiter aus der Flasche trinken. Solange hatte ich keine Brause mehr getrunken. Vergessen war der Geschmack davon, wurde er gerade wieder aufgefrischt, nur für wie lange?
Alexander brachte mich in das Schlafzimmer, wo mich das Bett bereits anlächelte. Es freute sich, genau so wie ich. "Ich bereite währenddessen schon mal das Essen vor. Hast du einen Wunsch?" Ich schüttelte den Kopf. "Bekomm ich einen Kuss?" Es war ein Bedürfnis, welches ich eifach aussprach. Heute war so vieles unklar. Doch das wollte ich. Dringend. Erschien mir dieser Kuss viel wichtiger als alles andere. Mein Mann trat vor mich, er hob sanft mein Kinn an, lehnte sich herunter und ließ unsere Lippen miteinander verschmelzen.
Er küsste mein ganzes Da sein und so gleich auch, all das was schon lange nicht mehr da war. Er küsste die Vergangenheit, die Gegenwart und die Zukunft. Es war das Versprechen, der bedingungslosen Liebe, alles für den anderen zu tun. Es galt für ihn, für mich, für diese Ehe. Ich liebte ihn und ich hoffte, das er dies niemals vergaß.
Ich spürte selbst, wie der Kavalier Zuschauer des Spektakels war, wusste er genau so wenig wie ich, was ich an diesem Tag bereits alles angestellt hatte. Nur er versicherte mir, das Alexander mein ganzes Glück war. Durch ich ihn habe ich mir selbst erlaubt, das Wunder des Lebens vollkommen erfahren zu dürfen. Und die Schönheit, ich schwor es mir, würde ich immer in mir tragen. Wie alles andere, was mit Alexander zu tun hatte. Und das war der Reichtum aller Zeiten, die Liebe.
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Der Weg
FanficMagnus und Alexander, ein glückliches Ehepaar, welches aufgehört hatten die Jahre zu zählen, die sie schon miteinander verbracht hatten. Aber sie fangen das zählen wieder an, als alles unklarer wird... und die schwarzen Wolken dichter werden.