Alexander
Mit offenen Augen sah ich hoch, zur Decke, betrachtete das reine weiß, welches im Schatten des Mondes vollkommen unterging. Im gleichen Atemzug stellte ich mir den Sternenhimmel vor. Dieser bedeckte so eben unseren Planeten mit Frieden und grenzenloser Stille. Sie schien manchmal so angsteinflößend sein, das man sich unter der Bettdecke verkroch. Rational wussten wir, das uns dieser warm haltende Stoff vor nichts schütze. Und doch schien es die Monster unter dem Bett fern zu halten. Solange bis sie in unsere Gedanken krochen und etwas ähnliches wie Bedrückung auslösten. Tief in mir wusste ich, das sie es nicht mit Absicht taten. Doch die Enge der Angst, hatte sich damals in meiner Jugend wie ein Gürtel um meine Lunge gelegt, war jeder Atemzug schmerzhafter als der andere. Die Frage, ob meine Gedanken falsch waren und ob ich damit nicht gerade jemand verletzte, schien in mir sich nicht auflösen zu wollen. War es doch die Sonne, die mir zu sah, was ich machte und der Mond, der all meine Geheimnisse kannte.
"Welche Stunde lebt gerade?" An der Decke zeichnete eine unsichtbare Hand, kleine Bildchen. Es waren die Helden der Nacht und die Erinnerungen, welche wir vor längst zurück liegenden Momenten geschaffen hatten. Uns war damals nicht bewusst, das dies einst die Augenblicke werden zu denen wir aufschauen werden.
In einer stürmischen Nacht, als Rafael und Max gerade in unseren Armen ihren wohlverdienten Schlaf fanden und wir ihnen dabei seelenvergnügt zu sahen, erschufen wir die Vorstellung, das jede Stunde die schlägt, eine Person ist. Ein Charakter, etwas was nach Zuneigung und Beachtung verlangte, ohne das wir Menschen es mitbekamen. Jedem war die Uhrzeit bekannt, doch nicht die Bedeutung dahinter. Null Uhr war die Zerrissenheit, zwischen Freude eines Neubeginns und die Träne des Abschiedes von einem weiteren vergangenen Tag in seinem Leben. Dennoch überwiegt die lächelnde Seite, sollte man nie traurig sein, das etwas vorbei ist. Man sollte lächeln das es überhaupt passiert ist.
Die Stunden lebten neben uns her, mit jeder Vergänglichkeit und jedem Neu aufleben der Zeit. Es gab nicht viel was mächtiger als die Zeit war. Doch die Liebe gehörte dazu. "Viertel drei." Magnus ergriff meine Hand, zog sie sacht zu sich herüber. Nachdenklich fing er an mit meinem Ehering zu spielen. "Über was denkst du nach?" Zaghaft, so als müsste er erst schauen, ob ich gefährlich sei, schlich er sich näher an mich heran. Ich musste nicht in das vertraute Gesicht schauen, um zu wissen was er wollte. Mein rechten Arm streckte ich nach ihm aus, war das die stille Einladung sich an mir zu verstecken. Gleichmäßig strich sein warmer Atem immer wieder über meinen Hals. Seine Nase war berührte meine Haut und ich kostete sein süßes schniefen in meinen Ohren. Blind zeichnete ich seine Wirbelsäule nach, massierte ohne jeglichen Druck einige empfindliche Punkte. Das seufzen, welches über seine Lippen sich in die Freiheit kämpfte, war das schmunzeln meiner eigenen Lippen.
"Ich frage mich ob die Sonne vielleicht gar nicht strahlt." Mein Mann öffnete seine Augen. Diese trafen auf meine. Eine Flut voller Vertrauen brach über die Landschaft meiner Seele herein, brachte das ruhige Meer in mir zu Tuben. Die Wellen waren hoch, überragten sich selbst. Nur Magnus und ich sahen die Zuneigung, welche sich wie ein Schwarm aus Fischen hindurch bewegte und den Strudel aus endloser Geborgenheit bildeten. Dieser zog uns beide weiter hinab, an den Grund, wo uns keiner fand und wo selbst der schwerste Stein niemals hingelangen konnte. Wir sahen dabei zu wie die Luftblasen, die wir regelmäßig aus unseren Körpern heraus ließen, sich an die Oberfläche kämpften. Es war die Freiheit, ohne über Grenzen zu gehen und die Tiefe der Liebe, ohne zu ersticken. Wir ertranken gnadenlos und lächelten dabei um die Wette.
"Vielleicht sind ihre Strahlen auch Wasserfälle, die durch Licht gebildet werden. Es ist eher ein fließen statt ein strahlen und dabei schien der Ablauf wie die Uhrzeit immer zu wiederholen. An jedem neuen Tag." Ich suchte nach weiteren Worten, fand ich sie in meinen Herzen, wo sie immer her kamen. Unausgesprochenes blieb nie im Hals stecken, sondern im Herzen, verstopfte so die Gefäße und raubte uns so den Atem. An ungesagtem erstickte man irgendwann. "Ein Feuerball um den wir uns drehen und der seine Energie in form von Gefälle zu uns herunter schickt. Manchmal vielleicht genau in unsere Herzen." Magnus legte seine Hand genau über den schlagenden Muskel, welcher unaufhörlich gegen meine Rippen hämmerte. Ich legte meine eigenen Hand genau über seine, verbündete das was zusammen gehörte.
"Wurde schon eine neue Stunde geboren?" Ich wollte nicht auf die Uhr sehen, war ich zu sehr eingebettet von der Zufriedenheit. "Vielleicht ja, vielleicht nein. Aber ein Augenblick der nur uns zwei gehört." Ich traute mich kaum zu atmen, so sehr war ich fasziniert von der Stimmung, welche das Ticken der Uhr mit einher brachte. Da gab es nur zwei alte Männer die sich ansahen, als seien sie ein Wunder. Ein Wunder welches kein Ende finden würde, von dem nur die beiden wussten. Ein Augenblick der nur von der Liebe geschrieben werden konnte.
Der Zeiger drehte sich oft, schien er unermüdlich zu sein. Musste ihm nicht irgendwann mal schwindelig werden? Verlor er vielleicht auch mal das Ziel vor den Augen? Würde er vielleicht gerne mal stehen bleiben und durch atmen, auf den Weg zurück schauen, den er bis jetzt gegangen ist? Fragen die ich mir in einem Supermarkt stellte, während ich einen Einkaufskorb vor mir her schob. Magnus lief vor mir, vollkommen darauf konzentriert, was die Regale so her gaben. Im Restaurant konnte er sich nie entscheiden, aber hier zwischen all den Produkten, die vielleicht nur ein kleiner Bestandteil einer Mahlzeit waren, fühlte ich mich verloren. Mein Interesse lag eher auf den Gang meines Mannes und die suchenden Augen, welche immer wieder auf meine trafen. Vielleicht auch auf die anderen Kunden, welche fast schon hektisch durch die Regale liefen, mit dem Ziel endlich den Wocheneinkauf hinter sich zu bringen.
Mit Bedacht sah ich auf meine Liebe. Er schien heute etwas Abwesend, fast schon unkonzentriert und gleichzeitig angestrengt die Konzentration zu behalten. Der Schlafmangel machte sich anscheinend bemerkbar und ohne Vorwarnung, prallte die Wellen der Nacht gegen den Felsen der Sorge. Ich spürte wie der Ozean in mir erzitterte vor so viel Gewalt. War es doch allein die Person vor mir, die alles austrocknen und brechen könnte.
Mit der Zeit fielen einem die kleinsten Veränderungen auf, ohne wirkliche Anstrengung. Etwas vor den anderen zu verstecken war zwecklos. Die Unruhe die mit dem Zwiespalt seiner Konzentration mit einher ging, ließ uns den Obststand zweimal umrunden. Als er selbst bemerkte, sah er suchend nach mir. Ich war ihm gefolgt, ohne ihm etwas zu sagen. Entschuldigend sah er zu mir, ich zwinkerte ihm nur zu. Nur wir beide dachten gerade an die nie Enden wollenden Shopping Touren. Wortlos, verstanden wir uns.
An der Kasse packte ich die Einkäufe sorgfältig zusammen, mit einem Ohr war ich bei dem kleinen Smalltalk zwischen meinem Mann und der Verkäuferin. "Das sieht ganz nach einer Reise- Gemüse-Pfanne aus." Magnus lächelte sie an. "Ja das soll es werden." Die junge Frau nannte ihm die Summe der gekauften Sachen. Langsam klappte er das Portmonee auf. Ein kurzer Seitenblick zu mir reichte. Ich trat nah an ihn heran und schnappte mir dann die Geldbörse. Noch nie hatte er es gemocht zu bezahlen. Auch wenn es mir heute anders erschien. Aber die Müdigkeit hatte uns beide wahrscheinlich voll im Griff.
Mit einem Taxi fuhren wir nach Hause. Schon seit geraumer Zeit hatten wir den Motor des Autos in Ruhe gelassen. Ich hatte das Fahren eher zu den Dingen gelegt, die einst mal waren. Allein wegen meiner Hüfte und des Knies ging es nicht mehr und auch Magnus war der Straßenverkehr einfach zu unsicher. Sich fahren zu lassen hatte auch etwas. Beim Auto fahren, da zog nicht nur die Zeit an einem vorbei sondern auch die Welt und oft beobachtete ich dieses Spektakel gespannt. Immer wissend, das er mich dabei musterte. Wir würden uns nie aus den Augen verlieren.

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Der Weg
Hayran KurguMagnus und Alexander, ein glückliches Ehepaar, welches aufgehört hatten die Jahre zu zählen, die sie schon miteinander verbracht hatten. Aber sie fangen das zählen wieder an, als alles unklarer wird... und die schwarzen Wolken dichter werden.