Pfad

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Alexander

Der alte Heizkörper pumpte heißen Atem in den Raum. Magnus Körper fror mittlerweile in Dauerschleife. Nur nachts zwangen wir das Fenster einen spaltbreit geöffnet zu bleiben. Es war der Klang von Heiß und Kalt welchen ihn in den Schlaf wog. Aber gerade jetzt, wo die herbe Melodie des Gespräches in mein Mark fuhr, fingen meine Hände an zu schwitzen. Ich fixierte die Tischplatte, um nicht in einen Schwindel mitgerissen zu werden.

Die Übelkeit in mir ernährte sich durch die Unsicherheit in mir. Das allgemeine Unwohlsein umhüllte mich mit all meinen Geistern. Die Verantwortung die ich gerade trug, war eine Hantel die viel zu schwer für mich war. Es hing so viel an meiner Antwort. Die Frage war nur, was würden meine Söhne tun, wenn ich ihnen offen und ehrlich gestand, das ich nicht mehr konnte? Ich würde Magnus niemals hergeben, weder an eine Betreuung, noch an eine Einrichtung. Allein dieser Spaziergang konnte das weiterschreiten in diesen Nebel bedeuten. Bis lang fühlte er sich hier noch sicher und dieses Gefühl wollte ich noch so lange erhalten, wie möglich.

Irgendwann wäre es dann da, dieses süße Nichts, welches so fahl schmecken würde. Es wäre Gift für mich. Allein die Bürde dieser Gedanken lechze nach dem zerfall meines eigenes da sein. Umso wichtiger war es für mich, keine Sekunde mehr von meinem Ehemann getrennt zu sein.

"Papa?" Blinzelnd sah ich in das Gesicht von Max. Bestürzt über meine Stille blickte er in meine Seele. Ich habe so viel zu sagen, doch der Moment der Ruhe kam so unerwartet, da waren meine Gedanken bereits weiter gezogen. Der Lärm meiner tiefsitzenden schmerzen, lässt mich nicht zu Wort kommen. War alles betäubt von dem weiter sinkenden Wissen, das ich an irgendeinem Tag versagen würde. Kläglich würde ich fallen.

"Wir haben in den letzten Tagen oft zusammen gesessen" Mein Jüngster knetete seine Hände, als er sprach, "Wir waren naiv, haben nicht daran gedacht das ihr beide uns nicht bis zum Schluss begleitet, sondern wir euch." Es war nichts was man verhindern konnte, genau so wenig wie die erneuten Wasserperlen in meinen Augen, bildeten sie den Ozean der mittlerweile beständig die Sonne spiegelte. Zumindest glitzerte er für Magnus.

"Ihr seid unsere Eltern und damit hat unser Weg auch bei euch begonnen. Und ihr habt uns wahrlich perfekt auf diesen Pfad vorbereitet. Ihr seid die besten Eltern, die wir uns nur wünschen konnten und ich bin diesem verfluchten Leben so unheimlich dankbar, das wir bei euch gelandet sind." Es ist das Herz, was mir gerade ein Lächeln in das Gesicht malt. Durch das heben meiner Mundwinkel, löst sich eine Träne aus meinen Augenwinkel. Sie tauft den Frieden der in mir aufkommt.

"Und genau deswegen werden wir, eure Wünsche so gut es geht erfüllen. Solang es machbar ist und wenn wir irgendwann eures Wohlergehen nicht mehr gewährleisten können, erst dann sprechen wir über die weiteren Schritte."

Mit wackeligen Beinen stehe ich auf und gehe kurz in die Küche, um dort die Kaffeedose aus dem hintersten Schrank hervor zu holen. Ich muss die gesagten Worte von meinen Söhnen verarbeiten und gleichzeitig erkennen, das jetzt viele Karten offen gelegt werden müssen.

Als ich wieder sitze versuche ich mich zu sammeln und die Splitter meines Herzens wieder zusammen zu setzen. "Euer Vater und ich haben bereist vieles im voraus geklärt." Es ist komisch, die Gefühle von der damaligen, nächtlichen Unterhaltung wieder aufleben zu lassen. Sind sie jetzt fast noch klarer in mir drin.

"Wir wollen beide in kein Krankenhaus mehr. Die Behandlungen über uns ergehen zu lassen, erscheint uns kräftezehrender als manch andere Vorstellungen. Die letzten Tage, Jahre wollen wir gemeinsam verbringen. Dabei zählt nur, das wir nicht getrennt werden möchten. Geht der eine wohin, wird der andere folgen. Wenn ich irgendwann ebenfalls nicht mehr in der Lage bin zu entscheiden, dann habt ihr beide die Vollmacht über uns."

Es war wahrscheinlich das schwierigste Gespräch, was man mit seinen Kindern führen musste. Da war selbst das Aufklärungsgespräch in der Pubertät etwas simples. Nur hatte ich immer gehofft das Magnus und ich es gemeinsam führen können. Aber die gesagten Wörter, würden ihm vermutlich nicht gut tun und so übernahm ich die Grundlagen, welche wir besprochen hatten.

"Wenn es dem Ende zu geht, wollen wir keine lebensverlängerten Maßnahmen. Wir hatten immer gehofft, das ihr unseren letzten Wünschen nach kommen werdet, dabei solltet ihr auch wissen, das wir euch immer lieben werden. Wenn ihr von unseren Weg abweichen müsst, dann werden wir das verstehen. Ihr sollt nie Schuldgefühle verspüren. Max? Rafael? Ihr seid unser ganzer Stolz, es wird sich nicht ändern."

Auch wenn dieser Augenblick für viele vollkommen ernst erscheinen musste, so lag eine gewisse Sorglosigkeit in der Luft. Es war nicht leicht, aber auch nicht erdrückend. "Mags und ich wollen das wir das unvermeidbare so unbeschwert wie möglich angehen." Beide schienen in ihren Gedanken zu hängen. Ich schob ihnen die Dose herüber. "Da ist die Vorsorgevollmacht drin und auch unser Testament." Rafael drehte die Dose in seinen Händen.

"Wir dachten das wir euch und vor allem dich im Haushalt etwas unterstützen. Jeden Tag kommt jemand vorbei und wenn ihr mal eure Ruhe haben wollt, dann haut uns aus dem Haus raus. Mit unseren Chefs ist alles geklärt. Und wenn auch du mal in Ruhe schlafen möchtest, dann passen wir auf." Dankend nicke ich ihnen zu. Eine unsichtbare Last wurde mir gerade von den Schultern genommen.

"Solang es hier im Haus alles noch möglich ist, bleiben wir gemeinsam hier." Ich wusste das sie auf das Thema Pflegeheim anspielten. Doch dazu wollte ich mich noch nicht äußern. Meine ganze eigene Konzentration zerfiel mit einem Wimpernschlag. Max schien es ähnlich zu gehen. "Hast du deinen Augenringen eigentlich schon Namen gegeben?"

Mit einem grinsen sieht er mich an. "Nein, aber das sollte ich vielleicht gleich überlegen." Als ich die Haustür höre, schaue ich sofort auf. Magnus kommt mit einem strahlen auf mich zu und stellt sich neben mich. Sanft kämmt er mein Haar. "Na ihr. Wie war der Spaziergang?" Charlie und Anni betreten ebenfalls den Raum. "Schön. Ich habe Witze erzählt."

Interessiert sehe ich zu meinem Ehemann auf. Er schien ausgeglichen zu sein. Zumindest gerade in diesem Augenblick. "Darf ich ihn auch wissen?" Im Augenwinkel sehe ich wie Charlotte sich auf den Schoß ihres Vaters setzt. Mit Bedacht beobachtet sie Magnus. So als ob sie jedes kleinste Merkmal an ihm sich speichern wollte.

"Wenn einem die dritten Zähne in die Nudeln fallen, hat man da Zahnpasta?" Amüsiert sehe ich dabei zu, wie sich voller Fröhlichkeit das Gesicht meines Ehemanns verzieht. "Oder ich hab noch einen.. warum hat der Kapitän das U-Boot versenkt?" Ich zucke mit den Schultern, bevor es bei mir klick macht. Das war der Witz in der Zeitung von letzter Woche. "Es war Tag der offenen Tür." Das Kichern von Anni und unserer Enkeltochter lässt uns beide ziemlich strahlen. Es ist mal eine kleine Abwechslung zu allem was heute besprochen wurde.

Gemeinsam essen wir noch Abendbrot bevor die vier beschließen für heute nach Hause zu fahren. Morgen wollte Charlie vorbei schauen, worüber ich mich schon jetzt freute. Gerade als sie mich umarmte, fragte sie mich "Wo ist der Ritter der mich vor alle dem beschützt?" Ich strich meiner Enkelin eine Strähne hinter das Ohr. "Warte nicht auf den Ritter, sondern auf ein Schwert." Wir blickten uns in die Augen. "Und dein Schwert, es bebt in dir. Es wird mit dir alles überstehen." Gemeinsam lächeln wir. "Das Herz." Mit einem kleinen lächeln zwinkerte ich ihr zu.

Magnus und ich gingen noch einmal in das Wohnzimmer und bevor ich mich hinsetzen konnte, sah ich seinen Blick. "Was?" Hilflos zuckte er mit seinen Schultern. "Es fühlt sich gerade alles so unheimlich schön und friedlich an." Er streckte eine Hand nach mir aus.

Der Mond hatte bereits seinen Platz am Himmelsgewandt gefunden, als mein Ehemann und ich zu einer unbekannten Melodie anfingen uns hin und her zu schunkeln. "Alexander, ich habe durch dich gelernt, jeden einzelne Atemzug zu lieben, den ich tat und immer noch tue." Mit voller Sorgfalt fuhr ich über mit meinem Daumen über den wertvollsten Besitz in meinem Leben. Ich streichelte seine Haut und genoss sogleich das Gefühl der Vollkommenheit.

Als ich unsere Münder miteinander verband, wusste ich das ich davon nie genug bekommen würde. Ich trank Mondlicht von seinen Lippen. Betrunken von dem Anmut dieses Kusses, sehnte ich mich sogleich danach, nie mehr damit aufzuhören.

Der WegWo Geschichten leben. Entdecke jetzt