Kreuzung

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Alexander

"Machen wir das jedes Jahr?" Magnus Frage ist leiser als seine anderen Worte zu vor. Etwas, was mir schon in den letzten Tagen aufgefallen ist. Sobald er sich unsicher war oder etwas nicht ganz erfassen konnte, wurde er stiller. So still, das er fast unsichtbar etwas vor sich her murmelte. Ich versuchte alles mitzubekommen, auch wenn das bedeutete das meine Hörgeräte meine Ohren fast kaum noch verließen. Ich knöpfte sein Hemd zu. Die gemeinsame Luft, die wir einatmeten löste bei mir das aufstellen meiner Härchen auf. Sie schienen förmlich zu der Innigkeit von Magnus und mir zu tanzen.

"Nein die meisten Jahre haben wir es so, wie unsere Hochzeit eher für uns gefeiert. Nur die Goldene, die fand Izzy so toll, das wir sie gefühlt nur für sie gefeiert haben." Bis heute klangen ihre Worte der Empörung in meinen Ohren. So ein Jubiläum musste gefeiert werden. Wahrscheinlich, weil sie selbst wusste das sie die fünfzig Jahre verheiratet nicht erreichen würde. Simon und sie haben sich recht spät dazu entschieden zu heiraten. Mittlerweile waren es aber auch schon einunddreißig Jahre.

Meine Schwester hatte sich ihre Hochzeit immer ganz prunkvoll und Prinzessinnen mäßig vorgestellt. Es wurde das komplette Gegenteil. Sie war ganz schlicht und fein. Nichts großes und dennoch genügend. Es war familiär. Ich führte sie zum Altar und das war ein sehr rührender Augenblick für mich.

"Dieses mal wollten Rafael und Max, das wir es gemeinsam zelebrieren. Sie können uns ziemlich schnell um den kleinen Finger wickeln. Auch noch wenn sie erwachsen sind." Interessiert hörte mir Magnus zu, beobachtete dabei meine Hände, wie sie die Knöpfe mit ihrem dazu gehörigen Loch verbinden. Knöpfe haben etwas ganz tiefsinniges an sich. Sie halten das zusammen, was sich nicht selbst halten kann und verbinden Dinge, die zusammen gehören. Knöpfe halten alles zusammen. Magnus ist der Knopf in meinem Leben. Schon immer gewesen. Wenn er geht, dann bricht alles auseinander.

„Ich liebe dich, Alexander." Überrascht über diese Worte schaue ich von den Knöpfen in seine Augen. Mir wurde ganz wohlig ums Herz. Ich versuchte mir diese Wärme zu speichern. Das Wissen, das dies nicht funktionierte war so klar wie die Diagnose. "Ich liebe dich auch, Mags." Meine Lippen berührten seine Stirn, küssten die Verwirrung welche in jeder Falte zu ruhen schien. Könnte ich ihm nur etwas Klarheit schenken.

Wir nahmen die Zeit uns fertig zu machen und in längst vergangene Zeiten zu schwelgen. Dabei sind es nicht die Fotos, die wir in unseren Händen halten sondern uns, die Hand des anderen. Ganz nah halten wir die Liebe, die uns niemand nehmen kann. "Denkst du sie werden etwas merken?" Zweifelnd sieht er mich an, sucht vielleicht nach der Antwort die gerne seine Ohren erreichen würden. "Und ich wünschte ich könnte dir jetzt sagen, das sie es nicht mitbekommen werden. Aber das kann und möchte ich dir auch gar nicht versprechen. Ich kann dir nur sagen, das ich hinter dir stehen werde." Ich streichle zaghaft seine Wange bevor ich mich dem Hemd wieder zu wende.

"Haben wir uns abgekapselt in der letzten Zeit?" Der Speichel in meinen Mund, fühlt sich an wie Steine welche ich versuche hinter zu schlucken. Steine, welche mein ganzes da sein nur erschweren. Manchmal, da stellt er Fragen so leise und dennoch so hemmungslos. Ich habe mich selbst zurück gezogen und damit auch ihn. Irgendwann würde der Einkauf wieder anstehen. Die nächste Taxifahrt. Der nächste Arztbesuch. Es ist keine Angst, eher die Sorge, das es zu viel sein könnte. Ich möchte ihn schützen vor allem, habe ich vielleicht noch gar nicht erkannt das wir beide auch mit Knieschützer fallen werden.

"Wie kommst du darauf?" Wissend zuckt er die Schultern, sieht dabei auf meine Hände, die sich verräterisch in den gebügelten Stoff krallen. "Es ist nur so ein Gefühl." Unter klopfenden Schmerzen lächle ich. "Ja. Vielleicht. Ein bisschen. Aber das wird sich ändern versprochen." Ich trage die Verantwortung für ihn. Das versprechen immer auf ihn aufzupassen, habe ich ihm vor fünfundsechzig Jahren gemacht. Ich möchte es nicht brechen. Er ist mein Ein und Alles, das nur von Tag zu Tag weniger wird. Was ist, wenn ich ihn selbst irgendwann nicht mehr erkenne. Liebe wäre immer da. Aber vielleicht könnte der Schmerz über sie hinaus wachsen?

Und vielleicht bin ich gerade eifersüchtig auf unser jüngeres da sein? Auf den naiven Magnus und den verträumten Alec, das sie das Leben so viel leichter leben konnten? Und vielleicht bin ich gerade auch nur auf den Mond neidisch, welcher die Probleme immer gar nicht so groß sieht? Merkt er, das manchmal die Menschlichkeit fehlt? Hat er Sorgen, wenn er die Welt betrachtet? Würde er sich gern vielleicht mal selbst erblicken? Oder gefällt ihm die Spiegelung der Ozeane, über die er fliegt in den Nächten der Schwerelosigkeit?

"So fertig." Just in diesem Augenblick läutete auch schon die Klingel der Haustür. Sie erklang so unnatürlich laut. Und erst jetzt wurde mir das Flüstern unserer Stimmen bewusst. Gaben wir uns beide, doch den neuen tiefen Gewässern des Lebens hin. Ein Fluss unbekanntes Ursprungs und ein ankommen, welches so unmöglich erschien, wie die Heilung.

Wie in Trance fuhr ich noch einmal über den Stoff, fühlte die pochende Heimat unter meinen Handflächen und die Wärme des vertrauten. "Ich geh mal zur Tür. Kommst du gleich nach?" Dankbar nickte Magnus. Ich gab ihm gern die Zeit für sich. Wir entfernten uns nicht. Nicht im Herzen. Nur gedanklich mussten wir uns selbst immer wieder neu sortieren. Hat das Chaos doch gerade erst angefangen. Die Ordnung in meinem Leben erschien mir noch nie so schwer zu erhalten. Würde selbst ein Genie, bei diesem Durcheinander weinen.

"Max. Schön das du deine Väter abholst." In mir sträubte sich alles, dieses Schauspiel vorzuführen. Doch die Maske der Unbeschwertheit saß perfekt. Das Kostüm des Freudvollen hatte keine Falten, jede Naht führte ihren Faden perfekt. Das Korsett darunter, hielt alles was nicht an die Oberfläche zusammen. Bereit bei jedem weiteren Atemzug zu platzen. "Wie oft habt ihr mich zum Tennis Training gefahren und von dort wieder abgeholt?" Kurz darauf lag er mir bereits in den Armen, genoss diesen kurzen Halt, dem ich eigentlich ihm schenken sollte. "Die Frage wäre einfacher zu beantworten, wenn du sie so gestellt hättest, wie oft wir dich nicht gefahren haben." Ich zwinkere ihm zu. "Aber du weißt, das haben wir sehr gern getan und würden es jetzt nicht anders tun."

So schön dieser Anlass auch ist für dieses gemeinsame Essen, so würde ich auch gerade vieles dafür geben das dieser Tag bereits herum wäre. Das Geheimnis zu hüten war seine Bitte. Ich wollte ihm zu liebe, das nichts an die Oberfläche kommt. "Na mein Großer." Magnus kam lächelnd die Treppe herunter. Ich genoss diesen kurzen Anflug von Normalität in vollsten Zügen. Es roch so vertraut.

"Dad, gut schaust du aus. Du natürlich auch, Papa." Mein Mundwinkel zuckte empor des Himmels. "Du auch." Er nahm eine Model Pose ein. "Das ist nichts neues bei mir." Wir verfielen in ein schallendes Lachen. Zusammen mit meinen Kindern und meinem Mann, vergaß ich gerne das Alter welches wir alle bereits erreicht hatten. Es war so wie immer. Nichts hatte sich geändert und das bedeutete mir gerade in dieser Zeit der Veränderung unheimlich viel.

"Wollen wir los?" Magnus und ich nickten. Mein Ehemann hakte sich bei mir unter und gemeinsam liefen wir zu dem Auto von Max. Ich öffnete ihm die Tür und drückte ihm sogleich den Anschnallgurt in die Hand. Das kurze unmerkliche streifen meiner Hand, war Geste genug.

Die Fahrt verschluckte die Zeit kaum, auch wenn das Restaurant außerhalb lag. Rund herum war es einfach nur ruhig und nur der gefüllte Parkplatz verdeutlichte das, das Haus etwas in sich verbarg. Langsam führte Max uns in das Innere, welches in einem dunklen rot sich von der edelsten Seite zeigte. Das dunkle Holz trug zu diesem Zustand bei. Die Kronleuchter und die Kellnerinnen und Kellner in ihren Outfits, verdeutlichten die Eleganz dieses Restaurants. Alles in einem wirkte so stimmig, wie ein gut getanzte Rumba.

Am Tisch saß unsere restliche Familie. Sogar meine Geschwister waren gekommen und feierten mit uns diesen Hochzeitstag. Wir drückten alle, besonders Charlotte die neben mir saß, musterte uns genau. Die kleine Murmel unter ihrem babyblauen Kleid streichelte sie mit ihrer Hand. Ich versuchte mich zu entspannen, aber ich stand förmlich unter Strom. Dabei konnte ich nicht ahnen, das heute noch ein Staudamm unter der Last nachgeben würde.

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