Abbiegungen

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Alexander

Mit einem warmen Lächeln sehe ich Magnus dabei zu wie er den Tee zubereitet. Dabei vergisst er den Teebeutel in das heiße Wasser hinein zu tun, welches bereits wartet den Geschmack von grünen Tee anzunehmen. Es erfreut sich auf die Verfärbung der Durchsichtigkeit und das erwärmen des Körpers. Vor allem Magnus scheint in den letzten Tagen sich immer wieder dem frieren hinzugeben. Eine normale Veränderung des Alters.

Der neongelbe Klebezettel herinnert Magnus daran, das er den Teebeutel in das Wasser hinein geben muss und so sehe ich ihm einfach wieder dabei zu. Wir beide scheinen unseres Beste zu geben, das nicht allzu viel an die Oberfläche gelangt. Es ist wie ein elend langes Luftanhalten, nur um sich nicht an dem Salzwasser zu verschlucken. Ich wusste nur nicht mehr wie lange wir diesen Zustand noch aushielten. Immer wieder spürte ich den seelischen Rückzug von ihm und immer wieder sah ich dabei zu, wie sein Blick verschleiert wurde, nur um wenig später wieder aufzuklaren. Nichts dagegen tun zu können war wie eine lebenslängliche Haftstrafe. Ich saß hinter Gittern während die Brandung Magnus immer weiter mit in das offene mehr zog. Dabei war ich der Rettungsreifen, den ich nicht werfen konnte.

"Ich würde mich gern noch schnell rasieren gehen." Ohne weiter darauf einzugehen schnappte ich mir seine Hand. Auf dem Weg zum Bad gingen wir an dem Kalender vorbei, welcher neben der Tür zur Küche hing. An diesem stoppte mein Ehemann. Mit einem Gefühl des Scheiterns sah ich wieder diesen betrübten Blick, welche die Lücken der Erinnerungen perfekt symbolisierten. Er runzelte seine Stirn. "Wer wird übermorgen fünfundsechzig Jahre?" Ich schluckte, den Schmerz und dem komischen Gefühl von allein sein herunter, wie den Speichel des Körpers. Das traurige Lächeln setzte ich mit einer Träne gleich, welche sich immer weiter in mir ansammelten. Der Staudamm würde irgendwann brechen. Ich konnte die Risse bereits spüren.

"Wir haben vor fünfundsechzig Jahren geheiratet. Soll ich dir ein paar Fotos zeigen?" Begeisternd nickte er und so ging es statt in das Bad in unser Wohnzimmer, wo sich die guten alten Fotobücher aufhielten. Ich platzierte ihn auf dem Sofa und abwartend sah er mich an. Schon in der nächsten Minute könnte er vergessen, was er sehen wollte. Deswegen beeilte ich mich. Neben ihm nahm ich Platz, legte das Buch auf sein Schoß und ganz von allein klappte er es auf.

"Unsere Hochzeit war damals nicht geplant. Ich hatte in unseren früheren Wohnung einen kleinen Unfall. Mir ging es die ganzen Tage schon nicht so gut. Du hast persönlich bei meinem Chef angerufen und mich krank gemeldet. Aber ich wollte dir auch etwas Arbeit abnehmen. Mein Kreislauf hat das anders gesehen." Magnus fuhr über die geschwungene Schrift. Die Buchstaben bildeten das Wort 'Hochzeitstag'. "Ich bin in der Küche zusammen geklappt. Natürlich musste ich so doof fallen, das ich mir mein Bein brach. Im Krankenhaus lag ich Stunden auf dieser Liege. Du hast mich keine Sekunde aus den Augen gelassen."

Ich erinnerte mich daran, als sei es erst gestern gewesen. Ein milchiger Schimmer legte sich über diese Polaroid Fotos in meinem Kopf. Mir wurde klar, das er seine ganz eigenen Augenblicke nicht mehr sehen konnte. Zumindest nicht in diesen Minuten. "Wir hatten erst vor kurzen unseren zwei Jähriges Jubiläum. Die Notfallaufnahme füllte sich immer weiter und so mussten wir nur noch länger warten. Am Abend bekam ich einen Gips und Medikamente gegen meine Erkältung. Durch dich und diese Stunden auf der Liege fühlte ich mich tatsächlich ziemlich erholt. Mit Unterarmstützen humpelte ich aus diesem Krankenhaus heraus. Du wolltest uns nach Hause fahren aber dort sollten wir erst Stunden später ankommen. Zu erst hast du das Auto vor dem Standesamt geparkt." Ich sah auf unsere Eheringe. Sie waren schlicht, nur ein goldener Reif der unsere endlose Liebe zum Ausdruck bringen sollte.

"Du hast mich einfach so gefragt, ob wir heiraten wollen. Jetzt gleich." Meine Hand suchte seine, er ließ es zu und sah statt den Fotos mich an. "Bevor ich es mir überhaupt erdenken konnte, sagte ich ja. Wir gingen in das nächstgelegene Schmuckgeschäft. Das waren die einzigen Ringe die sofort gepasst hatten. Die Gravur wurde in einer halben Stunde erledigt und so ging es vollkommen fertig, in Jeans und einem einfachen Shirt zum Standesamt zurück."

Ich fuhr über seinen angewärmten Ring. "Sie hatten zum Glück genau einen einzigen Termin frei. Kurz darauf waren wir verheiratet. Wir gingen noch etwas leckeres Essen und schliefen dann zu Hause auch relativ schnell ein. Die ganzen Papiere die man für eine Hochzeit brauchte, hatten wir damals noch im Auto zusammen, da wir zu diesem Zeitpunkt umgezogen sind. Es hat einfach alles gepasst." Magnus sah mich lächelnd an, wusste ich in diesem Moment das er wieder Herr seiner Sinne war. "Wir wollten die Hochzeit mit Freunde und Familie nachholen" flüsterte er leise, erfüllte mein ganzes Da sein mit neuer Wärme. Wärme welcher Der Tee nie erschaffen könnte. "Aber das haben wir nie getan, oder?" Ich schüttelte sacht den Kopf. Tief atmete ich durch. Es war ein Wechselbad der Gefühle. Die Freude über diese simple Erinnerung war größer als alles andere gerade. Konnte sie sogar für einen kurzen Moment das Loch der Sorge schließen. Wie eine kaputte Jeans die gepatcht wurde.

"Nein. Nur zu unserem ersten Hochzeitstag entführte ich dich zu einem Candle-Light-Dinner. Dort holten wir auch unseren Tanz nach. Es war wirklich der erste als Eheleute." Magnus Blick wanderte zu dem Plattenspieler. "Können wir tanzen?" Ich ließ meinen Stock neben mir liegen. Etwas schwerfällig erhob ich mich und bot meinem Ehemann meine Hand an. Ohne zu zögern ergriff er diese. Ich stellte unser Lied ein, wartete auf die ersten Töne der allzu bekannten Melodie. Der Titel war die Ironie, die nur durch das Leben selbst geschaffen werden konnte.

"Unforgettable" von Nat King Cole erreichte unsere Ohren. Magnus lächelte mich an, seine Augen suchten meine. Schunkelnd bewegten wir uns auf der selben Stelle. Sein Kopf bettete er auf meinen Oberköper. Mein Kinn legte ich mit der größten Vorsicht auf seinen Haar ab. Die feinen Härchen kitzelten meine Nase. Ich drückte meinen Mann so nah es ging an mich heran, verschmolzen wir zu der Einheit, welche wir immer sein würden.

"Das wird mein Herz nie vergessen." Schnell blinzelte ich die Tränen, welche aus tiefster Berührung bestanden weg. Magnus sah zu mir auf. "Dich werd ich nicht vergessen." Kurz streifte er meine Lippen. Es war nicht ausreichend und so stoppte ich unsere Bewegungen, nur um wenig später meinen Mund vollends auf seinen zu legen. Ihm entwich ein seufzen. Dieser Kuss fühlte sich an, wie unser aller erster. Er besiegelte das gesagte, schenkte Hoffnung und raubte die Luft zum Atmen.

Der WegWo Geschichten leben. Entdecke jetzt