Schnuppe

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Magnus

Ich weiß nicht welche Zeit gerade am Tag lebt. Ich weiß auch nicht was wir heute noch vor haben. Nur gerade weiß ich das mein Mann Alexander und ich gemeinsam vor dem Spiegel im Bad stehen. In meiner Hand halte ich einen Pinsel und in der anderen irgendeine Creme. Abwartend sieht er mich an. Um den Spiegel herum sind auf kleinen Klebezetteln kleine Gedankenstützen geschrieben. Sie erinnerten mich an die Stützen eines Kinderfahrrades, damit die Kleinen erstmal ein Gefühl für das Rad fahren bekamen.

"Wir haben Rafael das Fahrrad fahren im Park gelernt oder?" In meinen Kopf gab es plötzlich soviel und dennoch hatte ich noch nicht gelernt zu unterscheiden, was Wirklichkeit und was eine Utopie ist oder eine Verwirrung wie die Schlagsahne, welche ich für was auch immer verwenden wollte. "Ja. Wir hatten gerade Max bekommen. Du hattest ihn von der Kita abgeholt. An dem Tag war er vollkommen aufgeregt. Er wollte doch unbedingt noch vor der Schule das Fahrrad fahren lernen." Dieser Moment erschien vollkommen klar in meinen Kopf, durchdrang genau diese vergangene Zeit die Wolken, die sich in mir niedergelassen hatten mit einer Kraft purer Elternliebe. "Ich hatte Max in der Trage und du musstest ganze zwei runden lang, das Fahrrad noch festhalten. Irgendwann hast du ohne das er es wusste los gelassen."

Alexander scheint selbst in Erinnerungen zu schwelgen. "Er fuhr bereits allein, als er mich bat nur neben ihn zu laufen. Als er das bemerkte stürzte er." Meine Mundwinkel hoben sich nur noch mehr. "Du hast ihn aufgefangen. Den Gras Fleck haben wir aber nie wieder aus dem Shirt bekommen. Ihm tat das so leid, das er mitten in der Nacht eines seiner Patches über den Fleck gebügelt hat. Was war es denn gleich..." Ich kramte in meinen Kopf jegliche Schubladen durch und brachte so vielleicht nur noch mehr durcheinander. Aber ich wollte selbst darauf kommen. "Ein Dino" flüsterte ich eher leise für mich. Durch den Spiegel hindurch nickte mir mein Ehemann zu. Sein Blick sagte mir mehr als Worte es je tun könnten.

Ohne auf etwas weiteres zu warten, fing ich an die Creme in mein Gesicht zu verteilen. Dabei ließ ich nur die Augen aus. Alexander tat es mir gleich. Bevor ich jedoch zum Rasierer greifen konnte, machte er den Pinsel in meiner Hand nass. Er führte meine Hand über sein Gesicht. Mit Faszination betrachtete ich, wie die Creme aufschäumte. "Auf der Stirn brauchte man keine Creme oder?" Als mir mein eigener Fehler klar wurde, suchte Alexander sofort meine Augen. "Ich bin mir ganz sicher, das sie etwas pflegendes für die Haut hat. Auch für die Stirn." Er zwinkerte mir zu, wusste nicht, wie sehr mir seine kleinen Worte halfen mich nicht so unterbemittelt zu fühlen.

"Am besten wir lassen sie für diese Zeit einwirken. Und wer weiß, vielleicht sind wir gerade auf das neueste Anti Age Pflegeprodukt gestoßen." Ich konnte mir ein kichern nicht verkneifen. "Rasierpaste?" Mein Ehemann zuckte amüsiert die Schultern. "Natürlich müssten wir es dann noch umbenennen." Damit überreichte er mir den Rasier. Wir verzogen unseres Gesicht und vor allem Alec schien Grimassen allein für mich zu ziehen. Immer wieder musste ich meine Tätigkeit wegen meinem Lachen unterbrechen.

Es gab ein Augenblick wo ich inne hielt. Der Moment, wo er selbst vollkommen konzentriert war. Er ließ es zu, das ich ihn ganz für mich allein betrachten konnte. In meinen klarsten und lichtesten Funken, da war er so präsent in meinen Kopf. Klang doch die Frage, wie es ihm im Moment ging, wie eine Beleidigung in meinen Ohren. Immer wieder musste er mit ansehen, wie meine Gehirnzellen bereitwillig irgendetwas opferten. Eine Erinnerung, ein Stück der Verbindung, Minuten in denen ich sagte das ich sie nie vergessen würde.

Ich führte ein Kabarett auf, jeden Tag aufs neue. Dabei schien er sich immer mit zwei Persönlichkeiten befassen zu müssen. Ich bekam es mit, wenn der Schleier sich ausbreitete. Es war erst schmerzhaft, dann fühlte ich mich schwerelos, nur um wenig später den Zug der kalten Luft um mich zu spüren. Es war ein Schauspiel der Gefühle. Die Hauptrolle spielte die Machtlosigkeit und sie war wirklich überzeugend.

"Fertig." Er grinste mich durch den Spiegel an, das spürte ich deutlich. Besorgt verzog er sein Gesicht, als er mein starren bemerkte. Ich sah ihn weiterhin an, konnte meinen Blick einfach nicht von meinem Mann lösen. "Mags, ist alles in Ordnung?" Mir fielen Worte ein, Worte die den Klang von Heimat für mich bedeuteten. "Ich wollte dich einfach nur nochmal ansehen." Er musste es mal zu mir gesagt haben, anders ging es nicht. Mit diesem Satz verband ich vieles. Aber das höchste der Gefühle war das vertrauen, welches in einem Fass schon fast überschwappte.

Alexander drehte sich zu mir. Kurz senkte ich meine Lider, nur um wenig später ihn wieder anzusehen. In seinen blauen Augen sah ich eine Veränderung. Sie wurden matt, bereiteten sich auf etwas vor, was wir beide nicht in der Hand hatten. "Warum sind wir eigentlich im Bad?" Stumm hielt er den Rasierer nach oben. Verwirrt zog ich die Augenbrauen nach oben. "Wenn du dich rasierst, warum bin ich dann mit dabei?"

Auf seinen rosafarbenen Lippen legte sich ein trauriges Lächeln. So schmerzvoll, das sich mein schlagender Muskel zusammen zog. Es krampfte förmlich, vermittelte mir das etwas nicht stimmte und dennoch konnte ich nicht sagen was. Mit meinem Mann schien auch irgendetwas zu passieren. Er wischte das traurige wie ein Filter weg und lächelte mich einfach weiter an. "Wir haben uns beide rasiert."

Auch wenn ich nicht klar war in diesem Augenblick, mein Unterbewusstsein sagte mir, das er schon immer ein guter Schauspieler war. Ich wusste nichts mehr mit dem Gegenstand in meiner Hand anzufangen. Sanft, so als wäre ich aus Glas legte Alexander seine Finger unter mein Kinn, hob meinen Kopf. Unwiderruflich sah ich ihm in die Augen, welche ich so liebte. Sie waren das erste was mir aufgefallen ist an ihm. Das und seine lockere, sogleich liebenswerte Art.

Mit dem Gegenstand in meiner Hand fuhr er über ein paar auserwählte Stellen in meinem Gesicht. Ich schloss die Augen, das Gefühl von der ungeteilten Aufmerksamkeit seiner seits, hatte etwas ganz beruhigendes auf mich. Ich kam zur Ruhe und zeitgleich spürte ich wie der Nebel von dannen zog.

"Danke" flüstere ich ganz leise. Er unterbricht seine Aufgabe. Ich spüre seinen heißen Atem, dieser prallt auf meine empfindliche Haut, löst ein unbekanntes kribbeln aus. Mein Blut in meinen Venen kocht. Ein ganz feines Gefühl durchzog mich, umrahmte meine Seele mit einem Regenbogen. Er trug die prächtigsten Farben. Ich wollte diesen Augenblick nie aufgeben. Noch immer streichelten meine Wimpern meine Wangen. "Alexander?" Blind suchte ich seine Hand. sie fanden sich. "Ich bin hier." Ein beruhigendes Lächeln schlich sich auf meinen Mund, der zu nichts anderes mehr im Stande war.

Der WegWo Geschichten leben. Entdecke jetzt