Alexander
Und ich fühle mich wie überfahren, als ich mich an diesen Abend in das Bett lege. Die Erschöpfung, sie bildet die Räder, dich mich förmlich überrollen. Magnus schläft immer noch und so möchte ich diese wenigen Stunden nutzen, um wie ein normaler Mensch zu schlafen. In meinem Kopf war alles so präsent und angsteinflößend. Würde er vielleicht immer wieder diese Gefühlsausbrüche haben? Konnte ich ihn dann auch immer auffangen? Wenn ich nur wüsste wie ich ihm helfen konnte.
Während ich seinen Schlafgeräuschen aufmerksam lauschte und ich den Schmerz in mir wieder verdrängte, wurden meine Augen immer träger. Mein Atem wurde gleichmäßig und so driftete ich in eine Traumwelt ab. Sie war sorglos, schön, vollkommen unberührt.
Der erholsame Schlaf ging so schnell wie er kam. Ich spürte wie die Matratze nachgab, noch mehr fühlte ich allerdings den sofortigen Wärmeverlust, den ich erlitt. Vollkommen müde blickte ich meinem Mann hinter her, der sich leise aus dem Zimmer schlich. Gern würde ich jetzt einfach liegen bleiben und ihn machen lassen. Aber damit kam mein Gewissen alles andere als zu recht. Was ist wenn er irgendetwas anstellte, wovon ich ihn hätte abbringen können?
Meine Füße berührten das kalte Parkett, welches mich etwas aufweckte. Ich fuhr mir über das Gesicht. Der Mond, welcher in aller Fülle zu mir herunter strahlte war beruhigend. Wie ein Pol, der immer seine Ruhe ausstrahlen würde. Zur Uhr sah ich erst gar nicht, wusste ich doch, das es eine unpassende Zeit war um aufzustehen. Dennoch erhob ich mich mit meinen Gehstock und ging dann die Treppen herunter.
Magnus saß im Esszimmer, vor dem Heft welches mit Kreuzworträtseln gefüllt war. "Liebling, alles in Ordnung?" Erschrocken sah er auf. Seine Augen waren noch verquollen, ansonsten erinnerte nichts mehr an den gestrigen Tag. Er hatte so schön angefangen. Aber manchmal da kamen Wendungen, wie eine Strömung die so harmlos aus sah und einen dennoch den sicheren Stand raubte. Man sollte weder Menschen, noch Situationen im Leben unterschätzen. Sechs plus drei ist neun, das gleiche gilt für fünf plus vier. Es gibt nicht immer nur einen Weg und deswegen sollte man die Denkweise anderer Menschen so gut es ging respektieren. Wir leben alle unter dem selben Himmel und haben dennoch andere Horizonte.
"Es ist alles gut. Mir ist nur ein Wort bei dem Rätsel eingefallen." Lächelnd setzte ich mich ihm gegenüber."Hast du die ganze Zeit darüber nachgedacht?" Schüchtern nickte er. Mein Lächeln wurde größer. "Ich wollte dich nicht wecken aber meine Fingerspitzen haben gekribbelt, als es mir endlich eingefallen ist. Ich hatte Angst es zu vergessen bis heute morgen." Von Wort zu Wort und von Silbe zu Silbe wurde seine Stimme leiser, unsicherer. Ich wollte ihn nicht mehr so geknickt sehen. Er sah aus wie eine traurige Blume, welche lange nicht mehr gegossen wurde.
In diesem Augenblick nahm ich mir etwas vor. Ich wollte ihm die schönste Zeit bereiten, die uns beiden noch möglich war. Vielleicht konnte ich ihm nicht mehr alle Wünsche von den Lippen ablesen aber ich konnte dafür sorgen, das er trotzt des Vergessens, dieses Leben noch liebte.
"Ok, dann möchte ich jetzt allerdings mit machen. Welches Wort hast du gefunden?" Die Stunde zwei in der Nacht lebte, während Magnus und ich im Esszimmer mit unseren kuscheligen Decken da saßen. Wir lösten die Rätsel gemeinsam, tranken neben bei Tee und schnabulierten leckere Kekse. Diese hatten wir von Clary geschenkt bekommen. Schon immer war sie unsere Backmeisterin.
"Ozean zwischen Europa und Amerika" las mein Ehemann laut vor. In einem Munde kam von uns beiden "Atlantik." Wie kleine Kinder hingen wir noch ein "Verhext" mit hinten dran, genau so wie ein "Chipsi." Wir lachten in dieser Nacht um die Wette, hielten uns die Bäuche und drückten die kleinsten Tränen heraus. Es war anders, als die Tage zuvor und auch ich spürte einen Hauch von Glück. Vielleicht, ja vielleicht sollten wir der Krankheit gar nicht viel Beachtung schenken. Sondern einfach gegen sie arbeiten. Vielleicht klangen diese Worte auch nur in einem Moment der vollkommenen Freude, nach etwas, was man umsetzen konnte. In ein paar Stunden würde es eventuell wieder anders aussehen. Aber das zählte nicht. Wir mussten in die Momente hinein leben und sie genießen, so gut es eben ging.
Irgendwann wurden die Augen von Magnus immer kleiner und den Stift zu halten fiel im schwer, mit wenig Mühe schaffte ich ihn wieder in das Bett, wo ich ihn einkuschelte. Eine Strähne seines Haares strich ihm sanft von der Stirn, hinter sein Ohr. Sein Gesicht strahlte eine gewisse Zufriedenheit aus und so konnte ich ihn mit einem guten Gewissen schlafen lassen. Ich selbst bereitete schon mal das Frühstück vor.
Als es gegen acht Uhr morgens an der Tür klingelte hatte ich kurz sorge, das er wieder wach geworden ist. Doch ein kurzes lauschen, welches mir nur Stille entgegen brachte, ließ mich etwas aufatmen. Auch ich hatte noch etwas im Sessel des Wohnzimmers geruht. Der Mensch konnte sich an alles gewöhnen. Auch im sitzen zu schlafen ging, solang die Müdigkeit groß genug war.
"Du sahst schon mal besser aus" begrüßte mich meine Enkelin mit glänzender Sorge in den Augen. "Und du sahst schon immer so hübsch aus. Dir steht die Schwangerschaft." Sie fiel mir um den Hals. Ich drückte sie fest. Die Umarmung tat einfach nur gut, genau so wie ihr schweigen. Charlotte war einfach da. Ich konnte die Dankbarkeit nicht in Worte fassen.
"Möchtest du frühstücken? Es ist alles fertig? Dein Opi schläft noch oder eher wieder." Mit einem kleinen Lächeln sah ich auf seinen Platz, als ich an diese Nacht dachte. "Du liebst Opi wirklich sehr, oder?" Meine Mundwinkel hoben sich nur noch mehr. "Wäre meine Liebe ein Meer, es gäbe kein Land mehr." Meine Worte trieften wahrscheinlich schon von den Gefühlen zu meinem Ehemann. Doch ich konnte nichts dafür. Er war und ist und wird immer meine wahre Liebe bleiben. Meine erste und meine letzte.
Charlotte sah mich kurz gerührt an, bevor sie sich auf die Brötchen stürzte. Wir redeten über meinen Urenkel und über die Pläne die sie jetzt hatte, als sie mir die eine Frage doch stellte. "Wie geht es dir damit?" Ich musste tief durch atmen. So als wäre ich ein junger Mann, fuhr ich mir durch die Haare und versuchte alles zusammen zu sammeln, was in den letzten Tagen zerfallen ist.
"Ich versuche gerade dem ganzen Gewusel in mir drin nicht zu viel Platz zu geben. Es gibt Augenblicke da kann ich nach vorne blicken und manchmal da sehe ich nicht mal die Hand vor meinen Gesicht, so dicht sind die Gedanken und Gefühle aneinander gereiht."
Kurz lächelt sie. Ihr Blick ist dabei nach draußen in den Garten gerichtet.
"Weißt du, mir hat mal ein tiefsinniger Mann gesagt, das wir es manchmal so gewohnt sind, den Schmerz und die Traurigkeit aus dem Weg zu gehen. Wir vermeiden, verweigern und verschließen uns davor. Diese niederschmetternde Gefühle schieben wir weg, wollen sie gar nicht sehen. Wir baden in diesem angespannten Zustand bis wir schrumpelig sind. Wissen wir doch gar nicht, das genau diese Angewohnheit uns mehr viel mehr weh tut, jegliche Energie raubt. Sollten wir sie nicht einfach fühlen? Es kann so heilend sein genau diesen Gefühlen zu benennen und ihnen Raum zu geben."
Überrascht sehe ich meine Enkeltochter an. "Egal was du sprichst, dein Herz hört mit. Zitat Ende von Alexander Gideon Lightwood-Bane." Sie reichte mir ihre Hand. Ich legte sie in meine und dachte über meine damaligen Worte nach. Dabei war ich einfach froh, sie hier zu haben.

DU LIEST GERADE
Der Weg
FanficMagnus und Alexander, ein glückliches Ehepaar, welches aufgehört hatten die Jahre zu zählen, die sie schon miteinander verbracht hatten. Aber sie fangen das zählen wieder an, als alles unklarer wird... und die schwarzen Wolken dichter werden.