Stern

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Magnus

Mit betrübten Blick sehe ich auf das immer weniger werdende Antlitz der Sonne. Der Tag schien in den letzten Stunden zu tanzen. Ich war nicht bereit ihn gehen zu lassen, hatte die Nacht mittlerweile eine Angst einflößendes Wirkung auf mich. Ich ersehnte einen neuen Tag, die frühen Stunden und die Mittagszeit, welche mir den erholsamen Schlaf schenkte, den mir die Nacht raubte.

Ich spürte das etwas in mir gewaltig schief lief. Ich fühlte die Veränderungen in meinen Körper, vor allem in meinem Kopf, der sich immer schwerer anfühlte. Manchmal, da war es besser und manchmal da merkte ich es ganz deutlich. Ich konnte nur nicht begreifen was es war. Auch konnte ich den Umstand nicht erklären, welcher mich nicht schlafen ließ. Ich wusste nur das etwas kommen würde. Irgendetwas worauf keiner vorbereitet war und dieses Gefühl, war schrecklich. Ich wartete auf etwas, was unvermeidbar war und dennoch wollte ich davor flüchten. Doch die Fesseln von diesem Etwas zogen sich immer fester um mich herum. Dieses mal befürchtete ich, könnte mir nicht mal Alexander helfen.

Mir war bewusst das ein Arzt mir helfen könnte. Aber ein Arzt war die Person, die dem ganzen vielleicht einen Namen geben würde. Ein Arzt machte es zur Realität. Jetzt, ohne jegliche Untersuchungen konnte ich immer noch sagen, das ich mir alles einbildete. Vielleicht auch das es eine Phase war.

Seit geraumer Zeit wusch ich mir die Hände, jetzt setzte ich mich mit nassen Händen auf den Klodeckel. Ich hatte einfach nur Angst und diese übernahm meinen Körper, als sei ich ein Roboter. Die Zukunft, sie war immer wie eine fremde Person auf die ich mich freute, sie kennen zu lernen. Momentan schien sie nichts zu sein, als dunkle gefallene Wolken. Eine Wand auf der ich von Tag zu Tag zu ging, nicht wissend was mich erwartete.

Ich bekam nicht mit wie ich anfing zu zittern. Es war nur kurz und von wenig Bedeutung. Ich sah auf meine Hände und fragte mich im selben Moment noch, warum sie noch nass waren. Zögernd griff ich nach dem Handtuch und stand mit wackligen Knien auf. Die Müdigkeit saß tief, so tief, das ich sie nicht für den Schlaf nutzen konnte.

Morgen würden wir die ganze Familie wieder sehen und Charlottes Geburtstag feiern. Ich freute mich darauf, vielleicht half es mir ja. In diesem Augenblick konnte ich noch nicht ahnen, wie gravierend dieser Tag für mich werden würde.

Leise ging ich in das Wohnzimmer. Alexander saß im Sessel. Seine Beine hatte er überschlagen, die Augen geschlossen, die Hände in seinem Schoß gefallen. Die gleichmäßigen Hebungen und Senkungen seines Oberkörpers zeigte mir das er eingeschlafen war.

Trotz das er einen leichten Schlaf hatte, konnte er überall einschlafen. Meistens wirklich im Sitzen. Deswegen wunderte es mich nicht, das er sich wenigstens der Müdigkeit hingegeben hat. Ich hielt ihn durch diese nicht greifbare und dennoch massive Unruhe mit wach. Er wusste nicht, wie dankbar ich ihm war, das er mich nicht allein durch das ganze Haus wandeln ließ. Ständig war er an meiner Seite und ermunterte mich mit witzigen Anekdoten unserer gemeinsamen Zeit. Wir lachten den Mond an und genossen die Stille der funkelnden Sterne. Es war unsere Zweisamkeit, die alles irgendwie erträglicher machte. Und trotzdem verfluchte ich das namenlose, das es meinen Mann mit herein zog.

Alexander würde mich jetzt wahrscheinlich an die Zeit erinnern als wir Chloe, unseres kleine Mädchen, verloren haben. Während die Trauer meinen Körper bis zur Erschöpfung trieb und ich den gedankenlosen Schlaf als Zuflucht vor dem Alltag nahm, konnte Alexander genau wegen des Schmerzes nicht schlafen. Tagelang döste er nur und wenn er mal schlief, dann wachte er schweißgebadet auf. Ich war mit ihm so gut es ging wach geblieben und wir beiden hatten in das Gebirge des Verlustes durch wandert. Die Schürfwunden der Seele war der Klang, unseres viel zu stark schlagenden Herzen. Das Gebirge war tief und nur zu oft, war Alexander mein Fallschirm, wenn ich nicht mehr die Kraft hatte mich zu halten.

Damals hatten wir uns wenig Zeit der Erholung geschenkt. Wir hatten uns in die Arbeit gestürzt. So lange bis wir beide mit Grippe im Bett lagen. Erst dann hatten wir verstanden, das alles Zeit brauchte. Der Mut und die Kraft schenkten wir uns gegenseitig. In diesen Monaten hatte ich wirklich kurz das Bedenken, das Chloe uns beide irgendwie mitnahm. Ich hatte die Sorge, das ich Alexander verlor, das wir uns auseinander lebten, das wir diesen Verlust nicht als Paar sondern nur allein schafften. Etwas, was niemals passiert ist. Zum Glück. Mein Leben wäre ohne ihn nicht so schön geworden. Trotz aller Ernsthaftigkeit, die er als Staatsanwalt ausstrahlte, war er das Glitzer in meinem Leben. Der Komiker und vielleicht auch mein Therapeut. So viele Dinge hatte er unbewusst getan. Dinge, die mich wie ein Papierflieger auf unbekannte Reisen geschickt hatten. Ich glitt durch die Höhen und streifte die Wolken voller Glück. Manchmal da war ich auch nur das Schiff aus Papier, in seinem großen Ozean. Solange bis ich wie die Titanic ertrank.

"Deine Blicke werde ich immer auf mich spüren und sie werden immer wie ein Leuchtturm sein." Mit geschlossenen Augen streckte er die Hand nach mir aus. "Ich wollte dich nicht wecken." Unerwartet bebte meine Stimme, als ich die Worte aussprach. Anlass genug, damit Alexander seine Augen auf schlug. "Was ist los?" Besorgt sah er mich an. Mit seinen Fingern deutete er mir an, zu ihm zu kommen. Ohne Widerstand tat ich es. Die Sehnsucht nach seiner Nähe war plötzlich unnormal stark.

"Setz dich." Mit hochgezogenen Augenbrauen sah ich auf meinen Ehemann. "Alexander das haben wir ewig nicht mehr gemacht. Dafür sind wir viel zu alt." Abwartend sah er mich an und schließlich setzte ich mich vorsichtig auf sein Schoß. Seine Arme umschlangen mich, als wäre ich ein Teddy Bär. "Es gibt kein zu Alt. Außerdem werde ich meinen Mann wohl immer halten können. Das ist meine Aufgabe." Mein eigener Arm legte sich um seinen Nacken und Schulter. "Ich sehe da dennoch viel Eigennutz für dich." Mit einem lächeln sah er leicht zu mir herauf. "Ich liebe es, dich einfach ganz nah bei mir zu haben."

Damit holte er sein Taschentuch heraus und strich mir über die Wangen. Erst jetzt spürte ich, das sie feucht waren. "Und jetzt sag mir was los ist, Mags. Ich bin für dich da." Mit diesen Worten löste er irgendetwas in mir aus. Ich vergrub mein Gesicht in seine Halsbeuge. Beruhigend strich er mir über meinen Rücken, als die Tränen mir das Gefühl gaben zu ersticken. "Ich wollte mich nicht streiten..und ich will dich nicht verlieren."

Ich wusste nicht wo dieser Gefühlsausbruch herkam, aber er erschien mir lange überfällig. "Du wirst mich nie verlieren. Ich werde immer bei dir sein." Alexander hielt mich ganz fest und so gab ich mich diesen ganzen verwirrenden Gefühlen hin.

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