eine Utopie von bergauf

266 46 24
                                    

Alexander

Das große Fenster in unserem Schlafzimmer stand einen Spalt offen, ließ etwas der kühlen Luft von außen hinein. Ich inhalierte den Sauerstoff, verschluckte ich mich fast an den Gedanken des Tages. Die Helden der Nacht waren kaum zu sehen, schienen sie vielleicht heute ebenfalls keine Lust zu haben, die Dunkelheit zu erleuchten. Die Müdigkeit hatte ich irgendwo liegen gelassen, zu wach war ich, um überhaupt an den Schlaf zu denken.

Der sichelförmige Mond war heute so unvollendet, man sah es ihm deutlich an und dennoch war er gerade der Anker, an dem ich mich hangelte. Hinter mir schlief mein Ehemann friedlich. Für ihn war dieser Tag wohl ziemlich aufregend. So aufregend, das heute die erste Nacht zu seien schien, wo er seinen erholsamen Schlaf fand. Ich gönnte es ihm von ganzen Herzen.

"Sorgen sie dafür, das er sich gebraucht fühlt.." Die Worte des Arztes hallten in meinem Kopf, als wäre dieser ein Gebirge, in dem er hinein geschrien hatte. Er sorgte dafür das alles gesagte schallte, so laut, so deutlich. Es wurde nicht leiser, von Minute zu Minute eher lauter. Mir war wieder schlecht. Das Bedürfnis mich zu übergeben war so groß, das ich diesem ungehindert im Bad nachgab. Damit seilte ich mich vom Mond ab, der nächste halt wurde das kühle Wasser welches ich mir in das Gesicht spritzte bevor ich mich auf dem Klodeckel setzte. Entkräftet stützte ich meine Ellenbogen auf meine Knie. Meine Händen hielten mein feuchtes Gesicht. Ich brauchte Magnus in meinem Leben, vor ein paar Wochen hatte das noch gereicht. jetzt musste ich ihm auf ganz anderer Weise deutlich machen, das er sich auch so fühlte.

Der Weg der vor uns lag, war verschleiert durch gefallene Wolken und dennoch schien mir das Ende fast gewiss. Sekunden würden uns das nehmen, was uns Jahre gaben. Irgendwann würde er mich nicht mehr erkennen, irgendwann wäre es das letzte mal das er meinen Namen so liebevoll aussprach, irgendwann wäre es das letzte mal wo er mich an sah als wäre ich der einzige Mann für ihn auf dieser Welt. Ja.. irgendwann würde der Vorhang fallen.

Ich versprach mir in diesem Augenblick der Einsamkeit selbst, das Magnus und ich immer miteinander verbunden wären. Schon immer hatten wir den Regen gebogen und dieses mal würden wir vielleicht auch das Beste draus machen. Es ist unser Leben und dieses würden wir bis zum Ende mit Lachen, Liebe und Zuneigung füllen.

In meine Erinnerung kam das Buch "Der Vorleser". Dort beschrieb man diese Krankheit wie schwarze Wolken, die sich immer weiter zu zogen. Vielleicht mussten Magnus und ich einfach unsere Wunderkerzen anzünden, um diese zu durchbrechen. Ganz tief in meinem Herzen wusste ich, das allein Magnus und ich bereits diese Wunderkerzen waren. Wir mussten nur noch lernen zu leuchten. Aufgeben würden wir nicht.

Wahrscheinlich lachte mich gerade diese Krankheit aus, doch ich war noch nie ein Mensch der sofort aufgab. Zu neugierig war ich, was passierte, wenn man weiter machte.

Wieder im Schlafzimmer legte ich mich zu meinem Ehemann. Er lag auf seiner Schlafseite, dabei gab er seine unverkennbaren Geräusche von sich. Vorsichtig, ohne ihn aufzuwecken, legte ich mich zu ihm, kuschelte mich wie damals, ganz nah an ihn und schließe meine Augen. Allein sein Geruch und die gleichmäßigen Atemzüge von ihm, lassen mich Morpheus umarmen.

Durch das gleichmäßige streicheln meines Armes, lasse ich den Gott der Träume weiter ziehen und erblicke dafür mein ganz persönlichen Traummann, welche für mich sogar die Realität bedeutete. "Ich liebe es dir beim schlafen zu zu sehen." Und plötzlich bekamen diese Bedeutung noch viel mehr Bedeutung. Schließlich könnte ich sie zum letzten mal hören. Vielleicht weiß er morgen früh gar nicht mehr, das er es geliebt hat mir beim schlafen zu zusehen.

Nur schwer kann ich mich an das Kämpfen erinnern und so lächle ich ihn an. "Warum?" Seine Fingerkuppen erkunden mein Gesicht, fahren über jede Kontur, lassen nichts aus. Ich fühle mich wie eine Muse, welche von ihrem größten Künstler geküsst wird. Dabei berühren sich nicht unsere Lippen sondern die Seelen. So fein wie die Flügel eines Schmetterlings. Ich genieße es, bade in dem Gefühl von Normalität. Mein Atem stockt als das funkeln seiner Augen meine erreichen. "Weil du dabei so sinnlich aussiehst, das das Wort Frieden eine vollkommen neue Bedeutung bekommt. Jeder Krieg der in mir ausbricht, würde durch dieses Antlitz geschlichtet werden." Wahrscheinlich waren wir nie so unvollkommen wie jetzt und dennoch war genau jetzt, hier in der Sekunde der Augenblick, wo alles so schön erstrahlte. Die schönsten Farben, die lustigsten Momente und die schönste Natur war nichts im Vergleich zu dem was gerade mit uns beiden passierte.

"Du bist einfach wundervoll. Ein Segen des Himmels. So inbrünstig mit deinem ganzen Da sein. Erfüllst die leerste Seele und gabst mir ein Ort voller Herzensgüte." Meine Hand legte sich beschützend auf seine Wange. Seine Wangen schminkten sich mit dem Rouge der Verlegenheit. "Alexander, ich möchte das du nie deine Zuversicht verlierst. In Ordnung?" Er liebkoste meine Hand mit seinen Lippen. "In Ordnung, Mags. Und jetzt komm her." Ich öffnete meine Arme und wie zwei junge schwerverliebte Männer, legte er sich in meine Arme. Wir hielten uns gegenseitig wie auch die Flamme den Heißluftballon oben hielt. Jeden Balast warfen wir in dieser Stunde von uns und flogen ein einziges mal über dem Meer des unvermeidbaren.

Dem Schleier des Verwirrend gaben wir keine Stimme, war alles was gerade zählte unsere schlagende Herzen. Nebeneinander, füreinander, miteinander. In einem Takt, zu einem Rhythmus und dennoch so unterschiedlich. Wir gaben die Verantwortung kurz ab. Es war so ein Augenblick, der einem vermitteln könnte das alles in Ordnung war. So ein Augenblick, wo unsere Geschichte begonnen hatte. Wo die lila Wolken unser Himmelszelt bildeten.

Das knurren seines Magens riss mich aus diesem Flug der Schwerelosigkeit. War das Gefühl, so leicht wie eine Feder zu sein, gerade noch eine passende Beschreibung, fühlte ich mich jetzt wieder verantwortlich für alles, was er nicht mehr lenken konnte.

"Entschuldige." Sachte schüttelte ich den Kopf. "Es gibt nichts zu entschuldigen." Ich küsste sein Haar, zog seinen Geruch in meine Nase. "Was hältst du davon wenn ich das Frühstück vorbereite und du dich währenddessen fertig machst." Er lächelte mich an. "Das klingt wundervoll." Unsere Lippen verbanden sich zu einem kurzen Kuss bevor wir uns lösten.

Mit einem kleinen Lächeln machte ich unser Frühstück fertig. Ich fühlte mich nicht sicher. Die nächste Backpfeife könnte bereits auf mich warten. Dennoch versuchte ich das alles gerade zu genießen. Dr. Garroway hatte mir erklärt, das der Zustand tagesabhängig sein wird. Und vielleicht hatten wir beide heute mal einen guten Tag.

"Das duftet herrlich." Ich sah Magnus dabei zu wie er den Geruch von frischen Brötchen tief einatmete. "Als würde ich es gerade zum ersten mal riechen, so fühlt es sich gerade an. Dabei scheint mein inneres genau zu wissen, das das nicht er Fall ist." Mein Mann trat an mich heran und küsste meine Schulter. Vielleicht würde uns das alles nochmal ein Stück näher bringen. "Vielleicht ist es aufregend, manches nochmal neu zu erfahren." Ich lächelte ihn an. Bereits in ein paar Minuten könnte alles anders aussehen.

Der WegWo Geschichten leben. Entdecke jetzt