Nord

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Alexander

"..kannst du bitte nach oben schauen?" Mit meinem Zeigefinger deutete ich ihm die Richtung an, die ich gern hätte. Magnus kam meiner Bitte sofort nach, während sein abgestumpfter Blick, mir sorgen bereitete. Eigentlich sollte ich mittlerweile jegliche solcher Situation mit der Gewalt von Resignation betrachten, doch es ging nicht. Immer wieder hatte es etwas unangenehmes, wenn er etwas weiteres aus seinem Kopf verbannte.

Heute wusste er nichts mehr mit einem Rasierer anzufangen. Genau so wenig wie mit einer Zahnbürste. Genau deswegen übernehme ich heute die kleinen alltäglichen Aufgaben in seinem Leben.

Charlotte würde gleich vorbei kommen, durch meine schlaflose Nacht hatte ich den Tisch für das Frühstück bereits fertig gedeckt. Der schneeweiße Vollmond diente in den spätesten und sogleich frühesten Stunden eines Tages, als Tagebuch. Ich hatte am Fenster gesessen, ihm beim schlafen zugesehen und die prägendsten Gedanken einfach stumm gedacht, mit der Gewissheit das der Wächter der Nacht sie hören würde.

"Fertig" sage ich mit dem letzten streifen des Rasierers über seine sensible Haut am Hals. Mittlerweile hatte ich selbst scharfe Messer nicht mehr in einem Schieber in der Küche. Sie waren ebenfalls hinter der Tür des Abstellraums. Auch der Rasierer hatte ich eingeschlossen. Ich vertraute dem Ungewissen nicht, dem Nebel in ihm drin. Seine Sicherheit lag nun in meinen Händen.

"Danke." Er lächelte mir ehrlich entgegen. Magnus war still, fast wortkarg ist er in diesen Tag gestartet. Der Arzt meinte, das die Betroffenen ruhiger wurden, wenn ihnen die Wörter einfach nicht mehr einfielen, die sie aussprechen wollten. War das gerade der Fall? Oder war er selbst einfach in Gedanken? Würde es Zeiten geben in denen wir vielleicht gar nicht mehr sprachen? Auch in mir ruhte heute alles, konnte ich genau so wenig etwas klares aussprechen. Aber das war ok. Nicht nur durch Worte konnte man in Kontakt bleiben. Sondern auch durch Gesten, Nähe und Blicken.

Statt zu reden sahen wir uns also einfach an, blickten in die Augen des anderen und fühlten. Ja wir fühlten die Unsicherheit, etwas falsch zu machen, die Liebe und das Vertrauen. Aber auch das alles an den Kräften zog. Die Fußspuren auf unserem Wege wurden immer unscheinbarer, fingen wir vielleicht bald an zu gleiten? Würde ich mich lieber mit ihm immer wieder neu verlaufen, als ohne ihn den richtigen Weg zu gehen.

Die Falten um seinen Augen, die durch Lachen entstanden sind, trage auch ich. Seine fast bernsteinfunkelnden Augen ruhten auf mir. Die Stirn war entspannt. Durch seinen linken Mundwinkel fuhr ein kurzes zucken, erinnerte es mich an ein lächeln der schüchternen Art. Er ist Kunst. Die gräulichen Haare waren noch nicht gemacht, lagen meine Talente wo anders.

Dennoch fuhr ich ihm in Zeitlupe durch die dichten Strähnen, ließ zu das sie meinen Handfläche kitzelten und mich pure Weichheit umspielte. Magnus senkte seine Augenlider, warfen seine Wimpern schatten auf den Wangenknochen. Ich ergötzte mich an diesem Anblick von Zufriedenheit und fand die Ruhe in mir.

Der Sekundenzeiger bewegte sich ständig, fand ich gerade das Gefühl wieder, das Magnus immer in mir lebte. So wie die ersten Tage wie des Sommers. Sein Atem prallt auf meine Lippen, schmeckt es nach prickelnder Zuversicht. All das was er ist, ist alles was ich will. Gestern, heute, morgen, immer, zu jeder Jahreszeit. Ich bin heillos betrunken von ihm. Erzähl ich ihm gerade das, was ich mir selbst verschweige?

Die Klingel der Haustür schrillt unnatürlich laut in meinen Ohren. So als würde ich meine Lippen zum ersten auf seine Haut legen, berühre ich sanft seine Stirn. Dabei kennt mein Mund jeden Zentimeter seines Körpers. Und dennoch kribbelt alles in mir. Werde ich ihn immer wie das teuerste Porzellan auf diesem Planeten behandeln. Dabei sind meine weißen Samthandschuh, die mittlerweile rauen Fingerspitzen, welche nur durch die liebende Seele vor Sinnlichkeit beben. Mit Anmut streife ich über seine Wange, genieße den Augenblick des bloßen Seins.

Der WegWo Geschichten leben. Entdecke jetzt