Kieselsteine

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Alexander

Hellwach und dennoch die Müdigkeit in meinen Knochen tragend, ging ich in die Küche, wo bereits Magnus alles für unser Frühstück vorbereitete. Vollkommen abwesend goss er das heiße Wasser in die Tassen und wendete sich dann dem Brötchen im Backofen zu. Meine Hüfte spürte ich heute ganz deutlich und selbst der Stock schien den Balast meines da seins zu merken. Er musste heute mehr tragen, denn die Sorgen um meinen Mann nahmen weiter zu. Jede Nacht schien schlafraubender zu werden und jeder Tag wurde zu einem Ort, wo man sich der Müdigkeit für geraume Stunden hin gab.

"Ich freue mich schon so auf den Tee, mich fröstelt es etwas heute." Er schenkte mir ein schiefes Lächeln und ich sah auf meinen alten Strickpullover den er heute trug. Den hatte er schon immer geliebt. Trotz das die Sonne am Himmel stand, war ihr Wärmegefälle nichts, im Vergleich zu dem brausenden Wind. Das Magnus fast noch seltener fror als ich, ignorierte ich in diesem Augenblick, würde diese minimale Veränderung an diesem Tage, ein weiteres Gewicht auf mein Körper sein. Die Schläge meines Herzens waren gedämpft. "Fehlt da nicht etwas?" Ich trat näher an ihn heran und legte meinen Arm um seine Hüfte. Zusammen begutachteten wir die Tassen welche nur das heiße Wasser in sich hielten.

"Die Teebeutel", flüstert ich ihm leise zu, mit seinen Lippen formte er ein "Oh", welches nie sein Mund verließ. "Die Müdigkeit wird hoffentlich bald vergehen." Ich versuchte zu lächeln. Es funktionierte nicht. "Sollten wir vielleicht nicht zum Arzt? Er könnte dich wenigstens durch checken. Es ist langsam nicht mehr normal." Sobald er das Wort Arzt hörte, schüttelte er schnell seinen Kopf. "Auf gar keinen Fall. Mir geht es gut."

Laut schnaubte ich. "Das kannst du mir nicht erzählen. Nicht mir. Ich sehe dich an. Die Augenringe lachen lauter als deine Lippen." Magnus betrachtete mich mit zusammen gekniffenen Augen. "Und was ist mit dir? War der Gehstock nicht eine Seltenheit? Mittlerweile gehört er zu deinem Alltag. Die Schmerzen in deiner linken Seite nehmen zu. Hab ich recht?" Ich drehte mich weg, weg von meinen Mann und der Wahrheit, welcher er gerade ausgesprochen hatte. Verstand er denn nicht, das ich mich sorgte. "Du bist echt so ein sturer Mann." Ich schloss meine Augen. "Du bist keinen Deut besser." Aus dem Augenwinkel sah ich, wie er seinen hübschen Kopf schüttelte. Sein Gesicht war vor Wut verzogen. War das hier gerade nur eine kleine Diskussion, zweier sturer, alter Männer, die sich um den jeweils anderen sorgten. Dennoch schien keiner nachgeben zu wollen.

"Doch, du bist nämlich noch dickköpfiger." Der Verdruss über diese Konversation trug zu der Verbesserung unseren beiden Zuständen nicht wirklich bei. Es war vielleicht nicht nur die Sorge, die uns alles andere vergessen ließ, sondern auch die Angst war lähmend. Angst irgendwann ohne den anderen leben zu müssen. Etwas, was nicht vorstellbar ist. Etwas, was schwerer sein würde, als alles andere was wir bisher durch machen mussten. Irgendwann würde der Augenblick kommen, wo die Zeit, egal welcher Charakter gerade sich bewegte, mächtiger war als die Liebe die uns verband. Irgendwann würde uns etwas, für eine unbestimmte Zeit trennen und allein dieser Gedanke, trieb mir das Wasser aus meinem Ozean in die Augen. "Und willst du mir auch noch etwas an den Kopf werfen?" Ein kleines Stück drehte ich mich in seine Richtung und hoffte einfach nur, das wir uns bald wieder in den Arm nehmen würden. "Ja, etwas Vernunft würde dir gut tun." Magnus ging an mir vorbei, streifte nur meinen Arm, sehnte mich sogleich danach seine Hand zu halten.

Als er den Raum komplett verlassen hatte, sackten meine Schultern nach vorn. Die Haltung war eine wahre Katastrophe und auch meine Gefühlswelt schien einen Marathon zu laufen. Ich wusste das die Sorge, als Läufer gewinnen würde, knapp hinter ihr würde die bedingungslose Liebe zu diesem Mann sein. Wir meinten es beide nicht böse und dennoch hatten wir uns gerade gestritten.

Ich ging zum Kühlschrank und nahm das Glas saurer Kirschen heraus. Es war so zu gedreht, das man keinerlei Kraft brauchte, um es wieder zu öffnen. Mit einen geübten Handgriff zog ich den Deckel fester zu. Vielleicht zeigte diese Geste das ich wirklich etwas dickköpfiger war.

Mit einer Jacke ging ich heraus und setzte mich auf die Bank, welche in der Mitte unsere Anfangsbuchstaben M und A für jeden bereit hielt. Schnitzten wir drum herum ein Herz. Das hatten wir gleich nach dem wir dieses Haus hier gekauft hatten, getan. Dabei war ich es, der es geschnitzt hatte.

In jeder Partnerschaft wurde einmal gestritten und auch in jeder Ehe konnte es vor kommen. Magnus und ich hatten Zeiten in unserer jungen Ehe, da war diskutieren eine Tagesordnung. Trotzdem waren wir jetzt hier und feierten bald die eiserne Hochzeit. Wir hatten trotz allem und vielleicht auch wegen allem zusammen gehalten. Eine Trennung oder sogar Scheidung kam bei uns nie in Frage. Selbst der Gedanke schien so absurd, wie die Vorstellung das irgendwann der Mond auf die Erde fiel.

Die meisten Auseinandersetzungen wurden bei uns durch die unerbittliche Sorge ausgelöst. Unser letzter große Streit war jetzt auch schon ein paar Jahre her. Es fing an, als meine Hüfte schmerzte und ich Partout nicht zum Arzt wollte. Magnus war so sauer und das mehrere Tage lang. Er kam sogar wegen den Kirschen nicht zu mir. Irgendwann hatte er unsere Kinder mit auf seine Seite geholt. Rafael und Max waren damals selbst so stur, das gerade in diesem Moment keiner mehr abstreiten konnte, das es unsere Kinder waren. Die beiden fuhren mich höchstpersönlich zum Arzt. Es war eine altersbedingte Abnutzung der Knochen und Gelenke. Etwas wogegen man nur etwas künstliches einsetzen konnte. Dem hatte ich bis heute nicht zu gestimmt. Und schließlich ging es bis vor ein paar Wochen ziemlich gut ohne jegliche Ersatzteile.

Ich konnte nicht abstreiten, das es schlimmer geworden ist. Aber das stand hinten an. Magnus machte mir viel mehre sorgen als mein körperliche Zustand. Fehlender Schlaf konnte dir den Verstand rauben. Bedrückte ihm vielleicht etwas? Oder war es wirklich nur die Erschöpfung? Fragen die mir selbst den Mittagsschlaf raubten.

Ich weiß nicht wie lang ich da draußen saß. Aber irgendwann kam Magnus mit dem Glas und zwei Löffeln heraus zu mir. Unter sein Arm klemmte noch eine Decke. Ich sah ihm an, das er geschlafen hatte. Darüber war ich froh. Wenigstens einer von uns. Wortlos streckte er mir das Obstglas entgegen, während er sich setzte und über unsere Beine die Decke ausbreitete. Ich reichte ihm das geöffnete Glas, während er mir den Löffel in die Hand gleiten ließ.

Gemeinsam aßen wir die sauren Kirschen, ließen zu das der Wind unsere Haare zerzauste und der Himmel ein stummer Zeuge unserer Entschuldigung wurde. Wir vollführten einen lieblichen, zaghaften Eskimo Kuss und schenkten dem jeweils anderen ein Lächeln. Das letzte Wort war allerdings noch nicht gesprochen.

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