Alexander
Der Himmel wachte gerade auf, verabschiedete die Dunkelheit und die Helden der Nacht, welche viele als Sterne bezeichneten. Die letzten Umhänge wurden abgelegt und die Sonne kletterte die Himmelsleiter empor, hinauf zu ihrem höchsten Aussichtspunkt. Sie brannte für uns und ich dankte es ihr. Der Wind welcher mir durch das offene Fenster strich, veranlasste das meine Härchen sich aufstellten und fast den letzten Schlafsand aus meinen müden Augen trieben. Der neue Tag kam überraschend schnell. Der fehlende Schlaf war mir nicht anzusehen und dennoch spürte ich ihn in meiner linken Hüfte und auch das Knie badete in Schmerz. Es war nichts, womit ich nicht klar kam.
"Entschuldige" flüsterte eine von schlafbelegte Stimme hinter mir. Ich drehte mich zu meinem Mann um. "Wir hatten schon schlaflosere Nächte als diese." Nur zu gern erinnerte ich mich an die erste Zeit als frisch gebackene Eltern. Rafael hatte oft mit Bauchschmerzen in der Nacht zu kämpfen. Die überfüllten Wartezimmern bei den verschiedensten Kinderärzten nahmen wir irgendwann mit Humor und dennoch konnte uns keiner sagen, warum es unserem kleinen Racker in der nacht nicht gut ging. Ein halbes Jahr legten Magnus und ich Nachtschichten ein. Wir liefen herum wie wahr gewordene Zombies. Solange bis Rafael keine Beschwerden mehr hatte. Irgendwann entdeckte er die Faszination von der Nacht, welche sich in ihrer schönsten Pracht durch sein Fenster schmuggelte. Die Sterne gaben ihm ein Stück Identität und so wurden Magnus und ich durch einen wachen kleinen Jungen wach gehalten, der nur mit uns zusammen die Schönheit erkunden wollte.
Mittlerweile war das Haus wieder ruhig und die Gedanken des Lebens hielten mich wach. Mein Ehemann schlief immer wie ein Stein und genau deswegen war es für ihn etwas vollkommen neues, das er nicht gut geschlafen hat. Durch meinen leichten Schlaf, der ebenfalls mit unserem ersten Kind einzog, war auch ich die meiste Zeit dieser Nacht wach. "Da hast du auch wieder recht." Ich schenkte ihm ein sanftes Lächeln, pustete die schuldbedeckten Gedanken weg und erschuf ein Grinsen auf seinen Lippen. "Dein Lächeln ist immer noch so schrecklich ansteckend." Ich legte eine nachdenkliche Miene auf mein Gesicht. "Wo habe ich nochmal das Warn Schild hingetan?" Leise lachend schüttelte er den Kopf und drehte sich dann von mir weg, um in die Küche zu gehen. "Mags?" Mit einem kleinen "hmm" zeigte er mir nochmal sein Antlitz von strahlenden braunen, von gold durchzogenen Augen. "Ich wollte dich nur nochmal betrachten." Seine Mundwinkel kamen den Himmel ein kleines Stück näher.
In der Küche füllte ich zwei Keramiktassen mit heißen Wasser. Der warme Nebel stieg mir entgegen, erwärmte mein Blut unter den Wangen. Eine Brille würde jetzt beschlagen. Zum gluck besaß ich keine. Nur Hörgeräte, die ich immer trug. Selbst im Schlaf, wollte ich somit nur seine gleichmäßigen Atemzüge deutlicher hören. Manche empfanden die kleinen lauteren Atmungsgeräusche wie das Schnarchen als störend, für mich waren sie die Melodie von Zu Hause.
Diese Nacht hatten wir uns gegenseitig ohne jegliche Wortlaute betrachtet. Dabei haben wir manchmal ganz schön gegrinst. Ohne Zahnprothesen sah man doch irgendwie anders aus. Und dennoch liebte ich auch diesen Anblick. Es ist egal wie Magnus mal aussah oder noch aussehen wird, meine Liebe geht darüber hinaus. Auch wenn dies einst seine Sorge war. Vor sechszig Jahren ungefähr. Wir saßen in einem Eiscafé und genossen die Sommer Sonne. Er machte sich über mich lustig, weil ich bereits einen kleinen Sonnenbrand besaß und dennoch nicht braun wurde. Magnus hatte mich gefragt, ob ich ihn auch lieben würde, wenn er nicht mehr so jung aus sah. Ich würde ihn immer lieben, über dieses Leben hinaus. Jetzt Jahrzehnte später hatte sich daran nichts geändert.
Während der grüne Tee sich mit der Zitrone vermischte und zu einer wohltuend und vor allem gut schmeckenden Einheit vermischte, klingelte es an der Tür. Bereits bei diesem Geräusch holte ich eine weitere Tasse heraus und goss einen Früchte Tee auf. Wenn Charlotte zu Besuch kam, dann meistens direkt am Morgen. Sie hatte es schon immer gemocht, mit uns zu frühstücken. "Dieses Mädchen wird bei ihrer Hochzeit eher da sein als ihr Bräutigam. Ich sehe es schon kommen." Mit einem Lachen, stellte ich die dritte Tasse auf den Tisch, während Magnus zur Tür ging. Charlie war noch nicht verlobt. Zumindest nicht das wir es wussten. Unsere letzter Stand war, das sie diese Welt noch allein durch wanderte. Aber sie hatte ja auch Neuigkeiten. Vielleicht würde sie uns heute erzählen, das sie jemand kennen gelernt hatte.
"Opa" Mit ausgebreiteten Armen kam sie auf mich zu und nur zu gern schloss ich meine Kleine in meine eigenen Arme. "Bist du nochmal größer geworden?" Ich küsste ihr dunkles Haar. Dadurch schmiegte sie sich nur noch mehr an mich. "Opa, du weißt genau das ich bei meinen 165 Zentimetern bleibe." Magnus und ich grinsten uns über ihren Kopf hinweg an. "Das hast du glaube ich auch nur den unzähligen Fruchtzwergen zu verdanken, die du als Kind verschlungen hast." Charlotte löste sich von mir und gab Magnus einen liebevollen Klaps auf seinen Oberarm. Er streckte ihr nur die Zunge heraus und klatschte mit mir ein. "Ihr seid unmöglich" brachte sie uns mit einem grinsen entgegen. "Dankeschön" ertönten gleichzeitig seine und meine Stimme. Liebevoll verdrehte sie die Augen.
Als wir am Tisch saßen teilten Magnus und ich uns wieder ein Brötchen. Obere Hälfte bekam ich, er die untere. Charlotte aß ein ganzes, dazu bekam sie immer noch ein Becher von dem Fruchtzwerg Joghurt. Dieses mal war es Erdbeere. Ich musste immer den mit Bananen Geschmack essen, weil den weder sie noch Magnus mochte. Gewachsen bin ich dadurch nicht. Neugierig sah mein Mann zu unserer Enkeltochter. Sie kam sehr nach ihrem Vater.
"Ich brauche euch." Ihre Stimme triefte vor Ernsthaftigkeit. Der flehende Unterton war durchzogen von Sorge, das wir ihre Bitte nicht nach kommen würden. Aber dieser Fall wird nicht eintreten. Sie ist ein teil von uns. Genau so wie unsere Kinder. "Dad wird mir den Kopf abreißen, wenn ich ihm das sage und ich dachte, wenn ihr erstmal mit ihm redet, dann wird es vielleicht nicht so schlimm. Ihr seid seine Eltern, auf euch wird er eventuell noch hören." Magnus und ich griffen gleichzeitig nach den Händen von Charlie. Sie klammerte sich in unsere, spürte man, das sie nach Halt suchte. "Kurz hatte ich es vergessen. Gerade bei euch wird man perfekt abgelenkt aber gleichzeitig sehe ich meine Großväter an und freue mich sogleich, weil ich es einem weiteren Wesen ermögliche euch kennen zu lernen. Dieser Zweispalt ist so nervenaufreibend und ich weiß gar nicht wie..."
Mein überraschender Blick traf auf den von meinem Ehemann. Wir haben beide etwas anderes erwartet. Aber diese Neuigkeiten waren natürlich auch ganz wundervoll. Charlie sah uns ungeduldig, fast ängstlich an. "Uropa.." flüsterte ich leise, testete das Wort aus. "...klingt gar nicht so schlecht..." spielte Magnus mit. "... dir steht so ein kleines Würmchen bestimmt nochmal gut..." Ich zwinkerte meinen Mann zu. "... und du musst wahrscheinlich deine Hörgeräte heraus machen, wenn es schreit..." Dieses mal war ich es der ihm die Zunge heraus streckte.
Gemeinsam sahen wir auf unsere Enkeltochter, die uns mit Tränen in den Augen an sah. "Wir werden für dich und das Kleine da sein", mache ich ihr deutlich. "Versprochen" ergänzte Magnus mit so viel Liebe und Ehrlichkeit. "Und dein Dad wird dir nicht den Kopf abreisen.." versuche ich es, doch Charlotte unterbricht mich. "Doch. Ich kenne den Vater nicht. Es ist auf einer Party passiert und ich wollte auch gar nicht so früh Mutter werden und..." Mein Mann spricht für sie weiter. "Dennoch wirst du die tollste Mutter für dieses Kind und dein Dad wird dich, genau so wie wir beide es tun werden, unterstützen. Schließlich haben wir ihn erzogen und er liebt dich." Zweifelnd sieht sie erst zu mir, dann zu Magnus. Wir beide lächeln sie nur sanft an. "Ihr seid echt die coolsten Großväter. Wisst ihr das?"

DU LIEST GERADE
Der Weg
FanfictionMagnus und Alexander, ein glückliches Ehepaar, welches aufgehört hatten die Jahre zu zählen, die sie schon miteinander verbracht hatten. Aber sie fangen das zählen wieder an, als alles unklarer wird... und die schwarzen Wolken dichter werden.