Alexander
Mit einem Lächeln sehe ich auf meinen Mann. Die schwarzen Knöpfe seines Hemdes, welche den dünnen Bordeaux farbenen Stoff zusammen hielten, waren falsch zusammen geknöpft. Die Seiten des Hemdes haben eine unterschiedliche Länge. "Ist das jetzt in Mode?" Ich deute auf sein Kleidungsstück. Magnus sah an sich herab und musste ebenfalls lächeln. "Ja, wusstest du das noch nicht?" Mit meinem Gehstock ging ich auf ihn. "Nein aber das sollte dich nicht mehr verwundern. Du warst schon immer der modebewusste bei uns." Der angewärmte Handgriff meines Stockes glitt unweigerlich in seine Hand, hielt er ihn für mich fest, so wie er auch mich immer oben gehalten hatte. Zu jeder Zeit. War er doch die Person, die mir gezeigt hat, das nie etwas falsch mit mir war.
Mit ruhigen Händen löste ich die Knöpfe aus der Lasche und verband sie dann wieder mit ihrer kleinen Löchern, zu denen sie eigentlich gehörten. Ich richtete seinen Kragen. Meine Fingerspitzen waren bedeckt mit Sanftheit als ich über den Stoff strich. Die Wimpern meiner Augen warfen einen kaum merklichen Schatten auf meine Wangen, als ich meine Augenlider senkte, um die Haut unter den Stoff besser spüren zu können. Im Geheimen genoss ich die kurze Stille, die ich aus diesem Augenblick heraus filterte. War die Nacht doch wieder von der Unruhe regiert wurden. Magnus war durch das Haus gewandelt, immer in Begleitung mit mir. Nie würde ich ihn allein lassen. Nie könnte ich ohne seine Schlafgeräusche einschlafen.
"Du bist schön, Alexander." Meine Augenlider flatterten, sahen zu meinem Liebsten herab, erkannten das schiefe Lächeln. Ich ergriff meinen Gehstock und ließ unbemerkt seine Hand in meine gleiten. Meine Lippen berührten die Haut seines Handrückens. Es war ein Schmetterlingskuss, entpuppte er sich doch nur bei Magnus zu einem schönen Falter voller Gefühl und Hoffnung. "Etwas was ich nur zurück geben kann, mein Schöner." Es erinnerte mich an die Anfangszeit. Nachdem ich vor siebenundsechzig Jahren vor seiner Tür stand, war das ein Name den er von mir bekam. Wir gingen auf drei Dates, bis wir es einfach ganz offiziell machten. Seitdem schaue ich erst auf ihn, meine Kinder und Enkelkinder und erst dann komm ich. Meine Familie ist mir wichtiger als alles was ich sonst habe.
Unser Leben ist ein Bilderbuch, welches auch Seiten der grauen Farbe schmückte. Manche waren dunkler, für kurze und überraschende Momente. Andere waren heller, standen sie für die Dinge, für die wir beide Zeit und vor allem einander gebraucht hatten. Dinge über die wir bis heute nur in den dunkelsten Nächsten Sprache verleihen und die wir mit keinem anderen teilen. Nicht mal mit unserer eigenen Familie.
"Du solltest dich nochmal hinlegen. Deine Augen verraten mir, das du müde bist. Ruh dich aus, Mags." Noch einmal hinterließ ich eine Lippenberührung auf seinen Handrücken bevor ich ihn in unser Schlafzimmer schickte. "Weckst du mich?" Mit einem sanften Lächeln nickte ich, wussten wir beide doch, das ich ihn so lange schlafen lassen würde, bis er von selbst wieder wach wird.
Das leise Klicken unserer Haustür ließ mich inne halten. Mein Herz schlug ungewöhnlich schnell. Die Schritte auf dem Parkett waren leise, fast unmerklich. "Papa?" flüsterte eine bekannte Stimme. Tief stieß ich all die angesammelte Luft in meiner Lunge heraus. Ich hatte gar nicht mitbekommen wie ich meinen Atem gestoppt hatte. "Mein Sohn." Am Geländer festhaltend ging ich die Treppe herunter. Im Flur stand er unsicher und immer noch fragend da. Als er mich erblickte, schlich sich ein beruhigtes Lächeln auf die Lippen. Es hielt nur kurz an. Die Mundwinkel sanken kraftlos Richtung Erdboden. Ratlos fuhr er sich über sein Gesicht und dann durch die verwuschelten Haare.
"Wollen wir uns mit einem Kaffee heraus setzen?" Erschöpft nickte Rafael. "Und versuch gar nicht erst zu Lächeln. Ich kaufe es dir nicht ab." Abstützend auf meinen Gehstock ging ich in die Küche und goss meinem Sohn und mir einen Kaffee auf. Nur langsam, fast schon wie in Trance kam mir Rafael hinter her. War das setzen auf die Bank eher ein plumpsen seines Körpers. Die Tassen stellte ich auf den runden Tisch vor uns. Es war nicht schwer zu erraten warum er hier war. Dabei wusste er nicht wie viel es mir bedeutete, das er trotz eines Erwachsenen alters unseren Rat noch suchte. Wir schienen dahin gehend alles richtig gemacht zu haben. Unsere Kinder hatten viele Freiheiten. Von Anfang an waren wir offen und von Anfang haben wir ihnen gesagt, das sie mit allem zu uns kommen könnten. Genau das taten sie. Es war ein kleines großes Geschenk.
Seine Tasse war halbvoll als er anfing zu reden. Das schwarze Lebenselixier, welches in meiner Tasse wie ein unberührter Teich vor sich her schwamm. Ich genoss ihn gerne eher lauwarm, während Rafael ihn fast schon heiß trinken konnte. "Ich werde Opa." Ein Mundwinkel zog sich nach oben, als ich daran dachte, wie es Rafael und Rosalie uns verkündet hatten. Es war an einem Sonntag. Wir waren bei ihnen zu Besuch. Magnus und ich hatten keinerlei Ahnung, was auf uns zu kam als wir uns für ein Familienfoto auf das Sofa setzen sollten. Gemeinsam saßen wir da und hatten der Kamera entgegen gelächelt. Rosalie hatte von drei herunter gezählt, danach kamen die Worte "Ich bin schwanger." Diesen Augenblick werde ich vermutlich nicht mehr vergessen.
"Ich hatte es nicht so früh erwartet. Ich habe vermutlich nicht mal richtig gehandelt." Ich streckte meine langen Beine aus und überschlug sie. "Du weißt das es für keine Situation ein richtig oder falsch gibt? Es ist nur eine Illusion, die wir Menschen haben. Entweder richtig oder falsch. So ist es aber nicht. Solange wir menschlich handeln kann dir niemand etwas vorwerfen. Jeder fühlt, denkt und reagiert auf unterschiedlicher Weise." Vorsichtig führte ich die Tasse an meine Lippen, der Schluck Kaffee verteilte sich in meinem Mund, regte die Geschmacksknospen an und wärmte meine Kehle. "Ich habe ihr einfach gesagt, das wir das schon schaffen und danach bin ich gegangen. Erst in mein Arbeitszimmer und dann zu euch. Ich hätte sie in den Arm nehmen sollen." So wie Magnus und ich es gestern bei Charlotte gemacht hatten, griff ich nach seiner Hand und drückte sie kurz.
"Die Umarmung kannst du zum Glück nachholen. Hoffentlich gleich nach diesem Gespräch." Wieder nahm ich einen Schluck. Dabei schweiften meine Gedanken kurz zu Magnus ab, der hoffentlich seelenruhig schlief. "Hattet ihr damals keine Angst etwas falsch zu machen in dieser neuen Rolle?" In meinen Kopf blätterte ich in dem Buch meines Lebens zurück. "Ich erinnere mich an den Moment als wir nach Hause gekommen sind. Dein Vater schmiedete schon Pläne, was er für die Kleine kaufen könnte. Bis er irgendwann, mitten im Satz stoppte." Tief atmete ich ein und aus.
"Weißt du es gibt einen Begriff dafür, wenn man seine Eltern verlor. Waise. Ebenfalls ein Wort, welches den Zustand beschrieb, wenn man den Ehepartner verlor. Witwer. Aber es gibt keinen genauen Begriff dafür, wenn man sein Kind verliert. Verwaiste Eltern vielleicht. Doch das benutzt kaum einer. Keiner kann diesen Schmerz in Worte fassen. Nicht in ein einziges." Rafael sah mich von der Seite an. Es war eins der Kapitel, die Magnus und ich niemals vorgelesen hatten.
"Papa?" Mit meinen Unterbewusstsein fing ich an mit meinen Ehering zu spielen. "Als dein Vater und ich entschlossen haben, Eltern zu werden, waren wir vollkommen aufgeregt. Wir lernten die kleine Chloe kennen. Sie war zwei Jahre als sie sich langsam an uns gewöhnen sollte. Nach einem halben Jahr, in dem wir sie schon in unseres Herz geschlossen hatten, sollte sie für immer bei uns einziehen. Aber das war nicht der Plan von Chloe. Sie entschloss nur in unsere Herzen einzuziehen. Zu früh trat sie den Weg in den Himmel an. Unser kleines Mädchen." Die Sonne warf hämisch ihre Strahlen auf mich. Sah ich sie gerade so klar vor meinen inneren Auge, als würde sie jetzt vor mir stehen. Mit ihren schönen grünen Augen und dem lauten, fröhlichen Lachen.
"Wir haben uns in dieser Zeit kurz voneinander entfernt gehabt. Aber wir haben zusammen gehalten. Und danach kamst du. Das größte Geschenk und dennoch immer mit Sorge behaftet. Magnus und ich erinnerten uns an diesem Abend genau daran und beschlossen einfach die coolsten Großväter zu werden, die wir je sein könnten. Wir haben nicht in Frage gestellt, was wir vermasseln könnten. Sondern die Zeit in vollsten Zügen genossen." Ich richtete meinen Blick zu meinem Sohn. "Rafael, schon als Vater bist du spitze und auch als Opa wirst du zauberhaft sein. Dein Enkel wird dich lieben und du wirst genau wie bei deinen Kindern, die Liebe, den Trost und die Lebenskraft vermitteln. Sei einfach für Charlotte da. Mehr gibt es da nicht zu tun." Ich schenkte ihm ein aufrichtiges Lächeln.
Magnus trat hinaus und setzte sich neben Rafael. Unser Kind war in unserer Mitte. Dort wo es immer ein Platz hatte. "Und vergiss keinen Tag wie wundervoll du bist."
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Der Weg
FanfictionMagnus und Alexander, ein glückliches Ehepaar, welches aufgehört hatten die Jahre zu zählen, die sie schon miteinander verbracht hatten. Aber sie fangen das zählen wieder an, als alles unklarer wird... und die schwarzen Wolken dichter werden.