Asphalt

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Alexander

Mit einer krakeligen Schrift unterschrieb ich den Antrag für zwei Plätze in einem Altersheim. Es war etwas, was wir beide nirgends notiert hatten. Doch wenn einer ging, dann folgte der andere. Dabei spielte es keine Rolle wohin. Hauptsache gemeinsam.

Ich blickte auf meine Unterschrift, die schon mal besser aussah. Sie ist mit mir zusammen gealtert und jetzt war es irgendwie offiziell. Wir würden irgendwann, wenn wir Plätze bekommen würden, Ausziehen. An einen Ort, an dem wir auch unsere letzte Ruhe fanden. Die Gefühle? Sie waren gemischt.

Es nahm etwas den Druck, der mich bis an den Rand der Erschöpfung trieb. Ich konnte aufatmen. Die Entscheidung war gefallen und ich war froh, das ich sie treffen konnte. Auch wenn das alles auch pure Melancholie mit sich zog, als ich mich in unserem Wohnzimmer umsah.

Zwei Kirschfarbene Ohrensessel, gepaart mit einem Sofa in der selben Farbe fand in der linken Hälfte des Raumes Platz. Genau so wie ein kleiner eckiger Tisch. Wir hatten viel freie Fläche die wir immer für das Tanzen auserwählt hatten. An den Wänden standen dunkle Regale mit Büchern und DVDs. Genau so wie ein Plattenspieler.

Gegenüber den Sesseln befand sich eine weiße Bilderwand mit all den Erinnerungen, die wir bisher festgehalten hatten. Voller Wehmut sah ich jetzt auf diese. Was für ein schönes Leben wir doch geführt hatten.

Max saß auf der Armlehne des Sessels, wo ich Platz genommen hatte. "Wie geht es dir damit?" Ich zuckte mit den Schultern. Bevor ich mich anlehnte, legte ich den Kugelschreiber neben meine Unterschrift nieder. Auch Max hatte mit unterschrieben.

"Das Haus war über vierzig Jahre unser zu Hause. Wir haben euch hier groß gezogen. Geburtstage und Hochzeitstage gefeiert. Weihnachten haben wir es geschmückt. Dabei war dein Vater voll dabei. Nur das ab schmücken, mochte er überhaupt nicht. Meist habe ich das dann nachts gemacht. Wie ein Wichtel, hatte er immer gesagt."

Mich durchströmten Erinnerungen wie ein mitreißender Bach. Es war verrückt wie viel Liebe und Geborgenheit diese Wände eingefangen hatten. Waren sie doch immer die stummen Zeugen, unseres Lebens.

"Ich glaube der Auszug wird sehr schmerzhaft. Aber auch das werden wir schon überstehen." Vielleicht mit einem gebrochenen Herzen. Aber das hatte schon jetzt einen Knacks weg. Und deswegen würde es gar nicht mehr so sehr weh tun, wenn es vollständig brach. Das war zumindest meine Vorstellung.

Ich konnte zu diesem Zeitpunkt nicht wissen, das es mir schon vorher heraus gerissen wurde. "Was machst du jetzt mit Will?" Meine Gedanken waren so schwer wie Blei. Ich wollte mich davon ablenken. Max hatte nicht mehr viel zu dem Thema gesagt. Rafael und ich hatten ihn auch nicht gedrängt. Er musste selbst wissen, was für ihn richtig war.

Mittlerweile spürte auch Anni das etwas mit ihrem Mann nicht stimmte. Doch mein Sohn schob es immer wieder auf die derzeitige Situation. Es nahm ihn mit und das verstand seine Frau. "Wenn ich das wüsste. Wie damals ziehe ich mich zurück und mache nichts. Ich fühle mich unfähig. Dabei heißt es doch immer, das man aus seinen Fehlern lernt."

Väterlich legte ich meine Hand auf sein Knie. "Ich glaube den schlimmsten Fehler den du jetzt tun kannst, ist es nicht zu versuchen. Selbst wenn es schief geht. Du hast es versucht. Ängste sind Diebe. Du darfst nicht zu lassen, das sie dir die Liebe nehmen." Er ergriff meine Hand, drückte sie kurz.

Das Schellen der Türklingel riss uns beide aus diesem Moment. "Ich geh schon, bleib du hier." Ich flüsterte ein kleines 'Danke', bevor ich mich wieder den Antrag zu wendete. Mehrmals musste ich die ganzen Worte lesen. Immer wieder sind sie vor meinem Auge verschwommen, haben es mir unmöglich gemacht sie zu verstehen.

Der WegWo Geschichten leben. Entdecke jetzt